„Die Wirtschaftskrise wird jede Menge Schreiadler retten“

Vogelschützer Axel Hirschfeld berichtet vom Einsatz gegen die Vogelwilderei im Libanon

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
8 Minuten
Eine Gruppe Schreiadler auf dem Zug von unten fotografiert.

 Wie in jedem Herbst sind in diesen Tagen Hunderttausende Vögel auf dem Weg aus Europa in ihre afrikanischen Winterquartiere. Für viele von ihnen ist das die gefährlichste Zeit im Jahr. Denn vor allem entlang des Mittelmeeres lauern Vogeljäger, die ihnen nach dem Leben trachten. Besonders stark betroffen sind immer wieder Greifvögel, obwohl sie überall streng geschützt sind und nicht geschossen werden dürfen.

Ohnehin gefährdete Arten wie der Schreiadler drohen durch die Verfolgung an den Rand des Aussterbens gebracht zu werden, obwohl in ihren Brutgebieten mit viel Engagement und Geld versucht wird, die Bestände zu sichern. 

Wie in jedem Jahr hat sich auch in diesem Herbst eine Gruppe internationaler Vogelschützerinnen und Vogelschützer des Komitees gegen den Vogelmord (CABS) auf den Weg gemacht, um im Libanon, einem besonders schlimmen Brennpunkt der illegalen Vogelverfolgung, zu versuchen, Vögel vor dem Abschuss zu retten und das Geschehen zu dokumentieren. Axel Hirschfeld leitet die Aktivitäten vor Ort.  Wir haben ihn gebeten, uns über Video auf dem Laufenden zu halten und mit ihm gesprochen.

Axel Hirschfeld trägt einen verletzten Schmutzgeier mit Handschuhen aus einem Käfig.
Axel Hirschfeld mit einem aus den Händen von Vogelwilderern befreiten Schmutzgeier.

Thomas Krumenacker: Der Libanon leidet unter einer massiven Wirtschaftskrise. Die Explosionskatastrophe in der Hauptstadt Beirut im vergangenen Jahr hat die Lage weiter verschärft. Wirkt sich die Krise auf die Wilderei aus?

Axel Hirschfeld: Die Wirtschaftskrise scheint einen Einfluss zu haben. Viele Menschen haben einfach kein Geld, um sich Schrotmunition zu kaufen. Denn auch die ist, wie alles im Land, deutlich teurer geworden. Wir finden praktisch nur noch Schrothülsen vom letzten Jahr und nur ganz wenige frische. Das ist besonders offensichtlich im Norden des Landes, der besonders arm ist und der gleichzeitig ein Zentrum der Greifvogelverfolgung ist.

Gilt das auch für andere Landesteile?

Wir haben in den vergangenen Tagen in allen Landesteilen die Gebiete besucht, in denen wir in den letzten Jahren die schlimmsten Massaker an Zugvögeln erlebt haben. Wir haben diese Gebiete inspiziert und über eine längere Zeit hinweg beobachtet. Die professionellen Wilderer sind auch dort weiter sehr aktiv. Insgesamt ist die Wilderei aber stark zurückgegangen.

Wie messt ihr das Ausmaß der illegalen Jagd, schließlich könnt ihr euch ja nur stichprobenartig einen Eindruck verschaffen? 

Die Variablen, an denen wir das Ausmaß der illegalen Aktivitäten festmachen, sind die Anzahl der toten Vögel, die wir in einem Gebiet finden, die Anzahl der direkten Abschüsse, die wir beobachten und die Zahl der frischen Schrotpatronen-Hülsen, die wir finden. Und bei allen drei Indikatoren können wir sagen, dass sie massiv zurückgegangen sind. Wir finden weniger tote Vögel, weniger Plätze, an denen die Wilderer die Tiere rupfen und weniger frische Patronen. Und wir sehen auch, dass viele Vögel unbehelligt vorbeiziehen können. Das ist ein absoluter Fortschritt, mit dem wir selbst nicht gerechnet hätten. 

Liegt das allein daran, dass sich die Leute keine Munition und keinen Sprit mehr leisten können oder gibt es Hoffnung, dass die Entwicklung nachhaltiger ist?

Wir wissen natürlich nicht, welcher Faktor genau welchen Anteil hat. Ich nehme an, es ist eine Mischung. Eindeutig liegt es auch an der Wirtschaftskrise und der massiven Verarmung vieler Menschen. Aber sicher hat ein Teil des Erfolgs damit zu tun, dass es uns in den vergangenen Jahren gelungen ist, die Behörden massiv zu sensibilisieren. 

Haben denn Polizei und Armee angesichts der desolaten Lage im Land überhaupt ein Interesse, sich um Vogelwilderei zu kümmern?

Ich habe mit dem Polizei-Verantwortlichen für das gesamte Direktorat Nordlibanon gesprochen. Die Tatsache, dass wir im Gespräch sind, zeigt schon, dass das Problem ernst genommen wird. Aber wir sehen es ja auch mit unseren eigenen Augen: Die Sicherheitskräfte haben jeden Tag an einigen der wichtigsten Konzentrationspunkte des Vogelzugs eine Patrouille stehen. 

