Hinter dem Schleier: Junge Iranerinnen suchen ihre Freiheit beim Klettern

Im Iran wird seit Wochen gegen das Regime und seine Sittengesetze protestiert. Der Gottesstaat reagiert mit Zensur und blockiert das Internet. Im Mittelpunkt der Proteste stehen die Frauenrechte. Irans Kletterinnen testeten schon zuvor nicht nur ihre körperliche Grenzen aus.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
8 Minuten
Junge Iraner und Iranerinnen klettern gemeinsam an einem Felsen im Nordwesten des Landes.

Fünf Jahre ist es her, dass mich Mahdis mit in die Berge über ihrer Heimatstadt Zanjan genommen hat. 340 Kilometer nordwestlich von Teheran. Selbst im Frühsommer eine Welt in Sepia. Die hageren Birken, die Blütenbüsche der Sauerkirschen im Tal und die Schneebärte an den Ausläufern des Zagros- und des Elburs-Gebirges leuchteten wie Deckweißtupfen.

„Happy?“, fragte Mahdis, und strich mir über den Arm. Die Geste fühlte sich vertraut an, obwohl ich sie bis dahin nur virtuell kannte: Über WhatsApp hatte mir die damals 27-Jährige geschrieben, dass sie Pasta mag und einen Doktorvater für eine Promotion in Biochemie sucht. Instagram hatte mir verraten, dass sie einen Kleopatra-Lidstrich um ihre grünen Katzenaugen zieht. Und dass sie nicht nur die iranische Kletterin Farnaz Esmaeilzadeh verehrt – die wie sie selbst aus der Stadt Zanjan stammt, sondern auch die amerikanische Pop-Ikone Taylor Swift. „Weil beide starke Frauen sind, die machen, was sie wollen!“, hatte sie erklärt.

Kaum waren wir aus dem Auto gestiegen, hatte sie ihren als Hidschab genutzten Paschmina-Schal gegen ein Sonnenschild getauscht. In Zanjan trug sie den Hidschab in die Stirn gezogen, jetzt hüpfte an ihrem Hinterkopf ein Pferdeschwanz. Lasziv fand ich das insgeheim, nach gerade mal 24 Stunden im Iran, in denen ich ständig damit kämpfte, dass mir der Schal nicht vom Kopf rutscht. „Keine Angst, hier oben gibt es keine Sittenwächter“, sagte Mahdis.

In den Bergen ist Scharia-freie Zone

Als ich mein Tuch nun ebenfalls abnahm, fühlte es sich an, wie das erste Mal am Baggersee den Winterkörper zu präsentieren. Sehr frei, aber auch verletzlich. Zumal wir nicht allein waren: Am Fuße der Fels-Wand trudelten neben ihren Freundinnen auch ein Dutzend Männer ein – Kumpels, Cousins und Ehemänner.

Allzu eilig hatte es niemand, in die Kletterouten einzusteigen. Erstmal wurden Decken ausgebreitet, Salate, riesige Brotfladen und paniertes Hähnchen ausgepackt und ausführlich gefrühstückt. Kein Wunder, hier oben, weit über den letzten Bergdörfchen, war Scharia-freie Zone. Hier konnten unverheiratete Liebespaare miteinander schäkern, Mahdis ihre Instagram-Stories aufnehmen, und die Frauen je nach Vorliebe Mütze, Kopftuch oder offenes Haar tragen.

An diesen Klettertag muss ich denken, als es vor ein paar Wochen begann, im Iran zu brodeln:

Es begann mit dem Tod der jungen Iranerin Mahsa Amini. Die 22-Jährige wurde in Teheran von der Sittenpolizei festgenommen, weil sie angeblich ihren Hidschab zu locker getragen hatte. Die Polizei bestritt, sie in Haft geschlagen zu haben. Offiziell soll sie einen Herzinfarkt erlitten haben. Von den Unis ausgehend folgten daraufhin im ganzen Land Massenproteste gegen das Regime der Islamischen Republik. Laut Menschenrechtsorganisationen kamen dabei bisher Hunderte von Menschen durch Polizeigewalt ums Leben.

Weil Instagram als einzige große soziale Plattform im Land nicht grundsätzlich gesperrt ist, werden hier Ankündigungen und Videos zu den Protesten geteilt. (Viele Iraner sind trotzdem auf Facebook, Twitter, Whatsapp und vor allem Telegram aktiv, aber das geht nur über den Umweg von VPNs.) Als Reaktion auf die Proteste sperrte die Regierung in Teheran nun zeitweise auch Instagram, oder schaltete das Internet komplett ab.

Junge Iranerinnen beim Seilklettern in einer Kletterhalle in Shiraz.
Junge Iranerinnen beim Seilklettern in einer Kletterhalle in Shiraz
Iranische Schul-Mädchen bei einer muslimischen Zeremonie in der pinken Moschee in Isfahan.
Iranische Schul-Mädchen bei einer muslimischen Zeremonie in der pinken Moschee in Isfahan.
Iraner aus Teheran zieht es am Wochenende auf den Hausberg. Hier wird gewandert, Tee getrunken und auch mal getanzt.
Iraner aus Teheran zieht es am Wochenende auf den Hausberg. Hier wird gewandert, Tee getrunken und auch mal getanzt.
DIe junge Iranerin Mahdis sitzt an einem See im Nordwesten des Landes und macht sich Gedanken um ihre Zukunft als Frau in diesem Land.
DIe junge Iranerin Mahdis macht sich Gedanken um ihre Zukunft als Frau in diesem Land.
In den Bergen fühlt sich die Iranerin Mahdis frei. Hier gibt es keine Sittenwächter.
In den Bergen fühlt sich die Iranerin Mahdis frei. Hier gibt es keine Sittenwächter.
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