Südafrika: Was hilft, ist nur ein politischer Machtwechsel

Der südafrikanische Politikwissenschaftler William Gumede darüber, wie Korruption Südafrika verändert hat, Parallelen zwischen dem ANC und anderen afrikanischen Befreiungsbewegungen und die Frage, warum sich einige Wähler wie Fußballfans verhalten.

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
10 Minuten
Der Polikwissenschaflter trägt einen hellblauen Anzug und lächelt in die Kamera.

Südafrika debattiert derzeit über die Konsequenzen aus dem sogenannten „Digital Vibes“-Skandal, den Enthüllungsjournalistïnnen während der Corona-Pandemie aufgedeckt haben. Es ist ein klassischer Fall von Vetternwirtschaft. Das gleichnamige Unternehmen einer Bekannten von Gesundheitsministers Zweli Mkhize wurde mit einer PR-Kampagne beauftragt. Millionen wurden veruntreut. Statt in Covid-19-Öffentlichkeitsarbeit flossen sie unter anderem in Gucci-Taschen und die Renovierung von Privathäusern.

Ein Untersuchungsbericht brachte eine ganze Liste weiterer Details ans Tageslicht. Es ist ein Fall von vielen: Kaum ein Tag vergeht in Südafrika ohne einen neuen Skandal oder neue Enthüllungen. Die ehemalige Befreiungsbewegung ANC regiert das Land seit der demokratischen Wende 1994. In dieser Zeit ist ein tiefer Korruptionssumpf gewachsen, der die Entwicklung des Landes hemmt und staatliche Einrichtungen schwächt.

Der Autor und Politikwissenschaftler William Gumede hat die Entwicklung seines Landes in unterschiedlichen Positionen vom Freiheitskampf bis heute aktiv begleitet. 2014 hat er die Stiftung Democracy Works gegründet, die sich in mehreren Ländern im Süden Afrikas für eine Stärkung demokratischer Strukturen einsetzt. Gumede ist Dozent an der University of the Witwatersrand in Johannesburg. Er schreibt Bücher, und ist in unterschiedlichen Bereichen in Politik, Medien und Gesellschaft aktiv.

Ein Gespräch über den Mann, der dafür gesorgt hat, dass Südafrikas Ex-Präsident Jacob Zuma medizinische Bewährung gewährt wurde, über Wähler wie Fußballfans und die Skepsis gegenüber politischen Koalitionen.

Von Seiten südafrikanischer Anti-Korruptionskämpfer heißt es immer wieder, die Korruption müsse eingedämmt werden, bevor sie „endemisch“ werde, das heißt, bevor sie sich so festsetzt, dass sie kaum mehr auszurotten ist. Schon jetzt sind Bestechungsgelder und Vetternwirtschaft in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens fast alltäglich geworden. Inwiefern hat Korruption Südafrika bereits verändert?

William Gumede: „Korruption hat Südafrika bereits auf vielfältige Weit verändert. Zum einen ist sie bereits so endemisch geworden, dass Bürgerïnnen nun für öffentliche Leistungen zahlen müssen, die eigentlich kostenlos sind. Sie müssen also Beamte bestechen, um diese Leistungen in absehbarer Zeit oder überhaupt in Anspruch nehmen zu können. Das bricht mir wirklich das Herz. Denn nach der demokratischen Wende 1994 hatten wir alle so viel Hoffnung für unser Land.

Die zweite Auswirkung der Korruption ist, dass es die Menschen zunehmend hoffnungslos und verzweifelt sind. Sie haben das Gefühl, dass alles nur schlimmer wird. Das bedeutet auch, dass sie auch immer weniger Interesse haben, etwas für das Land zu tun. Ebenso zögern Unternehmen damit, Geld zu investieren und damit auch Arbeitsplätze zu schaffen.

Drittens entscheiden sich insbesondere gut ausgebildete Südafrikanerïnnen angesichts der Korruption und Misswirtschaft, ihrer Heimat den Rücken zu kehren. Das sind Leute, die Steuern zahlen, Jobs schaffen, Fachkompetenzen und innovative Ideen haben, die das Land verändern könnten. Aber sie wandern scharenweise aus. Das sind längst nicht mehr nur weiße, sondern zunehmend auch Schwarze Südafrikaner.

Das ist ein Muster, das wir auch aus anderen afrikanischen Ländern kennen, in denen systemische Korruption herrscht. Wir haben das beispielsweise in Simbabwe, Algerien und Tunesien beobachten können. Diese Bürgerïnen fragen sich, ob Hoffnung auf Veränderungen besteht oder der politischen Willen dazu. Und wenn sie beides nicht sehen, wandern sie aus.