Unterstützt die Polizei eure Arbeit auch direkt, die ja nicht immer ganz ungefährlich ist?

Ganz oft erleben wir, dass die Wilderer abhauen, wenn wir ankommen. Wir haben hier einen ganz anderen Abschreckungseffekt als etwa auf Malta oder in Italien, wo die Wilderer uns sogar angreifen. Wir sind schon sehr positiv überrascht. Auch das hat mit der Polizeiarbeit zu tun. Heute haben uns zum Beispiel in einer heiklen Gegend knapp 20 Soldaten begleitet, sogar der Geheimdienst kam dazu. Die kommen trotz Wirtschaftskrise, obwohl sie kaum Benzin für die Autos haben. In einer anderen Region haben wir einen Einsatz gegen Fangnetze gemacht, auch da waren sie in 20 Minuten da. Und wir wissen, dass es hier und da auch ohne unsere Anforderungen proaktive Aktionen der Polizei gibt. 

Vor wenigen Stunden habt ihr mit Hilfe der Behörden gleich drei der global vom Aussterben bedrohten Schmutzgeier befreit, die ihren Abschuss überlebt haben und in einer Art Privatzoo gehalten wurden. Hilft die Polizei dabei?

Im aktuellen Fall war es sehr schwierig und nicht ungefährlich. Es gibt Regionen, da ist die staatliche Gewalt nicht so Herr der Lage wie bei uns. Wir haben mit unserer Festsetzung durch Milizen gerechnet, aber schließlich konnten wir die Vögel mitnehmen und rasch aus dem Gebiet verschwinden, bevor man es sich anders überlegt hatte. 

Eine Gruppe Menschen, darunter uniformierte Soldaten, gehen an einer langen Reihe Käfige vorbei.
Sicherheitskräfte begleiten die Vogelschützer bei der Beschlagnahme illegal gefangener Schmutzgeier.
Eine Gruppe, darunter uniformierte Soldaten, geht an einer langen Reihe  Käfige entlang.
Sicherheitskräfte begleiten die Vogelschützer bei der Befreiung illegal gefangener Schmutzgeier.

Gestern habt ihr mir ein schockierendes Video von einer Tankstelle nahe Tripoli geschickt. Dort wurden in einem Verschlag unter unbeschreiblichen Bedingungen lebende Zugvögel gehalten: Schreiadler, Kraniche, Rosapelikane und Wespenbussarde. Manche waren tot, andere total verängstigt. Was ist aus ihnen geworden?

Wir hatten da sehr wenig Hoffnung, aber nach einem Gespräch mit dem lokalen Dorf-Chef zeichnet sich ab, dass wir die Tiere in den nächsten Tagen abholen können. Das ist aber sehr wahrscheinlich kein wirkliches Happy End. Diese Vögel sind so geschwächt oder verstümmelt, dass sie nie wieder ihren Zug fortsetzen können. Manchmal ist das beste, das wir für die Vögel tun können, sie einzuschläfern. Auch die Schmutzgeier sind vielfach beschossen worden, wie die Röntgenbilder zeigen. Sie werden wir wahrscheinlich erst einmal in eine Pflegestation nach Europa bringen. Wahrscheinlich werden sie nicht ausgewildert werden können. Aber vielleicht können sie in einer Zuchtstation noch etwas für den Erhalt ihrer Art tun und selbst wenigstens ein würdevolles Rest-Leben führen. 

Für den Libanon hoffe ich, dass es den Menschen bald besser geht. Für die Schreiadler hoffe ich, dass die Patronen weiter so teuer bleiben. (Axel Hirschfeld)

Wenn du einen Ausblick wagen sollst. Ist die Verbesserung der Lage nachhaltig oder eher ein Strohfeuer?

Wir hoffen, dass die Lage in den nächsten Jahren stabil bleibt – aber jetzt freuen wir uns erst einmal darüber, dass wir für dieses Jahr wirklich sagen können: Es ist besser geworden. Ich selbst hätte nicht damit gerechnet, dass wir so viel erreichen können in vergleichsweise kurzer Zeit. Aber es bleibt noch viel zu tun. Denn wir finden zwar nicht mehr 20 Rupfplätze, sondern zwei oder drei. Natürlich sterben da immer noch Hunderte Wespenbussarde, aber eben auch nicht mehr Tausende. Die Wirtschaftskrise wird wahrscheinlich jede Menge Wespenbussarde, Pelikane und Schreiadler retten. Für den Libanon hoffe ich, dass es den Menschen bald besser geht. Für die Schreiadler hoffe ich, dass die Patronen weiter so teuer bleiben.

Eine große Gruppe Weißstörche kreist um den aufgehenden Mond.
Millionen Vögel, hier Weißstörche, ziehen in jedem Herbst von Europa nach Afrika. Dabei passieren sie in großer Zahl auch den Libanon.
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