„Wir exportieren die Vorspeise und den Nachtisch, um das Hauptgericht importieren zu können.“

Die Umbrüche in der arabischen Welt seien keine urbanen Revolten, sondern Ergebnis jahrzehntelanger verfehlter Agrarpolitik, meint der Autor Habib Ayeb.

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
8 Minuten
Habib Ayeb

Wenn wir über die Umbrüche in der arabischen Welt in den letzten zehn Jahren sprechen, dann geht es oft um den Tahrir-Platz in Kairo, um die Straßen von Sanaa, Damaskus oder Tunis, um die sogenannte Jasminrevolution und den Widerstand gegen Zensur. Doch die Ursprünge der Aufständen liegen gar nicht so sehr in den politischen Forderungen nach Demokratie und Meinungsfreiheit, argumentieren die Wissenschaftler Ray Bush und Habib Ayeb in ihrem neuen Buch über die Zusammenhänge zwischen Nahrungsmittelfragen und den Revolutionsbewegungen. Habib Ayeb, Agraringenieur und Geograf, Dozent an der Universität Paris VIII, Filmemacher und Gründer der Beobachtungsstelle für Nahrungsmittelsouveränität und Umwelt forscht seit mehr als zwanzig Jahren in Tunesien und Ägypten. Letztendlich könne man fast alles am Couscous, dem Nationalgericht Nordafrikas festmachen.

Sie beschreiben in Ihrem Buch „Food insecurity and Revolution in the Middle East and North Africa“ den Zusammenhang zwischen Agrarpolitik und den Protestbewegungen in der Region Anfang der 2010er Jahre. Was gab den Anstoß zu diesem Buch?

Ich war am 14. Januar 2011 [Tag der Flucht von Tunesiens Machthaber Zine El Abidine Ben Ali] in Tunis auf der Avenue Bourguiba, wo die Leute vor Freude geschrien und geweint haben. Sehr schnell haben die Medien und auch Forscher diese Revolution als ein urbanes Phänomen beschrieben, das sich auf die schicken Stadtviertel von Tunis und politische Forderungen beschränkte. Soziale Fragen, die die Leute damals auf die Straße getrieben haben, waren kein Teil der Erzählung. So hat sich verkürzt gesagt folgende Lesart entwickelt: dem Land ging es eigentlich gut, abgesehen davon, dass Ben Ali ein Diktator war. Es genüge also, eine liberale Demokratie einzuführen. Ich habe jahrelang zu ruralen Fragen geforscht und jeden Winkel des Landes bereist, und ich hatte eine ganz andere Sichtweise.

Der urbane Charakter der Revolutionen, die Proteste vor dem Innenministerium auf der Avenue Bourguiba in Tunis oder dem Tahrir-Platz in Kairo waren Ihrer Meinung nach gar kein entscheidender Faktor?

Überhaupt nicht, nein. Die Revolution hat andere Ursprünge, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Aber konkret hat sie in Tunesien 2008 angefangen, mit den Streiks in den Bergbaugebieten, im Südwesten des Landes. Dort wächst kein Jasmin, sondern Halfa [ein Steppengras, aus dem Strohhüte und Körbe sowie Papier hergestellt werden]. Ich habe damals von der Halfa-Revolution, der Revolution des Hungers geschrieben, und den Zusammenhang zwischen Landwirtschafts- und Nahrungsmittelpolitik und den Revolten beschrieben.

Halfa- statt Jasminrevolution

Die gleiche Lesart ist auch in Bezug auf Ägypten gültig, wo Ray Bush und ich ebenfalls seit Jahren geforscht haben. Unser Ziel war es also, eine andere Lesart der Umbrüche in der Region anzubieten. Unsere Hypothese ist, dass all die Revolutionen, sei es in Tunesien, Ägypten und Syrien, oder viel später dann im Sudan, in ländlichen Regionen ihren Ursprung haben und dass Agrar- und Lebensmittelfragen ihr Herzstück bilden.

Warum wurden Landwirte nicht als politische Akteure wahrgenommen?