Terror, Flucht und Machtspiele

Der Fall von Kabul und die weltweiten Folgen

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
4 Minuten
Zwei Bundeswehrsoldaten sitzen auf einem UN-Panzerfahrzeug in Mali

Islamistische Bewegungen in Afrika und Asien fühlen sich vom Erfolg der Taliban gestärkt – und nicht nur westliche Staaten fürchten Sicherheitsprobleme durch Flüchtlingswellen und terroristische Bedrohung. Ein globaler Überblick.

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Die Afghanistan-Krise hat auf der ganzen Welt Erschütterungen ausgelöst. Nicht nur die deutsche Außenpolitik hat angesichts ihrer Fehleinschätzung der Lage eklatante Schwächen offenbart. Das britische Establishment beispielsweise sei ebenfalls in eine tiefe Sinnkrise geraten, schreibt Peter Stäuber in London: „Auf einmal wird auch den Anhängern von, Global Britain’ klar, dass ihr Land ohne die Unterstützung des vermeintlich wichtigsten Verbündeten, der USA, keinerlei Einfluss hat in der Welt und nicht viel mehr ist als eine einsame, verregnete Insel im Atlantik.“

Die Folgen der dramatischen Wochen am Hindukusch hinterlassen aber auch in anderen Ländern rund um den Globus ihre Spuren – nicht zuletzt bei den vermeintlichen Profiteuren wie China und Russland. Tatsächlich sei dem Regime in Peking wenig zum Lachen zumute, meint China-Korrespondent Fabian Kretschmer. Mit den Taliban habe Peking schließlich ein islamistisches Regime vor der eigenen Haustür, dessen Ideologie auch die uigurische Unabhängigkeitsbewegung in Xinjiang beflügeln könnte. Und auch Russland bereiten die Sicherheitsprobleme an den Grenzen der Nachbarstaaten Tadschikistan oder Usbekistan Kopfzerbrechen: Putin selbst warnt vor möglicherweise Millionen Flüchtlingen – und vor getarnten islamistischen Kämpfern, die „auf Eseln oder Autos durch die Steppe“ Richtung Norden aufbrechen könnten, berichtet Stefan Scholl aus Moskau.

Junge Indonesier demonstrieren auf Mopeds mit Fahnen der Ka'abah-Jugendbewegung (GPK)
Anhänger der radikal-islamischen Ka'bah-Jugendbewegung (GPK) bei einer Demonstration in Jogjakarta, Indonesien

In Indonesien steigt unterdessen die Furcht vor einer Rückkehr des Terrors. Schon in den 2000er-Jahren gingen zahlreiche Selbstmordattentate auf das Konto Al-Quaida-naher Gruppe, deren Anhänger zum Teil in Afghanistan ausgebildet worden waren. Junge Muslime könnten sich angesichts des Erfolgs der Taliban zu extremistischen Gruppen hingezogen fühlen – auch angesichts der wirtschaftlichen Aussichtslosigkeit, in der Indonesien in Folge der Corona-Krise steckt. In Mali dagegen kämpft die Regierung schon seit Langem gegen dschihadistische Gruppen mit Verbindungen zum Al-Qaida-Netzwerk und dem IS. Nach dem Ende der Militärmission in Afghanistan ist das westafrikanische Land das wichtigste Einsatzland der Bundeswehr. „Deutschland gibt hier Frankreichs loyalen Verbündeten auf dem Beifahrersitz“, schreibt Afrika-Reporterin Bettina Rühl. Trotz wachsender Proteste und Kritik am „Wie“ der französischen Militäroperation im Sahel fürchten die Menschen hier nun ebenfalls die Folgen eines möglicherweise überstürzten Abzugs.

„Kein Parkplatz für Flüchtlinge“

Ein anderes Problem ist die aus der Panik geborene Fluchtbewegung. Viele westliche Länder haben Tausende Menschen aus Kabul ausgeflogen, nehmen diese nun aber nur zögerlich auf. Dänemark etwa hat Abschiebungen nach Afghanistan vorläufig nur bis Oktober ausgesetzt. Bislang ist unklar, wie lange die aus Kabul Geflüchteten bleiben dürfen, berichtet Julia Wäschenbach aus Kopenhagen.

Washington hat viele der Evakuierten gar nicht erst ins eigene Land gebracht und stattdessen befreundete Staaten gebeten, Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen, bis ihre Einreise in die USA genehmigt werde. Albanien, Kosovo und Nordmazedonien haben daraufhin mehrere tausend frühere Ortskräfte der US-Armee mit offenen Armen empfangen. Vermutlich nicht ohne Selbstzweck: Die Balkanstaaten warten seit langem auf eine Integration in die EU und suchen nach neuen Verbündeten. Auch Serbien hoffe weiterhin auf einen EU-Beitritt, erklärt Balkan-Korrespondentin Danja Antonovic. Regierungschef Aleksandar Vucic sucht daher die Nähe zum österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz und betont, dass sein Land „kein Parkplatz für Flüchtlinge“ sei.

Osteuropa-Korrespondent Paul Flückiger spricht mit Flüchtlingen, die hinter dem litauischen Grenzzaun zu Belarus stehen.
Osteuropa-Korrespondent Paul Flückiger im Gespräch mit Flüchtlingen an der litauischen Grenze zu Belarus

Derweil sorgen 32 Migrantïnnen aus Afghanistan und dem Irak für Wirbel, die mutmaßlich mit Hilfe des belarussischen Regimes über den Flughafen Minsk an die EU-Außengrenze von Polen gebracht worden sind. Autokrat Alexander Lukaschenko setze diese Flüchtlinge als „menschliche Waffe“ in einem hybriden Krieg gegen die EU ein, um Brüssel zu Verhandlungen mit Minsk zu zwingen, kommentiert Paul Flückiger aus Warschau. Die Leidtragenden dieses Seilziehens seien die Flüchtlinge.

Weltreporterin Theresa Breuer warnt angesichts von geopolitischen Machtspielen und Hinhaltetaktik vor einem Vertrauensverlust in die Politik – auch in Europa. Vor rund drei Wochen gelang es ihr, in einer dramatischen Rettungsaktion der „Kabul Luftbrücke“ fast 200 Menschen aus Afghanistan zu evakuieren. Bis heute warten einige der Geflüchteten in Drittländern auf ihre Genehmigung zu Einreise nach Deutschland, obwohl sie bereits vor Abflug auf der Evakuierungsliste des Auswärtigen Amtes standen.

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