Erste Studie zu Gesundheitsschäden durch die tunesische Phosphatindustrie

Eine lange erwartete Studie bringt weniger klare Ergebnisse als erhofft, weist aber auf massive Probleme des Gesundheitssystems und eine lückenhafte Datenlage hin.

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
7 Minuten
Schornsteine, aus denen gelbliche Abgase austreten

Wenn man in Tunesien den Ort Gabes erwähnt, dann denken die meisten in erster Linie an Phosphat, Gestank und Umweltverschmutzung. Die Küstenstadt im Südosten des Landes, früher eine verschlafene Oasenstadt am Mittelmeer, ist seit fast fünfzig Jahren das Zentrum der tunesischen Chemieindustrie. Seit dem politischen Umbruch 2010/2011 machen die Bewohner immer wieder lautstark auf die Probleme aufmerksam, die damit einhergehen. Zur Zeit der Diktatur war das noch unmöglich. Während die Umweltbelastung nicht zu übersehen, vergleichsweise gut dokumentiert und auch von den Verantwortlichen anerkannt ist, werden mögliche gesundheitliche Schäden der Bevölkerung durch die Phosphatindustrie unter den Teppich gekehrt.

Anwohner und lokales Gesundheitspersonal klagen über Atemwegserkrankungen und eine erhöhte Anzahl von Krebserkrankungen, aber die staatlichen Chemiewerke (Groupe Chimique Tunisien, GCT) weisen die Verantwortung von sich. Eine von der EU finanzierte Untersuchung sollte 2017 erstmals umfassend den Einfluss auf die Gesundheit der Bevölkerung liefern. Sie wurde gespannt erwartet, aber nie öffentlich vorgestellt. Jetzt ist der Bericht trotzdem zugänglich – und fällt weniger eindeutig aus, als es sich die Konfliktparteien erhofft hatten.

Wenn man Richtung Gabes fährt riecht man die Stadt, bevor man sie sieht. Die Abgase des Industriegebiets stechen in der Nase und belasten die rund 140 000 Einwohner. Bereits bei einer Recherche 2012 erzählte mir Mondher, ein Krankenpfleger und Mitglied der „Vereinigung zum Schutz der Oase von Chatt Essalam“, einem Vorort, der direkt ans Industriegebiet grenzt, dass er die Folgen täglich in seiner Arbeit sehen würde: Asthma, Hautkrankheiten, Krebserkrankungen und Missbildungen bei Neugeborenen seien an der Tagesordung. „Die Anzahl der Todesfälle geht jedes Jahr hoch. Ein Kind, das heute geboren wird, stirbt mit vierzig oder fünfzig Jahre an Krankheiten, die früher kaum aufgetreten sind.“

Seit anderthalb Jahren wird in der Region erstmals ernsthaft über die Verlegung der Chemiewerke und den Einsatz moderner Technologien diskutiert. Die Klagen über die Gefahr für die Bevölkerung sind nach wie vor die gleichen: Mohamed Jridi vom Kollektiv „Stop pollution“ engagiert sich seit Jahren mit einer Reihe an vor allem jungen Mitstreitern für einen besseren Schutz der Bewohner der Region. Die Emissionen und insbesondere die im Phosphorgips, einem Nebenprodukt der Phosphatverarbeitung, enthaltenen Schwermetalle, wie zum Beispiel das schwach radioaktive Cadmium seien außerdem für massive gesundheitliche Schäden bei der Bevölkerung verantwortlich, ist er überzeugt. Sie zahle den Preis dafür, dass jährlich 5 Millionen Tonnen Phosphorgips ungefiltert ins Meer und Abgase in die Luft geleitet würden.

Hinter einer offenen Lagerhalle sind meterhohe Berge eines gelblichen Pulvers gelagert.
Vor der Weiterverarbeitung wird das Phosphat unter freiem Himmel gelagert.
Screenshot mit URL und Abrufdatum der zitierten Studie
Die Studie wurde nie vorgestellt, steht aber offen zugänglich im Netz
Eine schwarze, zähflüssige Masse wird aus einer Fabrik geleitet.
Phosphorgips, ein schwach radioaktives Abfallprodukt der Phosphatverarbeitung, wird in Gabes seit Gründung der Chemiewerke 1972 ungefiltert ins Meer geleitet.
Screenshot einer Tabelle aus der Studie
In rot: Krankheiten, bei denen ein Zusammenhang zur Chemieindustrie nicht ausgeschlossen werden kann.
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