Ein Festival in Peru bringt Alpen und Anden zusammen
Das Internationale Festival der Hochgebirgsmusik bietet mehr als Jodeln und Panflöten.

Ob im Radio oder auf der Bühne: Ein einzigartiges Weltmusik-Festival in Peru bringt Musikerïnnen aus den Alpen, dem Himalaya, den Anden und weiteren Gebirgsregionen zusammen. Sie schaffen Musik mit Bodenhaftung und Blick in den Himmel.
“Munaspaqa Suyaykuway” – wenn du willst, warte auf mich, bis ich zurückkomme. In hohen, klagenden, sich wiederholenden Tönen, besingt Consuelo Jerí das Flehen eines Mannes an seine Liebste, auf ihn zu warten, bis er von seiner Reise nach Huamanga zurückkehrt. In ihrem Gesang schwingt die Erhabenheit der Andengipfel mit, aber auch die Einsamkeit ihrer Bewohnerïnnen und der Respekt vor den Naturgewalten, die das Leben in den Anden bestimmen.
Die meisten Zuhörerïnnen im Parque de la Exposición mitten in der Hauptstadt Lima kennen die Anden nur noch von kurzen Besuchen. Dennoch klatschen sie begeistert. Es ist die Musik ihrer Eltern und Großeltern, die vor Jahren dem Bergdorf den Rücken gekehrt haben, um in den Küstenstädten ein besseres Leben zu führen und ihren Kindern mehr Bildung zu ermöglichen.
Auch die Volkssängerin Consuelo Jerí hat nur noch Kindheitserinnerungen an ihr Heimatdorf Santiago de Paucaray im Departament Ayacucho. Als sie acht Jahre war, musste ihre Familie das Dorf fluchtartig verlassen – ein Schicksal, das sie mit Tausenden von Andenbewohnerïnnen vor allem in Ayacucho teilte.
Der Klang des Heimwehs
Consuelo Jerís Vater war Lehrer und ins Visier der maoistischen Terrorbewegung „Leuchtender Pfad“ geraten. Die Sehnsucht nach ihrer Heimat begleitete Jerí auf ihren weiteren Stationen: der Sekundarschule im Städtchen Puquio, dem Zahnmedizinstudium in der Küstenstadt Ica und schließlich in der Hauptstadt Lima, wo sie seit vielen Jahren lebt. „Ich wollte immer zurück in die Anden”, sagt Consuelo Jerí. “Die Musik ist meine Art, heim zu kommen.“
Consuelo Jerí singt “Munaspaqa Suyaykuway”, begleitet vom Gitarristen Ricardo Villanueva.
Consuelo Jerí ist heute eine der bekanntesten peruanischen Sängerinnen traditioneller Volksmusik. Dass sie inzwischen die Volksmusik der Alpen ebenso wie die des Himalaja kennengelernt hat und mit Kolleginnen aus der Schweiz, Indien und Italien auf der Bühne steht, verdankt sie dem „Festival Internacional de Musica de Alturas“, dem Internationalen Festival der Hochgebirgsmusik, kurz Fima genannt. Von 2014 bis 2019 fand es vier Mal in Lima statt und versammelte eine immer größere Fangemeinde.

Diese Frau macht die Musik möglich
Der Kopf hinter dem Festival für Hochgebirgsmusik ist eine quirlige Peruanerin: Liana Cisneros (55). Die studierte Journalistin hat an vielen Orten auf der Welt gelebt, nur nicht in den Anden: Geboren im Amazonasgebiet, kam sie als Kind nach Lima. Vor dreißig Jahren zog es sie in die weite Welt. Ihre heimatlichen Anden hatte sie kaum kennengelernt. Es war die Zeit des Terrorismus, und niemand fuhr des Vergnügens wegen in die Berge.
Ihre Liebe zu den Bergen entdeckte sie erst in der Schweiz, als sie für ein paar Jahre in der Nähe von Zürich lebte. „Wir wohnten direkt an einem Berg und begannen zu wandern.“ So wie es in der Schweiz und den Alpenländern gang und gäbe ist – aber nicht in den Anden, wo Reisen und Fußwege bis heute mit Beschwernis, Terrorismus und Angst vor Steinschlag, Abstürzen oder Überfällen verbunden sind.
Als Liana Cisneros 2011 wieder nach Lima zog, kam ihr die Idee für ein Festival für die Musik aus den Anden Form an. Die Welt der Anden ist in der Hauptstadt immer noch als hinterwäldlerisch verschrien, als Ort armer, indigener, vor-moderner Bauern. „Ich wollte etwas gegen das Stigma der Andenmusik machen, diese Musik in die Konzertsäle holen und in der Welt bekannt machen“, erinnert sich Liana Cisneros.
Finanzierung ist ein Kraftakt
Da es in Peru kaum staatliche Kulturförderung gibt, musste sie Klinken putzen bei Botschaften und Firmen. Der Schweizer Botschafter war sofort Feuer und Flamme, sagt Liana Cisneros. Er bot an, die Reisekosten einer Schweizer Gruppe zu übernehmen. Das ursprünglich als Andenmusik-Festival angedachte Ereignis wurde so zum Internationalen Festival der Hochgebirgsmusik.
Musikerïnnen aus der Schweiz, Österreich, Deutschland, Italien, Frankreich, aber auch Indien und den Andenländern von Kolumbien bis Chile trafen sich 2014, 2016, 2017 und 2019 in Lima, um gemeinsam Musik zu machen. Das Hauptfestival in Lima war kostenlos – weil Liana Cisneros und ihr inzwischen 14-köpfiges Projektteam bisher immer erfolgreich private und staatliche Fördergelder auftaten, um die Reisekosten der verschiedenen Musikgruppen zu decken.

