„Naiv, gefährlich und verantwortungslos“: Kritik an Sparforderungen im Entwicklungsministerium

Forscher, Naturschützer und Entwicklungsorganisationen warnen vor Einsparungen im Etat von Entwicklungsministerin Svenja Schulze. Sie fürchten Rückschläge im Kampf gegen das Artensterben und den Klimawandel. Gefordert wird ein Machtwort des Kanzlers in eigener Sache.

6 Minuten
Boote warten an einem Anleger auf Wasser, das über einen Schlauch in Fässer geleitet wird.

„Damit wackelt alles“: Im Interview mit spektrum.de hat Entwicklungs-Staatssekretär Jochen Flasbarth in der vergangenen Woche mit deutlichen Worten vor den Folgen der aus Sicht seines Ministeriums überzogenen Sparpläne von Bundesfinanzminister Christian Lindner gewarnt.

Warnung vom Staatssekretär: Auch das Kanzlerversprechen wackelt

Sollte sich der FDP-Chef mit seiner Sparforderung durchsetzen, ist Flasbarth zufolge auch das international gefeierte Naturschutz-Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz an die Entwicklungsländer gefährdet – denn die Milliarden-Zusage würde zum allergrößten Teil aus dem Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beglichen.

Flasbarth sitzt an seinem Schreibtisch
Entwicklungs-Staatssekretär Jochen Flasbarth sieht durch die Sparforderungen von Finanzminister Christian Lindner auch das Milliarden-Versprechen des Kanzlers für den Naturschutz gefährdet.

Milliardenversprechen für die Natur auf großer Bühne

Scholz hatte vor zwei Jahren bei den Vereinten Nationen in New York zugesagt, dass Deutschland den materiell armen, aber naturreichen Ländern im globalen Süden ab kommendem Jahr mit jährlich 1, 5 Milliarden Euro unter die Arme greifen werde, damit diese ihre Natur zum Wohle aller Staaten bewahren können. Das würde eine Verdoppelung der aus Deutschland kommenden Finanzmittel für die Bewahrung der biologischen Vielfalt bedeuten. Deutschland wäre damit der weltweit größte Geberstaat für den Schutz der Artenvielfalt und den Kampf gegen den Klimawandel durch die Bewahrung intakter Natur.

Kanzlerversprechen ebnete Weg zum Erfolg für Weltnaturabkommen

Entsprechend wurde das Kanzlerversprechen auf der Weltbühne der Vereinten Nationen damals als wegweisend gefeiert. Scholz selbst nannte die Zusage ein starkes Signal für ein ehrgeiziges Ergebnis bei den Verhandlungen über ein Weltnaturabkommen zum Schutz der ökologischen Lebensgrundlagen des Planeten, die wenige Wochen nach der UN-Versammlung in Montreal stattfanden.

Der Plan ging auf: Die Zusage Deutschlands und weiterer Staaten einer sogenannten Allianz hochengagierter Staaten (High Ambition Coalition) verhalf den Verhandlungen zum Durchbruch. Kurz vor Weihnachten vereinbarten die Staaten der Erde im verschneiten Montreal mit dem Weltnaturabkommen eine Art Komplementärabkommen zum Pariser Klimavertrag: Was die Pariser 1, 5-Grad-Marke für den Kampf gegen die Erderwärmung ist, ist das in Montreal vereinbarte Ziel, 30 Prozent der Erde unter Schutz zu stellen, für den Kampf gegen das Artensterben und den Kollaps der Ökosysteme. Weil mehr als die Hälfte der Treibhausgase durch natürliche Ökosysteme gebunden werden, ist mehr Naturschutz auch Voraussetzung für das Erreichen der Pariser Klimaziele.

Das Präsidium nach der Entscheidung
Jubel nach der Besiegelung des Weltnaturabkommens. Milliarden-Zusagen Deutschlands halfen, den Vertrag zu besiegeln.

Schlüssel zum historischen Erfolg von Montreal waren die Finanzzusagen der Industriestaaten an die armen Länder. Auch durch die deutsche Milliardenzusage motiviert, verpflichteten sich andere Industrieländer ebenso dazu, den Ländern des globalen Südens zu helfen: Insgesamt mindestens 20 Milliarden Dollar sollen dazu ab 2025 fließen.„Wenn Deutschland seine vom Bundeskanzler gegebene Zusage über 1, 5 Milliarden Euro einhalten könnte, würde es seinen fairen Anteil zum Schutz der weltweiten Biodiversität leisten“, sagte dazu Flasbarth.

„Gebrochenes Versprechen unterminiert die Glaubwürdigkeit Deutschlands“

Dass dies nun durch die verbissene Sparpolitik des kleinsten Partners in der Ampel-Koalition infrage steht, sorgt für heftige Kritik. „Der Kanzler hat versprochen, finanzielle Unterstützung zum Schutz der Biodiversität in Ländern des Globalen Südens zu leisten – dies nicht zu tun, würde die internationale Glaubwürdigkeit Deutschlands unterminieren“, sagt Biodiversitätsforscherin Katrin Böhning-Gaese.

„Deutschland steht aufgrund seines Wohlstands und seines hohen ökologischen Fußabdrucks in Ländern des Globalen Südens in der Verantwortung, zum Schutz der Natur in diesen Ländern beizutragen“, betont die Direktorin am Frankfurter Senckenberg-Forschungszentrum für Biodiversität und Klima.

