Seit Jahrhunderten leben die Inuit in Grönland von der Jagd – doch die Natur ändert sich rasant.

In seiner Doktorarbeit hat Carsten Egevang den Zug der Küstenseeschwalben erforscht – heute dokumentiert er das Leben der Grönländer. Die Jagd spielt dabei eine entscheidende Rolle. Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen Naturschutz und uralten Traditionen.

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
11 Minuten
Schlittenhunde und eine Robbe in Grönland.

Grönland ist die größte Insel der Erde – und zu über 80 Prozent von einem gewaltigen Eispanzer bedeckt. Nur die Küsten sind bewohnt. Obwohl Grönland etwa sechs Mals so groß ist wie Deutschland, leben hier weniger als 60.000 Menschen. In Tasiilaq, einem selbst für grönländische Verhältnisse abgelegenen Ort an der Ostküste des Landes, treffe ich bei einer Recherche den dänischen Biologen und Fotografen Carsten Egevang. Ich schwärme von den fantastischen Schwarzweißfotos am Gemeindehaus. Abgebildet sind Natur- und Jagdszenen aus Grönland. „Die habe ich gemacht“ sagte Carsten und erzählt mir von wochenlangen Touren in Schnee und Eis, die er mit der Kamera begleitet hat. Im Gespräch stellt sich heraus, dass Carsten Egevang auch Biologe und Ornithologe ist, spezialisiert auf arktische Seevögel: also ein perfekter Gesprächspartner für die Flugbegleiter. In Tasiilaq kam es nicht mehr dazu, denn Carsten war plötzlich mit Inuit-Jägern im Eis verschwunden. Zum Interview haben wir uns dann vor einigen Tagen via Zoom verabredet – als Carsten für einen kurzen Abstecher in seiner Wohnung in Kopenhagen Station machte.

Als wir uns zuletzt gesehen haben, sind Sie zur Jagd aufgebrochen. Was jagt man in einer Welt, die quasi nur aus Eis besteht?

Carsten Egevang: Wir waren auf Robbenjagd. Man ist dann draußen, und die Jäger hoffen auch auf andere Beute, aber Robben sind normalerweise das sichere Ziel. Wir haben eine ganze Reihe von Robben da draußen gefangen.

Wie läuft so eine Jagd ab?

Wir fahren in einem kleinen, offenen Boot die Eiskante entlang. Man legt dabei große Strecken zurück – und hält die ganze Zeit Ausschau. Wenn ein Tier auftaucht, muss der Jäger ein ziemlich geschickter Schütze sein, um die Robbe in den Kopf zu treffen. Und dann wird das Tier natürlich mitgenommen – und komplett genutzt: für den menschlichen Verzehr, für die Hunde, und die Haut wird ebenfalls verwendet.

Beteiligen Sie sich auch selbst an der Jagd?

Ich greife nur zu meiner Kamera. Ich mag es nicht, Tiere zu töten.

Carsten Egevang im Eis auf Grönland
Carsten Egevang verbringt einen großen Teil seiner Zeit in der Arktis und fotografiert Inuit bei der Jagd. Kürzlich ist von ihm das Fotobuch „Greenland Unseen“ erschienen.

In Deutschland erzeugt schon das Wort „Robbenjagd“ bei den meisten Menschen Ablehnung. Sie standen früher auch eher auf der „anderen Seite“, wenn man das so sagen kann. Als Biologe haben Sie sich für den Natur- und Artenschutz eingesetzt.

Das tue ich auch heute noch, aber meine Einstellung hat sich im Laufe der Jahre verändert. Als ich an der Universität Biologie studierte, glaube ich ziemlich sicher zu wissen, wie die Welt aussieht. Ich habe Wildtiere und Vögel nur durch die Brille des Naturschützers gesehen, und war der Meinung, dass alle Arten der Jagd verboten werden sollten. Aber je mehr Zeit ich in Grönland verbracht habe, umso besser habe ich verstanden, welche Bedeutung die Jagd dort hat. Sie ist ein Teil der Kultur. Das gilt genauso für Island oder die Färöer-Inseln. Dem Rest der Welt ist das nur schwer zu vermitteln, denn in unseren westlichen Gesellschaften sehen wir die Jagd mehr als Sport. Und das ist in diesen Ländern natürlich nicht der Fall. Deshalb zeige ich mit meinen Bildern, was die Jagd für die Menschen im Norden bedeutet, auch wenn ich weiß, dass viele Leute das nicht mögen.

Lassen Sie uns später noch ausführlicher darüber reden – im Moment würde mich interessieren, wie es überhaupt dazu kam, dass Sie heute mit der Kamera auf die Jagd gehen.

Ich habe mein ganzes Leben lang Vögel beobachtet – schon als Kind in Dänemark. Dazu kommt eine absolute Faszination für den hohen Norden. Sobald ich alt genug war, um alleine in den Urlaub zu fahren, bin ich nach Nordskandinavien gereist, um dort zu wandern und Vögel zu beobachten. Im Biologiestudium habe ich mich dann auf arktische Vögel spezialisiert. Vor 30 Jahren war ich zum ersten Mal in Grönland – und damals hat es mich gepackt.

Was hat Sie gepackt – warum Grönland?

Mich fasziniert dieses Leben am Limit. Es sind extrem harte Bedingungen. Man fragt sich automatisch, wie es Tiere schaffen, dort zu überleben. Wie schaffen sie es, mit der extremen Kälte klarzukommen? Wie schaffen es Vögel, aber auch Pflanzen und Säugetiere, sich in diesem kurzen Sommer fortzupflanzen? In Grönland gibt es so viele erstaunliche Geschichten zu erzählen – und das ist der Grund, warum ich immer wieder zurückkomme.

Zwei Jäger mit Schlittenhunden im Eis.
Der grönländische Schlittenhund gilt als besonders robust. Bei der Jagd sind die Inuit mit ihren Hunden oft tagelang unterwegs.
Eine fliegende Küstenseeschwalbe vor blauem Himmel
Kein anderer Zugvogel legt so weite Strecken zurück wie die Küstenseeschwalbe: Bei ihrer Reise von der Arktis in die Antarktis fliegen die Vögel bis zu 40.000 Kilometer – fast rund um den ganzen Globus.
Ein Datenlogger liegt über einem Streichholz – und ist weniger als halb so groß.
Mit diesen kleinen Datenloggern hat das Team um Carsten Egevang den Zug der Küstenseeschwalben rund um den Globus erforscht.
Ein schwarz-weiß-Foto zeigt Vogelschwärme über dem Meer
Jedes Frühjahr ziehen Millionen von Seevögeln in den hohen Norden, um dort zu brüten. Im Nordpolarmeer finden sie genug Nahrung für ihre Küken.
In einem  Boot sieht man ein Netz und gefangene Seevögel.
Jahrtausendelang waren die Inuit auf die Jagd angewiesen. Erst seit kurzem gibt es in Grönland auch im Winter Konserven und andere Lebensmittel zu kaufen. Der traditionelle Lebensstil wird seltener.
Narwal im Polarmeer.
Narwale sind bisher wenig erforscht. Keine andere Walart lebt das ganz Jahr über so weit nördlich wie sie.
Inuit – Erwachsene und Kinder – mit einem erlegten Narwal
Obwohl die Narwal-Bestände rund um Grönland zurückgehen, dürfen die Inuit noch einzelne Tiere jagen. Regelmäßig wird über die Fangquoten gestritten.