Kenia: Wie ein Erfinder Biogasanlagen für Stadt und Land entwickelt
Dominic Wanjihia entwickelt Anlagen, in denen auch Marktabfälle oder Wasserhyazinthen verbrannt werden können
Kenia hat in den vergangenen Jahrzehnten sehr viele Waldflächen verloren. Einer der Gründe: Feuerholz und Holzkohle sind wesentliche Brennstoffe. Biogas ist eine Alternative. Der Erfinder Dominic Wanjihia entwickelt unterschiedliche Biogasanlagen, um den Kahlschlag zu stoppen. Auch Müll, Schlachtabfälle und Wasserhyazinthen werden zur Energieerzeugung genutzt.
Dominic Wanjihia steht vor dem Wasserbecken auf seinem Grundstück und begutachtet die Wasserhyazinthen, die darin treiben. Die Pflanzen haben schon ein Drittel der Wasseroberfläche bedeckt. Bald dürften es mehr sein: Unter guten Wachstumsbedingungen breiten sich die ursprünglich aus Lateinamerika stammenden Schwimmblattpflanzen in rasantem Tempo aus, verdrängen alle anderen Gewächse. In Kenia sind sie vor allem bei vielen Fischern verhasst und gefürchtet, beispielsweise am Victoriasee im Westen des Landes: Der See droht trotz seiner Größe von fast 69.000 Quadratkilometern – er ist damit fast 120 Mal so groß wie der Bodensee – zuzuwuchern, der Sauerstoffgehalt sinkt, andere Fische, Vögel und Pflanzen sind in Gefahr. Auch für Menschen werden die treibenden Pflanzen manchmal lebensgefährlich: Immer wieder stecken Fischer mit ihren Booten auf dem See in einem Teppich aus Wasserhyazinthen fest und kommen nicht mehr an Land, manchmal sogar für mehrere Tage. Viele Kenianerinnen und Kenianer können der Schönheit der violett blühenden Pflanzen deshalb nichts mehr abgewinnen, sehen die Gewächse nur als Plage.
Wasserhyazinthen werden zu Brennstoff
Wanjihia dagegen freut sich, dass sich die Hyazinthen in seinem Becken ausbreiten. „Wenn alles gut geht, bedecken sie bald die ganze Oberfläche“, stellt er zufrieden fest. Wanjihia baut die Wasserhyazinthen sozusagen an, sie sind Teil eines Versuchsaufbaus: Er möchte wissen, ob er die schnell wuchernden Pflanzen als Rohstoff nutzen kann, um in einem geschlossenen Kreislauf immer neues Biogas zu gewinnen. Im Gras neben dem Wasserbecken steht „T-Rex“, eine 30 Kubikmeter fassende, überirdische Biogasanlage, die er mit seiner Firma hergestellt hat. „Wir füllen sie mit Wasserhyazinthen, nutzen das Biogas zum Kochen und geben den Dünger, der als Nebenprodukt aus der Anlage kommt, wieder ins Wasser, um das Wachstum der Hyazinthen weiter zu beschleunigen“, erklärt Wanjihia. Der „Dünger“ ist eine flüssige, nährstoffreiche Substanz, die beim Gären übrig bleibt.
Eine Lösung für viele Probleme
Ein solcher Versuch ist ganz nach seinem Geschmack: Lösungen für möglichst viele Probleme auf einmal zu finden. In diesem Fall: Klimafreundliche Energie herzustellen, die Seen von den lästig wuchernden Pflanzen zu befreien und einen neuen Brennstoff für Biogasanlagen zu finden.
Denn Biogasanlagen gibt es in Kenia bisher vor allem auf Bauernhöfen. Wanjihia hingegen träumt von Anlagen auch für städtische Haushalte, in denen es kein Vieh gibt.
Wanjihia interessiert sich also nur für Biomasse, die ohnehin anfällt oder „Abfall“ ist. Für die Klimabilanz seiner Anlagen ist das wichtig, denn die fiele anders aus, wenn eigens Biomasse angebaut würde. Für die Produktion von Energiepflanzen ist hoher Energieeinsatz nötig. Bei intensiver Landwirtschaft und falsch eingesetzter Stickstoffdüngung wird außerdem Lachgas frei, das ein ungefähr 300-mal größeres Treibhausgaspotenzial hat als CO2. Für die Klimabilanz jeder Biogasanlage ist zu bedenken, dass bei der Verbrennung CO2 frei wird. Trotzdem verbrennt Biogas klimaneutral, weil das entstehende CO2 von den Pflanzen vorher aus der Luft gebunden wurde.