Porträtfoto
"Deutschland steht aufgrund seines Wohlstands und seines hohen ökologischen Fußabdrucks in Ländern des Globalen Südens in der Verantwortung, zum Schutz der Natur in diesen Ländern beizutragen“, betont die Direktorin am Frankfurter Senckenberg-Forschungszentrum für Biodiversität und Klima, Katrin Böhning-Gaese.

„Naive Kurzfrist-Logik in der Politik“

Hart kritisiert auch Biodiversitätsforscher Josef Settele den Sparkurs auf Kosten des Naturschutzes. „Wir können uns in dieser überlebenswichtigen Frage keine Einsparungen und keinen weiteren Zeitverlust leisten“, sagt der Leiter des Departments für Naturschutzforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle. Settele hat gemeinsam mit Kollegen des Weltbiodiversitätsrates den viel beachteten Bericht zur Lage der Natur weltweit erarbeitet, die maßgebliche wissenschaftliche Grundlage für das Montreal-Abkommen.

„In weiten Teilen der Politik herrscht allen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Bedeutung von Ökosystemen für eine lebenswerte Zukunft der Menschheit zum Trotz eine naive Kurzfrist-Logik vor, nach der die Zukunft über vermeintlich solide Staatsfinanzen gesichert werden könne“, kritisiert Settele. „Das zeigt die äußerst beschränkte Fähigkeit in Generationen-Zeiträumen und damit nachhaltig zu denken.“

Settele steht neben dem überlebensgroßen Konferenzlogo COP15
Der Biodiversitätsforscher Josef Settele bei der Weltnaturkonferenz in Montreal

„Der Sparkurs bringt das Montreal-Abkommen in Gefahr“

Georg Schwede, Europachef der internationalen Naturschutzorganisation Campaign for Nature, sieht sogar den Erfolg des historischen Montreal-Abkommens gefährdet. Er verweist auf die bevorstehende Weltbiodiversitätskonferenz COP16 in Kolumbien. Alle Staaten müssen dort konkrete Pläne auf den Tisch legen, wie sie die Verpflichtung umsetzen wollen, 30 Prozent ihrer Fläche unter Schutz zu stellen und einen ebenso großen Teil zu renaturieren.

Das Geld werde auch dort die Schlüsselrolle spielen. „Viele Entwicklungsländer haben in Erwartung der zugesagten Finanzmittel sehr ehrgeizige Naturschutzpläne entwickelt“, sagt Schwede, dessen Organisation einige Staaten bei der Ausarbeitung ihrer Klima- und Naturschutzpläne unterstützt.

Sinkevicius schlägt mit einem Naturschützer ein.
Nach dem Erfolg für das Wltnaturabkommen gratuliert EU-Umweltkommissar Virgenius Sinkevicius Georg Schwede von der „Campaign for Nature“.

„Wenn Deutschland und die anderen Industriestaaten ihre Verpflichtungen in den Wind schlagen, können sie nicht erwarten, dass die armen Länder ihren Teil der Vereinbarung einhalten“, warnt Schwede. Deutschland müsse dann sogar mit dem Vorwurf leben, die Entwicklungsländer mit falschen Finanzversprechen zur Unterschrift unter ein sehr ambitioniertes Abkommen gelockt zu haben.„, warnt Schwede. “Letztlich steht mit den Finanzzusagen Erfolg oder Scheitern des gesamten Weltnaturabkommens auf dem Spiel."

Ton in der Koalition wird rauer

Bislang wehrt sich Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze gegen den Druck zum Sparen. Statt, wie von Lindner gefordert, für kommendes Jahr Einsparvorschläge über eine Milliarde Euro gegenüber dem laufenden Haushalt vorzulegen, fordert sie vom Finanzminister fast zwei Milliarden Euro mehr als Lindner ihr zubilligen will, wie aus ihrem Antwortschreiben auf die Sparanforderungen des Finanzministers hervorgeht. Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die sich ausweitende Hungerkrise in vielen Weltregionen und die sich verschärfenden Probleme durch den Klimawandel in Entwicklungsländern erforderten mehr und nicht weniger Geld, argumentiert das BMZ.

Auch der Ton Lindners wird rauer. Einige Ressorts hätten nicht akzeptable „exorbitante Wunschzettel eingereicht – Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen gewissermaßen“, sagte er vor wenigen Tagen. Die Obergrenze für den Haushalt habe er gemeinsam mit Scholz und Vizekanzler Robert Habeck festgelegt. „Wer unter den Ressortkollegen darüber hinausgeht, muss mir schon sehr gute Argumente vortragen, dass ich die Vereinbarung, die ich mit Herrn Scholz und Herrn Habeck habe, auflöse“, sagte Lindner im ZDF.

Ist noch Verlass auf das Kanzlerwort?

Dass dieses Argument vom Kanzler selbst kommt, hoffen zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft. Denn nicht zuletzt seine eigene Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit stehe auf dem Spiel, argumentieren sie. In einem Brandbrief an den Kanzler fordern alle großen Umwelt- und Naturschutzverbände sowie Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit im Namen ihrer elf Millionen Mitglieder jetzt ein Machtwort an Lindner von Scholz. Der Bundeskanzler müsse sich dafür einsetzen, dass die Etatkürzungen zulasten der Entwicklungs-, Klima- und Biodiversitätsfinanzierung gestoppt werden, heißt es in dem Schreiben. „Damit auf Deutschland wirklich Verlass ist.“

VGWort Pixel