Corona: Radio statt Freilichtbühne
Auch für 2020 war bereits ein Festival in Vorbereitung, als die Corona-Pandemie Liana Cisneros und ihren Mitstreiterïnnen einen Strich durch die Rechnung machte. Peru verordnete zuerst einen strengen Lockdown, der erst nach und nach gelockert wurde; Präsenzveranstaltungen wurden verboten, und sind es, mit Einschränkungen, bis heute. Doch Liana Cisneros machte aus der Krise das Beste und stellt nun wöchentlich ein Radioprogramm mit Hochgebirgsmusik, Interviews der Künstlerïnnen und Hintergrundinformationen zusammen. Dabei greift sie auf die Musik der vergangenen Festivals und die vielfältigen Kontakte zu Musikerïnnen zurück. Auf den Radiowellen reist so ein Teil des Festivals in die Anden, solange das echte Reisen verboten oder mit Risiken behaftet ist.
Denn das Festival beschränkte sich nicht auf Konzerte in der Hauptstadt.
Alpenmusik in den Anden
Zu den Konzerten in der Hauptstadt kamen Konzerte in mehreren Städten und Dörfern in den Anden. Thomas Aeschbacher war 2017 mit seiner Schweizer Volksmusikgruppe „Pflanzplätz“ zum Festival eingeladen. Sie fuhren nach Vilcashuaman in der RegionAyacucho, um dort ein Konzert zu geben. Dort wurden sie vom ganzen Dorf mit einem Fest empfangen.

„Die Herzlichkeit der Leute ist mir heute noch sehr präsent“, sagt Thomas Aeschbacher. Beeindruckt hat ihn die Ursprünglichkeit der Andenmusik. „Mich hat erstaunt, wie archaisch die Musik in den Dörfern noch ist“, sagt Aeschbacher. „Ich habe meine Vorurteile gegen peruanische Musik total widerlegt.“
Wie so viele verband Aeschbacher bis dahin peruanische Folklore mit den Panflötenspielern, die in europäischen Fußgängerzonen unterwegs sind. Dabei sei die peruanische Volksmusik viel mehr mit der Natur oder der Weltsicht verbunden, als dies in der alpinen Volksmusik heute der Fall sei. „Hier bei uns sind es ja oft Vereine, die die Volksmusik als Hobby pflegen.“
Der Berg ruft – in der Stadt
Consuelo Jerí bestätigt wie sehr ihre Musik mit der Natur verbunden und in den bäuerlichen Alltag integriert ist: „Wir besingen mit der Musik unsere Erde, unsere Pachamama, auf der wir arbeiten.“ Die Musik erinnert sie an das Erbe ihrer Großeltern und an das Quechua, das sie gesprochen haben. „Es weckt Heimweh nach dem Dorf, und entführt uns aus unseren engen Wohnungen in der Großstadt.”
Consuelo Jerí macht aber auch Gemeinsamkeiten zwischen all den Hochgebirgsmusikerïnnen aus: „Wir alle wollen mit der Musik unser traditionelles Wissen bewahren und weitergeben, wir sammeln alte Lieder oder spielen auf alten, vergessenen Instrumenten.“ Es ist keine kommerzielle Musik, die man in den gängigen Radiosendern hört. Und dennoch wollen viele diese Volksmusik hören..
Wegen Corona bis 2023 im Radio
Aus der Idee zu einem Festival der Andenmusik ist innerhalb von sieben Jahren ein bekanntes internationales Festival und ein Radioprogramm geworden, das man online nachhören kann. Der Erfolg der Radiosendung widerspricht einem Vorurteil, dass die Menschen keine anspruchsvollen Kulturprogramme hören wollen. „Inzwischen strahlen 15 Radios in zehn Regionen Perus unser Programm auf Spanisch und Quechua aus“, erzählt Liana Cisneros stolz.
Schlussvideo: Musikerïnnen aus der Schweiz, Österreich, Kolumbien und Peru spielen zusammen “El Cilulo”, ein bekanntes peruanisches Volkslied im Carnavalito-Rhythmus.