Steht die künstliche Intelligenz vor dem nächsten Sprung?

Ein neuer Computerchip soll mehr Synapsen simulieren als das menschliche Gehirn hat. Rechenzentren testen die Hardware, auch in Deutschland. Hirnforscher zeigen sich skeptisch.

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Eine Mitarbeiterin hält den KI-Chip von Cerebras, um dessen außerordentliche Größe zu veranschaulichen.

Lässt sich das menschliche Gehirn mit einem Computerchip von der Größe eines Esstellers simulieren? Zumindest macht das der kalifornische Hardware-Hersteller „Cerebras“ glauben. Dessen goldgelber Chip „WSE-2“ enthält so viel Rechenpower wie kein anderer. Dank seiner speziellen Verdrahtung soll WSE-2 die bislang größten Deep-Learning-Netze ermöglichen. Das sind lernfähige Algorithmen, die das neuronale Netz aus Nervenzellen und Synapsen im menschlichen Gehirn grob nachahmen. WSE-2 ermögliche einen Sprung zu Deep-Learning-Netzen „im Maßstab des menschlichen Gehirns“, posaunt Cerebras.

Steht die KI vor dem großen Durchbruch? Was sagen Hirnforscher zur steilen These von Cerebras?

Ähnlich wie Cerebras äußerte sich zuletzt einer der führenden KI-Forscher, Nando de Freitas von Googles Schwesterfirma Deepmind: Man müsse Deep-Learning-Netze nur immer weiter vergrößern, um schließlich eine „Allgemeine Künstliche Intelligenz“ zu erhalten, also eine Software, die genauso vielseitig lernen und denken kann wie ein Mensch. Eine der größten Fragen der Wissenschaft, wie der menschliche Geist funktioniert, hätte eine simple Antwort: Vernetze möglichst viele simulierte Neuronen über möglichst vielen simulierten Synapsen untereinander und trainiere das resultierende Netzwerk mit möglichst großen Datenmengen. Dabei lernt das Netz Muster zu erkennen, etwa Gesichter oder es lernt, sinnvoll klingende Texte zu verfassen.

Firmen wie Deepmind oder OpenAI haben nach diesem Rezept Erfolge erzielt: Je größer die Deep-Learning-Netze wurden, desto näher am Menschen wirkten ihre Leistungen. Zuletzt so sehr, dass ein Google-Mitarbeiter der Software „Lamda“ des Unternehmens ein Bewusstsein zuschrieb, weil sie einen philosophisch klingenden Dialog mit ihm geführt hatte.

Der Chip von Cerebras rechnet jetzt auch in Deutschland

Dabei sind selbst die größten Deep-Learning-Netze verglichen mit dem Gehirn klein: Sie besitzen einige Billionen künstliche Synapsen, also nur einige Prozent der Synapsenzahl des Gehirns. Die weitere Vergrößerung stößt indessen an Grenzen. Große Deep-Learning-Netze verteilen sich auf hunderte Prozessoren, zwischen denen beim Lernvorgang ständig Daten fließen. Man könnte zwar die Zahl der Prozessoren weiter erhöhen. Doch der Datenverkehr zwischen ihnen würde überproportional wachsen – bei begrenzter Bandbreite der Datenleitungen. Die Folge: Je größer das Netz wird, desto träger wird es auch. Es kann Tage dauern, um eine neue Aufgabe zu trainieren. Kein Vergleich mit einem Kleinkind, das anhand von zwei oder drei Beispielen lernt, wie Fische aussehen.

Der KI-Chip WSE-2 von Cerebras ist so groß wie ein Essteller und damit der wohl größte Computerchip der Welt.
Der KI-Chip WSE-2 von Cerebras ist so groß wie ein Essteller und damit der wohl größte Computerchip der Welt.