Mein Haus, mein E-Auto, mein Wasserstoff: Das Wohnviertel, das sich selbst mit Energie versorgt

In Gütersloh plant ein Investor ein autarkes Wohngebiet, das seine Energie komplett selbst produziert. Schafft er, woran andere gescheitert sind?

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Die Illustration zeigt, wie das Gütersloher H2-Quartier Strom gewinnen will.

Dimitrios Tassikas klingt selbstbewusst. „Wir wollen deutschlandweit ein Zeichen setzten“, sagt der 46-jährige Bauinvestor, dem eine Sanitärfirma und ein Immobilien-Unternehmen in Gütersloh gehören. Mit der Energiewende beschäftige er sich schon lange.

„Wir schalten in Deutschland die Atomkraftwerke ab, importieren aber gleichzeitig Atomstrom aus Belgien“, schimpft Tassikas. „Das zeigt doch, dass viele Energiekonzepte überhaupt nicht nachhaltig sind.“

Um daran etwas zu ändern, müsse man völlig neu denken und auch mal etwas riskieren. So wie er.

Tassikas möchte in Gütersloh ein Quartier errichten, das sich selbst mit Ökostrom und Wärme versorgt. Doch nicht nur das: Die Energie für das „H2-Revier“ soll vor Ort mittels Biogas-, Windkraft- und Solaranlagen produziert und in Form von Wasserstoff gespeichert werden.

So würde selbst dann genügend Energie zur Verfügung stehen, wenn einmal nicht die Sonne scheint oder der Wind weht.

Laut Tassikas gibt es in Deutschland noch kein Wohnviertel, das ein Energiekonzept so konsequent umsetzt. Doch die Zeichen dafür stehen gut:

Neben dem Klimawandel erinnert der Ukraine-Krieg nahezu täglich daran, dass selbst produzierter Ökostrom nottut. Selbst Finanzminister Christian Lindner (FDP) bezeichnet erneuerbare Energien mittlerweile als „Freiheitsenergien“.

Gelingt das ambitionierte Projekt in Gütersloh, könnte es auch anderswo Schule machen. Scheitert es – nun ja, diese Vokabel kommt bei Dimitrios Tassikas nicht vor: „Wenn ich Angst vorm Scheitern hätte, wäre ich nicht der, der ich bin.“

Wir betreten hier Neuland. Da gibt es keine DIN-Norm, die alles regelt.

Investor Dimitrios Tassikas

Das „H2-Revier“ soll aus sieben Einfamilienhäusern, zwölf Mehrfamilienhäusern, einer Kita und einem Bürogebäude bestehen. 3,2 Hektar ist das Baugebiet groß; ringsherum stehen weitere drei Hektar zur Verfügung, um die Windräder und die Wasserstoff-Produktion in ausreichendem Abstand errichten zu können.

Wie groß der Sicherheitsradius genau sein muss, weiß Tassikas noch nicht. „Wir betreten hier Neuland“, sagt der Investor. „Da gibt es keine DIN-Norm, die alles regelt.“

Es ist eine von vielen Hürden, die er überwinden muss, damit sein Projekt gelingt.

Mann im Anzug steht vor einem Feld
Unternehmer Dimitrios Tassikas will die Energiewende vorantreiben—und daran verdienen.

Für die Umsetzung seines Vorhabens arbeitet der Geschäftsmann mit mehreren Fachfirmen zusammen, darunter der H2 Powercell GmbH aus Wettringen im Münsterland, die Brennstoffzellen herstellt.

„Um das gesamte Quartier zu versorgen, benötigen wir 368 Kilo Wasserstoff am Tag“, sagt Diana Duque, Entwicklungsingenieurin bei H2 Powercell. Diese Menge könne mithilfe von drei Elektrolyseuren vor Ort produziert werden.

Auf einem benachbarten Gelände stehe zusätzlich eine Biogasanlage zur Verfügung. „Alle Flächen, die wir nutzen können, nutzen wir auch“, sagt Duque.

Mindestens 4000 Euro pro Quadratmeter

Für Tassikas ist sein „H2-Revier“ auch eine Frage der Gerechtigkeit. „Wer es sich leisten kann, setzt sich in Deutschland momentan eine PV-Anlage aufs Dach und verdient damit Geld“, sagt er. Deshalb müsse sich an der Energiepolitik grundsätzlich etwas ändern.

Allerdings wird auch das Wohnen in seinem Viertel mit einem Mindest-Quadratmeterpreis von 4000 Euro nicht billig sein. Auf diesen Widerspruch angesprochen, sagt Tassikas: „Ich kann und werde nichts verschenken.“ Sein innovatives Energiekonzept könne nur dann funktionieren, wenn er genügend staatliche Unterstützung erhalte.

