„Zeigen Sie Ihre Empörung mit einem Tweet an @EmmanuelMacron“

Der Generalsekretär der Vogelschutzorganisation LPO, Yves Verilhac, über den Konflikt mit Präsident Emmanuel Macron zur Vogeljagd

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
6 Minuten
Foto des Twitter-Accounts von Emmanuel Macron

Der Europäische Gerichtshof hält die Praktiken für Verstöße gegen europäisches Recht und auch der oberste französische Gerichtshof hat sie für illegal erklärt. Dennoch will Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Tötung von mehr als 100.000 Zugvögeln durch sogenannte „traditionelle Methoden“ mit Netzen, Klappfallen und tödlichen Haarschlingen erlauben. Im Interview ruft der Generalsekretär des Vogelschutzverbandes LPO, Yves Verilhac, Naturschützer europaweit auf, zu protestieren.

Porträtfoto von Yves Verilhac
Yves Verilhac ist seit 2014 Generalsekretär der französischen Vogelschutzorganisation Ligue pour la Protection des Oiseauxs (LPO).

Thomas Krumenacker: Nur Tage nach seinem flammenden Plädoyer für den Schutz der Artenvielfalt sind die Pläne Ihres Präsidenten Emmanuel Macron bekannt geworden, die Tötung von mehr als 100.000 Zugvögeln mit grausamen, sogenannten „traditionellen“ Methoden zu erlauben. Das Vorhaben ist nur die jüngste Wendung in einem seit vielen Jahren andauernden Konflikts, in dem Naturschützer versuchen, dem verbindlich auf europäischer Ebene geregelten Vogelschutz auch in Frankreich Geltung zu verschaffen. Können Sie die Situation kurz zusammenfassen?

Yves Verilhac: Frankreich hält gleich mehrere Bestimmungen der Europäischen Vogelschutzrichtlinie von 1979 nicht ein. Die LPO klagt seit langem dagegen. Irgendwann hatten wir es satt, vor den Gerichten entweder zu verlieren oder aber zu gewinnen, nur um zu erleben, dass der Staat im darauffolgenden Jahr wieder dieselben Verstöße zulässt. Deshalb reichten wir 2019 – 40 Jahre nach Inkrafttreten der Vogelschutzrichtlinie! – eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein und hofften darauf, dass Frankreich vor dem Gerichtshof der Europäischen Union verklagt wird. Der Gerichtshof mahnte Frankreich förmlich ab. Als letzte Mahnung vor drohenden Strafen ist Frankreich derzeit aufgefordert, die Missstände abzustellen.

In Frankreich ist die Jagd auf 20 Arten erlaubt, die in den roten Listen als gefährdet eingestuft sind.

Um welche Verstöße gegen die Vogelschutzrichtlinie geht es konkret?

Es sind drei Punkte. Nach der Vogelschutzrichtlinie darf der Vogelfang nicht wahllos stattfinden. Ausnahmen vom Verfolgungsverbot sind nur möglich, wenn deren Jagd selektiv stattfindet, der Vogelfang mit den umstrittenen Methoden ist nicht selektiv. Zum zweiten werden einige Zugvögel auch auf dem Frühjahrszug gejagt – einer Zeit, in der sie europaweit geschützt sind, weil die Fortpflanzung bevorsteht. Das betrifft Gänse im Februar. Und schließlich geht es um die Bejagung von Vögeln, die sich in einem schlechten Erhaltungszustand befinden.

Nach der Vogelschutzrichtlinie ist die Jagd auf zahlreiche Vogelarten zwar erlaubt. Nach Artikel 7 müssen die Mitgliedstaaten aber auch für sie sicherstellen, dass die Schutzbemühungen für sie in ihrem Verbreitungsgebiet dadurch nicht sabotiert werden. Eigentlich ist die Jagd auf viele Arten in vielen Ländern – auch in Deutschland – damit nicht tragbar.

Frankreich ist hier besonders gefragt. Denn wir lassen die Jagd auf 64 Vogelarten zu, das ist doppelt so viel wie der europäische Durchschnitt. Und in Frankreich ist die Jagd auf 20 Arten erlaubt, die in den roten Listen als gefährdet eingestuft sind, beispielsweise auch die Turteltaube, die europaweit zu den am stärksten gefährdeten Arten gehört.

Seit Macron gewählt wurde, hat er nie damit aufgehört, den Jägern Geschenke zu machen.

Die jetzt erneut von der Regierung in ihren Entwürfen für Ausnahmegenehmigungen erlaubten Praktiken wurden aber doch bereits vom Staatsrat, der obersten juristischen Instanz in Frankreich, für illegal erklärt!

So ist es. Der Staatsrat hat beschlossen, ein Rechtsgutachten des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Frage des Fangs mit Leimruten (einer der sogenannten „traditionellen Methoden“) einzuholen. Denn Malta war im Jahr zuvor deswegen verurteilt worden. Der EU-Gerichtshof bestätigte die Rechtswidrigkeit und der Conseil d’Etat, der Staatsrat, nahm diese Entscheidung am 28. Juni als seine Haltung auf. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung wurden dann im August die anderen Dekrete für illegal erklärt, die das Fangen mit Netzen, Fallen und Schlingen betrafen.

