„Ohne Organspende hätte ich die Revolution nicht miterleben können“

Die bekannte tunesische Bloggerin Lina Ben Mhenni hofft, dass ein Film die Mentalitäten in ihrer Heimat ändert.

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
7 Minuten
Die tunesische Aktivistin Lina Ben Mhenni vor einer Reihe von Fotos im Haus ihrer Eltern

Vor neun Jahren war Lina Ben Mhenni eine der ersten, die live von den Aufständen und dem Umbruch in Tunesien berichtete. Sie engagiert sich bis heute nicht nur politisch, sondern auch für Organspenden. Denn die Bloggerin hatte nach einem Nierenversagen und zwei Jahren Dialyse 2007 eine Spenderniere von ihrer Mutter erhalten. Diese hatte es der energiegeladenen jungen Frau ermöglicht, als die Aufstände gegen das Regime von Machthaber Ben Ali in Tunesien im Dezember 2010 losgingen, durchs Land zu fahren. Auf den sozialen Netzwerken und ihrem Blog A Tunisian Girl berichtete sie damals über die Proteste und wurde dadurch international bekannt.

Doch seit einiger Zeit leidet sie erneut unter gesundheitlichen Problemen, die sie sehr geschwächt haben. Seit zwei Monaten hat sie das Haus quasi nur verlassen, um zum Arzt zu gehen. Nur zwei Anlässe hat sie sich nicht nehmen lassen: die Feier zum 14. Januar, Jahrestag der Flucht von Ben Ali, und die Premiere von Mehdi Barsaouis Spielfilm „A son“, ein Drama über Organhandel. Der Film, der unter anderem beim Filmfestival in Venedig und dem Filmfest Hamburg ausgezeichnet wurde, könnte in ihrer Heimat die Debatte voranbringen, hofft die 36-Jährige.

Sie haben den Film vor Kurzem gesehen. Wie finden Sie ihn?

Er hat mich sehr bewegt, weil er eine ganze Reihe gesellschaftlicher Probleme anspricht, allen voran das Thema Organspenden. Das liegt mir ganz besonders am Herzen und ist Teil meines Alltags. Der Film richtet sich an die tunesische Gesellschaft, aber auch an die ganze Welt.

Warum?

Weil er zeigt, wie wichtig Organspenden sind und wie schwerwiegend die Folgen des Organhandels sind. Dieser ist in vielen Ländern ein Problem, weil es so schwer ist, legal an ein Organ zu kommen. Denn die Gesetze zur Organspende sind sehr strikt und es gibt wenige Länder, in denen Menschen automatisch als Geber geführt werden, solange sie nicht widersprechen. In Tunesien ist dies nicht der Fall und auch die Regelungen zur Lebendspende sind sehr strikt. Nur die direkten Angehörigen und Ehepartner dürfen spenden. Das reduziert die Chancen von Patienten, ein passendes Organ zu finden. Selbst wenn jemand spenden will, darf er das nicht. Meine Spenderniere, die ich seit 2007 habe, ist heute sehr geschwächt. Ich brauche voraussichtlich in wenigen Monaten eine neue. Mehrere Freunde von mir würden sich gerne auf Kompatibilität testen lassen, aber das ist verboten. Ziel ist es, Organhandel zu unterbinden, aber ich habe den Eindruck, dass dies vor allem negative Auswirkungen hat. Denn die Patienten versuchen, im Ausland eine Lösung zu finden. Ich kenne mehrere Personen, die nach Ägypten gereist sind, um dort ein Spenderorgan zu bekommen, weil sie keine andere Lösung gesehen haben. Ich bin absolut dagegen. Organe müssen freiwillig gespendet werden.

Filmstill aus dem Film „A son“, in dem der Vater des Kindes und ein Arzt zusammensitzen.
Der Film „A son“ von Mehdi Barsaoui schildert eindrücklich, wie eine Familie zu zerbrechen droht, als der Sohn auf ein Spenderorgan wartet.