Hilfe, der Strand ist weg!

Klimakrise und Erosion gefährden Kataloniens Küste. Bis 2035 könnte die Hälfte der Strände verschwunden sein. Politik und Verwaltung reagieren nur zögerlich.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
4 Minuten
Im katalanischen Ort Montgat trennt nur ein schmaler Sandstreifen das Mittelmeer vom Bahndamm. Eine zerstörte Treppe zeugt von Sturmschäden.

Xavi Ferrer kommt gerade vom morgendlichen Schwimmen zurück. Vom Wasser bis zur Wäscheleine, an der die Neoprenanzüge trocknen, sind es gerade ein paar Schritte. Der Leiter der Segelschule Escola de Mar in Montgat tupft sich das Salzwasser aus dem Gesicht. „Als ich hier vor sieben Jahren angefangen habe, war der Strand noch doppelt so breit und doppelt so lang“, sagt er und schüttelt den Kopf. „Das ist eine brutale Entwicklung.“ Im Großraum Barcelona frisst das Meer seit 2017 jährlich zwischen 7,5 und 9,8 Meter Strand. 150 Kilometer weiter südlich, an der Mündung des Flusses Ebro, sind es sogar zehn bis 15 Meter jährlich.

Bis 2035 könnten, so eine Studie des katalanischen Instituts für Klimaresilienz Eurecat, über die Hälfte der Strände nicht mehr touristisch nutzbar sein und neun Prozent ganz verschwinden. Und diese Schätzungen sind optimistisch. „Wenn das so weiter geht, können wir unsere Segelschule in ein paar Jahren an den Dorfplatz verlegen“, fürchtet Ferrer.

Der Leiter der Segelschule Escola de Mar steht an einem sonnigen Wintertag am Strand, im Hintergrund ist die Segelschule und die Kulisse der Ortschaft Montgat zu sehen.
Xavi Ferrer ist Leiter der Segelschule Escola de Mar in Montgat.

Die Klimakrise befeuert die Entwicklung im gesamten Mittelmeerraum extrem: Um vier Millimeter steigt der Meeresspiegel jährlich, heftige Stürme haben in den vergangenen Jahren verheerende Schäden angerichtet. „Wir haben es mit einem Tsunami in Zeitlupe zu tun“, sagt Carles Ibáñez Martí vom Institut für Klimaresilienz im Deutschlandfunk. „Denn je höher der Meeresspiegel ist, desto heftigere Folgen auf die Infrastrukturen der Küste werden die Stürme haben. Der Effekt multipliziert sich.“

Tsunami in Zeitlupe

Dass das Meer den Sand wegtreibt, gehört zum natürlichen Zyklus der Küste. „Normalerweise treiben die Levante-Stürme den Sand weg, der Südwest-Wind Garbi bringt ihn zurück“, erklärt Segelschul-Besitzer Ferrer. Doch Häfen, Molen und Wellenbrecher verhindern diesen natürlichen Rücklauf. Natürlichen Nachschub gibt es kaum noch. Denn die Flüsse, die hier im Mittelmeer münden, werden im Hinterland zur Stromversorgung gestaut und führen infolgedessen zu wenig Sedimente mit sich.

Das Phänomen ist seit langem bekannt. Jahrzehntelang versuchten Kommunen das Problem in den Griff zu bekommen, in dem sie Barrieren errichteten und jeden Sommer tonnenweise neuen Sand aus dem Meeresgrund zurückpumpten oder von anderswo an die Küste brachten. Ein teures Verfahren, das allein für die Strände im Großraum Barcelona jährlich vier Millionen Euro kostete und hohe ökologische Kosten verursacht. Doch da Sonne, Strand, Sangría für die 19 Millionen TouristInnen jährlich weiter eine der Hauptattraktionen sind, nahm man die in Kauf. Während der Pandemie haben viele Kommunen darauf verzichtet. Wissenschaftler Carles Ibañez Martí hofft, dass der Corona-Einbruch auch mittel- und langfristig zu einem Umdenken führt.

„Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, die Strände als eine Art touristische Infrastruktur zu betrachten“, so der Biologe. „Dabei sind es natürliche Räume, die geschützt werden müssen.“ Das bewahre am effektivsten vor den Folgen der Klimakrise. Doch die geographischen Gegebenheiten der katalanischen Küste setzen dem enge Grenzen. Während in den Niederlanden teils künstlich aufgeschüttete Dünenlandschaften die Küste schützen, fehlt dafür in Katalonien schlicht der Platz.

Dicht bebaute Küste

Knapp 60 Prozent des Küstenstrichs sind auf den ersten hundert Metern bebaut. Rechnet man den Naturpark Cap de Creus heraus, sind es sogar über 80 Prozent. Zu den Bauten zählen nicht nur Wohnhäuser, sondern auch Infrastrukturen. Am Strand von Montgat etwa mischt sich das Rauschen des Regionalzuges in das der Wellen. Zwischen Barcelona und Blanes verlaufen die Schienentrassen direkt entlang des Strandes. An stürmischen Tagen klatschen die Wellen bereits an das Gleisbett. „Uns wird gar nichts anderes übrigbleiben, als unser Modell des Städtebaus von Grund auf zu überdenken und uns von der Küste zurückzuziehen.“

Eine Regionalbahn fährt die katalanische Ortschaft Montgat entlang. Die Schienen verlaufen direkt an der Küstenlinie. Im Hintergrund ist die Ortschaft und ein Baukran zu sehen.
Die Schienen der Regionalbahn R1 verlaufen direkt entlang der Küste.

Wiederholt haben Wissenschaftlerïnnen eine Verlegung der Gleise ins Landesinnere gefordert. Die entsprechenden Pläne liegen bereits in den Schubladen der Verwaltung. Doch solche Projekte sind teuer und unpopulär. Bisher wagte kein Politiker, keine Politikerin, sie auf die Tagesordnung zu setzen. „Politik und Verwaltung hinken der Wissenschaft immer um Jahre hinterher“, klagt Ibañez und fordert langfristige Strategien: „Je länger wir warten, desto teurer wird der Schaden, den wir zu bezahlen haben.

Radikales Umdenken ist nötig

Immerhin gebe es erste Anzeichen für ein Umdenken. Im Rahmen des spanischen Klimaschutzgesetzes soll die Nationale Kommission für Staudämme gewährleisten, dass die Flusssedimente ihren Weg an die Küste finden. Auch das spanische Küstenschutzgesetz soll reformiert werden. In dem Entwurf ist nicht nur von strengeren Auflagen für Restaurants, Sporteinrichtungen und anderen strandnahen Infrastrukturen die Rede, sondern erstmals auch vom Umbau von Verkehrsstraßen. „Es macht keinen Sinn, sich gegen die Natur aufzulehnen“, so Umweltministerin Teresa Ribera in einem Interview der Online-Zeitung Eldiario.es. „In bestimmten Fällen werden wir unsere Infrastrukturen mit Bauten schützen können, aber in vielen anderen Fällen wird uns nichts anderes übrigbleiben, als uns von der Küste zurückzuziehen.“

In Katalonien lässt die Regionalregierung derzeit die Küstenregion genau kartographieren und Studien über den Untergrund anfertigen. Auf Grundlage solcher Daten soll entschieden werden, welche Strände unter Umständen stabilisiert und so gerettet werden könnten – und auf welche Einheimische und Touristïnnen künftig verzichten müssen.

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