Venezuela: Reise durch ein Land in der Krise

Wie man in einem Land überlebt, in der die Tasse Kaffee soviel kostet wie in Deutschland und die Löhne niedriger sind als in Haiti

13 Minuten
Enge Straße mit Blick auf Caracas, rechts und links ärmliche Häuser, darüber Stromleitungen. Ein Mann in kurzen Hosen läuft die Strasse hoch. An der Wand ein Graffiti: Maduro Mörder.

Etwas bange nähere ich mich der Simon-Bolivar-Brücke. Sie trennt Venezuela und Kolumbien und galt bis vor wenigen Monaten als eine der gefährlichsten Grenzen Südamerikas, die von korrupten Grenzwächtern und der Schmuggelmafia dominiert war. Doch meine Angst ist unbegründet. Es herrscht lebendiges Hin und Her.

Busse und Lastwagen halten vor der Brücke über den Fluss Táchira, die beide Länder trennt. Menschen mit Koffern, Jutebeuteln und Reisetaschen steigen aus, Lastenträger bieten ihre Dienste an. Kuriere buhlen um die Ankommenden, wollen Geld tauschen oder gegen ein paar Cent bei den Einreiseformalitäten helfen. Eine Frau verkauft heißen Kaffee in kleinen Plastikbechern.

Die einen verlassen zum ersten Mal Venezuela, andere kommen nach Jahren der Migration zurück, wieder andere fahren jeden Tag über die Grenze, um Waren zu kaufen. Ein junger Mann, Reinaldo, wirbt per Megafon um Frauen, die ihm ihr Haar verkaufen wollen.

Mit dem Verkauf ihrer Haare können sich Migrantinnen ein paar Pesos verdienen, die sie auf ihrer langen Reise durch Kolumbien, Ecuador oder Peru brauchen werden. Reinaldo wird die Haare gewinnbringend an Perückenmacher verkaufen. Es ist eines der vielen neuen Geschäfte, die die Migration mit sich bringt.

Strasse mit Schild oben: internationale Brücke Simon Bolivar. Menschen mit Rollkoffern laufen in beide Richtungen
Der Grenzübergang zwischen Kolumbien und Venezuela ist seit Januar 2023 wieder für Publikumsverkehr geöffnet. Sieben Jahre lang mussten Grenzgänger einen gefährlichen Schmuggelweg über den Fluss nehmen.

Wieder frei die Grenze überqueren

Sieben Jahre lang war der Grenzposten zwischen der kolumbianischen Stadt Cúcuta und San Antonio auf der venezolanischen Seite geschlossen, die diplomatischen Beziehungen zwischen Kolumbien und Venezuela eingefroren. Erst der 2022 in Kolumbien gewählte linke Gustavo Petro hat das Gespräch mit Nicolás Maduro, seinem Amtskollegen in Caracas, wieder aufgenommen.

Erster Erfolg: die Öffnung der Grenze. Seitdem müssen die Venezolaner, die ihr Land verlassen oder zurückkehren, nicht mehr Polizisten schmieren und Räubern ausweichen, um über einen der gefährlichen Schleichwege die Grenze zu passieren.

Mehrmals war ich in Venezuela für Recherchen, zuletzt vor drei Jahren. Ich war Zeugin des wirtschaftlichen Zusammenbruchs, habe die zunehmende Verzweiflung im Land dokumentiert. Und haben staunenden Auges gesehen, wie Peru, wo ich seit 22 Jahren lebe, binnen eines Jahres vom Aus- zum Einwanderungsland wurde.

Junger Mann mit Vollbart und Glatze blickt in die Kamera
Danny Cañizalez ist nach fünf Jahren in Peru wieder in seine Heimat zurückgekehrt. Doch bleiben möchte er nicht. „Ich möchte einfach ein ruhiges, stabiles Leben führen. Das geht in Venezuela nicht.“
Ladenregale mit Kaffeepäckchen verschiedener Sorten, darunter handgeschrieben der Preis. Die Zahl bezieht sich auf US-Dollar. Ein Pfund Kaffee kostet rund 8 – 9 Dollar.
Die Preisschilder beziehen sich auf US-Dollar, die inzwischen inoffizielle Währung in Venezuela. Ein Pfund Kaffee kostet fast 9 Dollar. Das verdient eine Lehrerin im Staatsdienst im Monat.
Verkaufsfläche mit Tischen, Haushaltsgegenstände mit Designer-Marken
Das Nobeleinkaufszentrum Avanti in Caracas bietet Designermarken aus aller Welt für die Reichen des Landes.
Zwei Motorräder sind vor einer Wand geparkt, ein paar Meter daneben stehen drei Männer, die Fahrer, die auf Kundschaft warten.
Mototoaxifahrer in Caracas warten auf Kundschaft. Inzwischen ist Benzin so knapp, dass die Menschen einfacher ein Motorrad-Taxi nehmen als ein Auto.
Portrait einer Frau mit grauen kurzen Locken, und braunen Augen, rund 65 Jahre, blickt in die Kamera.
María Inés Ortíz, 66 Jahre, hat vier Jobs, um über die Runden zu kommen, und erhält noch Geld von ihrer Tochter, die in die USA ausgewandert ist.