Tassikas geht von Baukosten zwischen 45 und 55 Millionen Euro aus – plus 15 Millionen für das Energiekonzept. Wobei er hofft, dass Letzteres zu 80 Prozent gefördert wird.

Die Behörden in Gütersloh sind aktuell noch zurückhaltend, was das H2-Revier angeht. Man sei „grundsätzlich offen für innovative Verfahren“, heißt es aus dem Rathaus. Es handle sich jedoch um ein sehr neues Verfahren, zu dem bislang keine Erfahrungswerte vorlägen.

Einige Vorbilder gibt es dennoch. So rüstet der Immobilienkonzern Vonovia derzeit ein Viertel in Bochum so um, dass Wasserstoff zur Wärmeversorgung genutzt werden kann – aber eben nur zum Teil.

So sollen 81 von 1541 Wohnungen auf diese Weise versorgt werden. Der Strom, der zur Wasserstoff-Produktion benötigt wird, stammt zu einem Viertel aus eigenen Solaranlagen, die sich auf den Dächern der Wohnhäuser befinden; der Rest ist Ökostrom aus dem Netz.

Modellprojekt in Krefeld gescheitert

In Krefeld existierte von 2005 bis 2008 ein ähnliches Projekt. Ein Brennstoffzellen-Kraftwerk versorgte zwei Häuserblocks mit Wärme und Strom. Um „grünen“ Wasserstoff handelte es sich dabei aber nicht.

Stattdessen wurden die Brennstoffzellen mit Erdgas betrieben, was in der Umweltbilanz trotzdem besser ausfiel als der vorherige Heizkessel. Dennoch wurde der Versuch am Ende eingestellt.

„Es war, salopp gesagt, schweineteuer“, sagt Arno Gedigk, der damals zuständige Ingenieur. Außerdem sei die Anlage häufig ausgefallen. „Inzwischen haben wir einen Holzpellet-Ofen in dem Gebäude installiert“, sagt Gedigk. „Der läuft super.“

Illustration eines Wohnhauses mit begrüntem Vordach
So sollen die Häuser im Gütersloher „H2-Revier“ einmal aussehen. Die ersten Erschließungsarbeiten laufen bereits.

Ist die Zeit also doch noch nicht reif für ein „H2-Revier“? Christopher Hebling, Wasserstoff-Experte am Fraunhofer-Institut ISE in Freiburg, sieht das anders.

„Gerade in Regionen, die ein großes Potenzial an erneuerbaren Energien haben, ergibt so ein Projekt Sinn“, sagt Hebling. Wo Wind, Sonne und Biomasse verfügbar seien, könne man sie auch nutzen, zumal der Wasserstoff dann wirklich „grün“ ist und nicht etwa mit Kohlestrom hergestellt wird.

Ein Schritt zur Klimaneutralität

Der CEO der Deutschen Energieagentur, Andreas Kuhlmann, klingt noch begeisterter. „Aus unserer Sicht hat die Thematik eindeutig Zukunft“, sagt Kuhlmann. Momentan werde das Potenzial von dezentral genutztem Wasserstoff noch stark unterschätzt – Gütersloh sei dafür ein gutes Beispiel.

Aber auch Kuhlmann räumt ein, dass die Herstellung von Wasserstoff aktuell teurer ist als die Nutzung fossiler Brennstoffe. „Um eine Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, wird eine Kombination aus verschiedenen Technologien erforderlich sein“, schlussfolgert der Experte. „Es gibt da kein Entweder/Oder.“

Und was ist mit Fernwärme oder Wärmepumpen? „Das hängt sehr stark von der individuellen Einsatzsituation ab“, sagt Kuhlmann. Wasserstoff sei in jedem Fall gut, um kalte, dunkle Wintermonate zu überbrücken.

Luftbild eines Wohngebiets mit angrenzendem Feld
Hier entsteht das autarke Wohngebiet in Gütersloh: Das Areal bis zum Feldweg wird bebaut.

Solchen Ansporn hört Dimitrios Tassikas in Gütersloh natürlich gerne. Insgesamt veranschlagt er sechs bis sieben Jahre, um das komplette Quartier zu realisieren. Die Pläne sehen auch diverse Ladestationen für Elektroautos und eine Tankstelle für Wasserstoff-Fahrzeuge vor.

„Ich bin total optimistisch, was das Projekt angeht“, sagt Tassikas.

Und tatsächlich: Die Baugenehmigung wurde erteilt. Seit Mitte Mai laufen die Erschließungsarbeiten im Baugebiet.

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