Zu den politischen Hintergründen des neuerlichen Vorstoßes: Sind wir bereits Zeugen einer Vorwahlkampagne von Macron, der sich im April zur Wiederwahl stellt? Und welchen Standpunkt vertritt das Umweltministerium in dieser Angelegenheit?

Das Umweltministerium ist formell federführend. Aber es ist der Präsident der Republik, der hier seine Haltung durchdrückt. Die Ministerin hatte ihre Genugtuung darüber zum Ausdruck gebracht, dass diese umstrittenen Methoden endlich gestoppt werden. Seit Macron gewählt wurde, hat er nie damit aufgehört, den Jägern Geschenke zu machen. Er sieht in ihnen ein wichtiges Wählerreservoir.

In den nächsten Wochen soll es über Online-Konsultationen eine Öffentlichkeits-Beteiligung zu den Dekreten geben. Sind diese Konsultationen in irgendeiner Weise rechtlich bindend oder haben sie nur empfehlenden Charakter?

Im Moment hat Macron die Fang-Dekrete noch nicht unterzeichnet: Aber es ist klar. Er wird sie unabhängig vom Ergebnis der bis zum 8. Oktober laufenden öffentlichen Online-Konsultationen unterzeichnen, da er sich nie nach dem Ergebnis der Konsultationen richtet, wenn es um die Jagd geht.

Wie sieht der weitere Entscheidungsprozess nach den Konsultationen aus, und wann könnte die Jagd auf die Vögel im Falle einer Zustimmung Macrons beginnen?

Die Regierung wird die Dekrete vier Tage nach dem Ende der Konsultation unterzeichnen. Sie wird nicht einmal Zeit haben, die Tausenden von überwältigend negativen Stellungnahmen zu analysieren. Am Tag nach der Unterschrift treten die Dekrete in Kraft. Selbst wenn wir dann unseren Antrag auf Aussetzung gewinnen sollten, werden sie bis zur Entscheidung des Richters bereits Tausende von Vögeln gefangen haben.

Wie können ausländische Naturschutzorganisationen und einzelne Naturschützer dazu beitragen, die Genehmigungen noch zu verhindern?

Indem sie sich beteiligen und auf der Internet-Seite zu den Konsultationen Nein sagen: Aber Achtung, es sind vier verschiedene Konsultationen zu den einzelnen Dekreten! Und indem sie ihre Empörung in den sozialen Netzwerken zum Ausdruck bringen und etwa einen Tweet an @EmmanuelMacron schreiben!

Macron versucht seit einiger Zeit, sich als Anführer des ökologischen Wandels in Europa zu präsentieren. So hat er im Januar einen One Planet Summit organisiert, er verspricht viel Geld für die Verbindung von Klima- und Naturschutz und gerade erst hielt er eine lange und emotionale Rede bei der Eröffnung des Weltnaturschutzgipfels in Marseille. Für wie hoch halten sie seine Glaubwürdigkeit in Naturschutzfragen auch angesichts der neuen Jagd-Affäre?

Für sehr gering. Eine Woche vor Bekanntwerde der Pläne für die Jagd hat er auf dem Weltnaturschutzgipfel mit der Hand auf dem Herzen die dringende Notwendigkeit des Schutzes der Artenvielfalt betont. Er nannte Frankreich ein Vorbild für andere sei und erteilte anderen Regierungschefs öffentlich Lektionen. Und das kurz nach dem Urteil des Staatsrates zum Vogelfang.

Was echte Schutzgebiete angeht, so wurden noch nie so wenige geschaffen wie in den letzten zehn Jahren.

Macron hat auch versprochen, dass Frankreich das international bis 2030 angestrebte Ziel schon im nächsten Jahr erreichen will, 30 Prozent der Land- und Meeresfläche unter Schutz zu stellen. Wird das ein wirklich wirksamer Schutz sein und auch einen Schutz für die Tiere vor Jagd und Fang beinhalten?

Bei den angekündigten 30 Prozent Schutzgebieten handelt es sich um regionale Naturparks, die unter das allgemeine Recht fallen. Dies sind keine geschützten Naturgebiete. Es gibt keine besonderen Vorschriften oder Verpflichtungen in Bezug auf die biologische Vielfalt. Und was echte Schutzgebiete angeht, so wurden noch nie so wenige geschaffen wie in den letzten zehn Jahren.

Wie steht es generell um den Zustand der französischen Naturschutzgebiete?

Der Staat widmet diesen Gebieten immer weniger Stellen und Budgets. Um weitere echte Naturschutzgebiete zu schaffen, wären Mittel erforderlich, die aber noch nicht vorhanden sind. Frankreich wird Anfang nächsten Jahres den Vorsitz in der Europäischen Union übernehmen. Es ist weit davon entfernt, ein Vorbild zu sein. Sehen Sie sich die Gemeinsame Agrarpolitik an. Es war auch Frankreich, das maßgeblich dazu beigetragen, dass die GAP nicht endlich auf eine nachhaltige Landwirtschaft umgestellt werden konnte.

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