Show-Room zwischen Bäumen
Gegründet hat Wanjihia seine Firma „Biogas international“ im Jahr 2011. Seitdem hat er etliche verschiedene Biogasanlagen und passende Anwendungen entwickelt, ständig kommen weitere hinzu. Ein parkähnliches, halb verwilderte Grundstück in Karen, einem Vorort der kenianischen Hauptstadt Nairobi am Fuß der Ngong-Berge, ist Firmensitz und Show-Room für einige seiner bisherigen Entwicklungen. Beim Rundgang über sein Grundstück zeigt Wanjihia seinen Besuchern unter anderem eine Küken-Aufzuchtbox, einen Schrank für das Dörren von Obst und Gemüse, ein Warmwassergerät und einen Grill, alle betrieben mit Biogas. Die Tour ist ein Vergnügen, denn Wanjihia lacht gerne, der Schalk blitzt ihm oft aus den Augen, und beim Erzählen verpackt er trockene biologische Sachverhalte spielerisch in anschauliche Geschichten.
Bevölkerungswachstum der Rinder
Eine seiner Schwestern gab ihm den Anstoß, sich mit Biogas zu beschäftigen. Sie ist ausgesprochen umweltbewusst und lebt in der Nähe des Nairobi-Nationalparks. Dort ist die ständig weiter in die Höhe wachsende Skyline der kenianischen Hauptstadt ebenso in Sichtweite wie die Giraffen, Zebras und Elefanten im Park. Immer häufiger sind auch die Rinder der Massai zu sehen, von denen mehr und mehr rund um Nairobi sesshaft werden. Um Weideland für ihre Rinder zu schaffen, roden sie das verbliebene Buschland. Das Holz nehmen sie anschließend zum Kochen. „Die Massai haben überhaupt kein Problem damit, Bäume zu fällen“, erzählt Wanjihia. „Aus ihrer Sicht stehen die nur im Weg herum. Aber natürlich spült der Regen den fruchtbaren Boden weg, wenn das Wurzelwerk fehlt, und am Ende haben sie nicht mehr, sondern gar kein Weideland für ihre Rinder.“
Entwaldung und Kahlschlag sind in Kenia seit Jahrzehnten ein großes Problem. Als das ostafrikanische Land 1963 unabhängig wurde, waren zehn Prozent der Fläche von Wald bedeckt. 2007 waren es nur noch knapp zwei Prozent.
Grund für die massive Abholzung ist der Bedarf an Feuerholz und Kohle, außerdem das massive Bevölkerungswachstum und der damit verbundene Flächenverbrauch. Für Ackerbau, Weideland und die Besiedlung wurden immer mehr Waldgebiete gerodet. So gibt Kenia inzwischen bedeutend mehr CO2 an die Atmosphäre ab als 1963. Damals hatte das Land knapp neun Millionen Einwohner, 2020 waren es mehr als 50 Millionen. Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen hat sich die kenianische Regierung 2015 verpflichtet, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 zu vermindern, und zwar – etwas vage formuliert – im Vergleich zu einem fortdauernden „business as usual“. Das Ziel wurde später noch präzisiert und auf 32 Prozent erhöht. Damit das gelingt, darf der Waldverlust nicht im gleichen Ausmaß weitergehen. Deshalb will die Regierung aufforsten: schon im Mai 2018 kündigte sie an, bis 2022 fast zwei Milliarden Bäume pflanzen zu wollen. Dann soll das Land wieder zu zehn Prozent mit Wald bedeckt sein.
Biogasanlagen erinnern an Gewächshäuser
Wanjihia bleibt vor drei unterschiedlich großen, länglichen Gebilden stehen, die mit einer milchig-transparenten Plastikplane bedeckt sind und im kniehohen Gras liegen. Sie haben vorne und hinten ein kurzes Rohr als Öffnung, ansonsten könnte man sie auch für kleine Gewächshäuser halten. Die Assoziation ist gar nicht so falsch: Es handelt sich um Wanjihias Biogasanlagen. Bei deren Entwicklung hat er sich unter anderem von Gewächshäusern inspirieren lassen. Denn beim Biogas geht es ja auch um Wachstum: um die Vermehrung der Bakterien bei der Vergärung von Biomasse, wobei Methangas entsteht.
Ein-Familien-Anlage
“Ich wollte eine Anlage entwickeln, deren Produktion für einen typischen Haushalt im ländlichen Afrika ausreicht, also für eine Familie mit vier bis sechs Mitgliedern“, erklärt er. Die kleinste Anlage für den Hausgebraucht kostet umgerechnet 630 Euro und liefert genug Gas zum Kochen. Später entwickelte Wanjihia auch größere Anlagen, die genug Gas beispielsweise für ein Kinderheim, eine Schule oder für mehrere Garküchen an einem Marktplatz produzieren.