Der Verlust jeglichen Vertrauens in die Regierung führt auch dazu, dass Bürger, die es sich leisten können, zunehmend private Dienstleister für Leistungen bezahlen, die eigentlich in der Verantwortung des Staates liegen. Hier in Südafrika kollabieren beispielsweise staatliche Bildungs- oder Gesundheitseinrichtungen unter Korruption, Missmanagement und Inkompetenz. Familien schicken ihre Kinder deshalb auf Privatschulen und lassen sich in privaten Krankenhäusern behandeln.

Genauso ist es mit Blick auf die Polizei – private Sicherheitsdienste haben Hochkonjunktur. Immer mehr Menschen ziehen in geschützte Wohnviertel, die man kaum mehr verlassen muss, weil dort für alles gesorgt ist. Staatliche Einrichtungen werden nur noch selten benötigt, etwa zur Verlängerung des Reisepasses. Und selbst in diesen Bereichen gibt es private Dienstleister, die sich um die Abwicklung kümmern. Ich finde das eine schockierende Entwicklung.“

Der Regen hat den halben Schulhof weggespült, die blau-gestrichenen Gebäude sind renovierungsbedürftig. Im Hintergrund sieht kleine Häöuser auf grünen Hügeln.
Staatliche Grundschule in Inanda
eine Gruppe von Häusern auf einem grünen Feld [AI]
Großzügige Häuser mit uniform-grünen Dächern in einer Grünanlage, der Himmel ist blau
Geschütztes Wohnviertel bei Durban
Kleine Häuser auf den Hügeln eines Townships bei Durban
In Vierteln wie KwaMashu kommen Hilfen nicht an

Unter Südafrikas Ex-Präsident Jacob Zuma war das Korruptionsgeflecht in Regierung, öffentlicher Verwaltung und Staatskonzernen ja derart gewachsen, dass von „State Capture“, einem gekaperten Staat, die Rede ist. Sein Amtsnachfolger Cyril Ramaphosa hatte bei seinem Amtsantritt 2018 versprochen, dass er gegen Korruption vorgehen werde. Damit waren große Hoffnungen verbunden, die mittlerweile wieder verflogen sind. Denn den Worten sind kaum Taten gefolgt. Wie glaubwürdig ist Ramaphosa als Vorkämpfer gegen die Korruption?

William Gumede: „Nicht besonders. Es gibt in dieser Hinsicht leider nicht mehr viel Vertrauen in den amtierenden Präsidenten Cyril Ramaphosa. In den vergangenen drei Jahren gab es keine bedeutenden Verurteilungen und ebenso wenig Disziplinarverfahren innerhalb des ANC gegen Mitglieder, denen Vergehen vorgeworfen werden. Politiker, gegen die schwere Korruptionsvorwürfe bestehen, sitzen weiterhin im Kabinett und an hohen Parteipositionen. Daher fällt es schwer, Ramaphosa ernst zu nehmen. Es sieht wieder so aus, als würden lediglich lauter Versprechen gemacht, auf die dann keine Taten folgen.

Wenn man den Präsidenten fragt, warum er nicht handelt – zumindest bei offensichtlichen Fällen innerhalb seines Kabinetts, über das er als Präsident ja entscheiden kann – sagt er, dass das auf den Abschlussbericht der „State Capture“-Untersuchungskommission wartet. Er versteckt sich hinter diesem Bericht, statt selbst mutig zu handeln. Aber genau das wäre es, was das Land jetzt dringend braucht.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Der Vorsitzende der Strafvollzugsbehörde (Anm: Arthur Fraser), ist ein Mann gegen den es ebenfalls zahlreiche Korruptionsvorwürfe gibt. Und er ist ein enger Vertrauter Zumas. Er war der Direktor der Staatssicherheitsagentur, die nach allem, was bekannt ist, von systemischer Korruption, Missmanagement und Inkompetenz geprägt war. Aber Präsident Ramaphosa hat ihn nicht gefeuert, sondern auf eine andere einflussreiche Position versetzt. Die Konsequenzen sehen wir jetzt: Er (Anm: Fraser) hat sich über den Bewährungsausschuss hinweggesetzt und dafür gesorgt, dass Zuma aus medizinischen Gründen auf Bewährung freikommt.“ (Anm: Zuma war wegen Missachtung des Gerichts zu 15 Monaten Haft verurteilt worden)

Schafft es der ANC aus dem Korruptionssumpf?

Innerhalb des ANC werden ja erbitterte Flügelkämpfe ausgefochten, die den Handlungsspielraum Ramaphosas einschränken. Im Kern sind es zwei Flügel, auf der einen Seite Ramaphosas Anhänger, auf der anderen Politiker, die eine sogenannte „radikale ökonomische Transformation“ anstreben und teils Ex-Präsident Zuma loyal gegenüberstehen. Sie selbst haben mehrfach auf die Möglichkeit einer Spaltung der Partei hingewiesen. Doch selbst, wenn das geschehen würde, könnte sich der ANC tatsächlich aus eigener Kraft wieder aus diesem tiefen Korruptionssumpf herausarbeiten?