Zwar ist eine Biogasanlage grundsätzlich nichts Neues, aber Wanjihias erstes Modell trotzdem eine echte Erfindung, oder zumindest eine wesentliche Weiterentwicklung. Ein Unterschied: sein Modell ist flexibel, es besteht aus faltbaren Plastikteilen. „Für herkömmliche Anlagen muss man erst ein großes Loch graben, dann folgen Maurerarbeiten für das Fundament, man braucht Beton, Steine, Zement und viel Arbeitskraft“, erklärt Wanjihia. „Unser System für Privathaushalte ist dagegen in ein paar Stunden aufgebaut, weil wir alle Bestandteile vorproduzieren und sie vor Ort nur zusammensetzen müssen.“ Dafür braucht er nicht mehr als zwei Leute, und wenn die Teile zusammengefaltet sind, kann man sie sogar auf dem Fahrrad transportieren. Das bedeutet, dass man sie in jeden Winkel eines Landes wie Kenia bringen kann. Außerdem ist die flexible Biogasanlage deutlich billiger als eine herkömmliche. Sie hat sich schnell amortisiert, weil viele Familien für Brennholz oder Kohle jeden Monat umgerechnet zwanzig bis dreißig Euro bezahlen müssen.
Transportable Biogasanlage
Ein wesentlicher Unterschied zu unterirdischen Biogasanlagen sei außerdem das Gewächshaus über dem Schlauch mit der Biomasse, weil das die Sonnenwärme bündelt. „Dadurch entstehen im Inneren recht hohe Temperaturen. Und je höher die Temperatur, desto schneller die Vergärung.“ Das bedeutet laut Wanjihia, dass man für die gleiche Menge Gas weniger Biomasse braucht. Inzwischen sind flexible Biogasanlagen auch von anderen Herstellern und in anderen Ländern gebräuchlich geworden, es gab einige, teils parallele Entwicklungen. Doch in Kenia war Wanjihia der Erste.
Der Alchimist
Die Entwicklung der flexiblen Biogas-Anlage fand er relativ einfach. Schwerer war es, anschließend die seine Kunden davon zu überzeugen, dass aus dem, was bei der Kuh hinten raus kommt, Feuer gemacht werden kann. Weil sie besonders viele Rinder halten, dachte er zunächst an die Massai. „Als wir die Anlagen einführen wollten, hielten uns die Massai anfangs für verrückt weil wir ihnen weismachen wollten, dass wir Rindermist in Feuer verwandeln können.“ Die alten Männer, also die Weisen in der Gemeinschaft, erklärten, Wanjihia sei völlig irre.
Etwa drei Wochen, nachdem sie die Anlage installiert hatten, kam Wanjihia mit seinen Mitarbeitern wieder. Inzwischen hatte die Anlage genug Gas angesammelt. „Ich habe die Flamme am Ende der Gasleitung entzündet. Weil sie von Methangas gespeist ist, kann man sie tagsüber nicht sehen. Aber die Massai sahen die Hitzewellen aufsteigen und hörten das Rauschen der Flamme.“ Schlagartig wurde es totenstill. Nur die Hunde fingen an zu bellen, weil sie auch nicht begriffen, was vor sich ging. „Ich richtete die Flamme auf den Boden, und das trockene Gras brannte sofort. In Sekundenschnelle waren wir von Vollidioten zu Hexenmeistern geworden.“
Zeitersparnis vor allem für Frauen
Wanjihia und seine Leute schlossen Gaskocher an die Leitungen an, alles funktionierte perfekt. Trotzdem war die Begeisterung der Massai-Männer schon wieder verflogen. Sie hatten sich zurückgezogen und waren in eine sehr ernste Unterhaltung vertieft. „Wir haben uns gefragt, was das Problem ist“, erinnert sich Wanjihia. Kurz danach rückten die Ältesten mit ihren Bedenken heraus. Einer von ihnen sagte mit sorgenvoller Mine: „Wenn die Frauen jetzt kein Feuerholz mehr suchen müssen, um kochen zu können – was machen sie dann mit der restlichen Zeit des Tages?“ Bisher hätten sie für Liebhaber keine Zeit gehabt, weil sie ständig Brennstoff sammeln mussten. „Aber ab jetzt wäre das anders.“ Am Ende, erzählt Wanjihia, habe die Massai vor allem der Preis überzeugt, da die Frauen nicht mehr genug Feuerholz finden und sie schon damals Holzkohle oder Gasflaschen dazu kaufen müssen.
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