Ed-Tech in Ghana: Mobiles Computerlabor und eine App erhöhen Chancengleichheit an Schulen

In vielen Dörfern Ghanas gibt es weder Strom noch Internet. Ein ghanaisches Start-up bietet Lösungen: eine mobile Infrastruktur und eine App, die offline funktioniert.

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
19 Minuten
Ein junger Lehrer, leuchtend grünes T-Shirt, beugt sich über das Tablett. Zwei Schülerinnen, die an der Bank sitzen, folgen seinem Blick. Alle drei schauen in das Tablett.

In vielen Dörfern Ghanas gibt es weder Strom noch Internet. Aber die Kinder dort müssen den gleichen Stoff lernen wie ihre Gleichaltrigen in den Städten. Ein ghanaisches Start-up bietet Lösungen.

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Dieser Artikel erscheint im Rahmen unserer Serie über nachhaltige Entwicklungsziele und Tech-basierte Lösungen aus Afrika, die wir mit einer afrikanisch-deutschen Community diskutieren.

Priscilla Asabea ist aufgeregt. Vor ihr auf der Schulbank liegt ein Tablett, und sie hört ihren Lehrer erklären, wie sie das Gerät gleich anschalten und dann die Lautstärke regeln kann. Die 13-Jährige hat schon oft von Computern oder Smartphones gehört, aber noch nie ein digitales Gerät in der Hand gehabt. Ganz zu schweigen davon, dass sie es hätte benutzen dürfen. Dass sie das Tablett, das vor ihr liegt, mit ihrer Banknachbarin Dorothy Takyiwaa teilen muss, stört sie nicht. Die beiden leben in dem Dorf Krutiase im Südosten von Ghana, gut anderthalb Autostunden von der Hauptstadt Accra entfernt. Die Wände ihres Klassenraums sind nur schulterhoch, die obere Hälfte ist offen. In dem tropischen, westafrikanischen Klima könnte sich die Hitze sonst leicht stauen. Von draußen kommt der Gesang der Zikaden, mischt sich mit der Stimme ihres Lehrers Christian Ayeh. Und 21 Mal mit dem Geräusch eines Tabletts, das gerade hochgefahren wurde.

Zwei Mädchen in der Schulbank, vor sich ein Tablett, das aufgestellt haben, um besser sehen zu können. Sie tragen gelbe T-Shirts und braune Kleider, ihre Schuluniform. Im Hintergrund sie weitere Kinder in der Klasse zu sehen.
Priscilla Asabea und Dorothy Takyiwaa arbeiten zum ersten Mal mit einem Tablett.
Ein Lehrer, stehend zwischen den Schulbänken, ein Tablett in der Hand, den Mund offen, weil er gerade etwas vorliest.
Der Lehrer John Ayree beim Unterricht im Lesen mit der Ananse App.

Anschließend erklärt Ayeh, wie die Schülerinnen und Schüler der 4. Grundschulklasse des Dorfes auf dem Tablett die App „Ananse the Teacher“ finden. „Ananse“ ist Twi und heißt auf Deutsch „Spinne“. Ananse ist allerdings mehr als eine banale Hausspinne, er ist eine populäre Figur in den Erzählungen der Akan, einer Gruppe westafrikanischer Völker. Genau das ist der Grund, weshalb Martin Bruce und Josephine Marie Godwyll den „Spiderman“ der afrikanischen Kultur 2017 zum Helden ihrer EdTech-App gemacht haben.

Ein hoher Baum neben einem flachen Schulgebäude, das aus einem Riegel besteht. Der Baum lässt das Gebäude noch kleiner aussehen. Im Schatten des Baumes sitzen einige Schülerinnen und Schüler in ihren gelb-braunen Schuluniformen.
Die Primarschule von Krutiase, das Dorf ist etwa anderthalb Stunden von der Hauptstadt Accra entfernt.

„Geschichten zu erzählen spielt in unserer Kultur eine wichtige Rolle“, erklärt der 31-jährige Bruce die Überlegungen hinter der App. Bruce ist zugewandt, humorvoll und sehr konzentriert, wenn er von ihren Visionen spricht. Die Begeisterung für ihr Projekt, in das er viel Energie und Zeit steckt, leuchtet ihm aus den Augen. „Bei uns werden Geschichten genutzt, um Ratschläge und Wissen zu vermitteln oder um Zeit auf unterhaltsame Weise zu vertreiben.“ In dieser kulturellen Praxis sahen er und Godwyll einen Schatz, auf den sie bei der Entwicklung einer neuen Didaktik zurückgreifen wollten. Ihr Ziel war es, den Lehrstoff des ghanaischen Curriculums so aufzubereiten, dass er an die Erfahrungswelt der Kinder anknüpft und im Rahmen der App auf unterhaltsame, fesselnde Weise vermittelt wird. Aber das war schon der dritte Schritt, angefangen hatte alles noch ein paar Jahre früher – und bescheidener.

2013 studierten Martin Bruce und Josephine Godwyll an der Universität von Kumasi, einer Stadt im Zentrum Ghanas, er „Land Economy“ (etwa: Ökonomie des Bodens), sie „Geomatic Engineering“ (etwa: Wissenschaft des Raums). Zusammen mit anderen Studierenden leisteten die beiden in den Semesterferien Freiwilligendienste in Dörfern, halfen dort in Schulen, Gesundheitszentren oder ländlichen Entwicklungsprogrammen. Oft landeten sie in einer komplett anderen Welt, manchmal nur gut drei Autostunden von Kumasi entfernt: Es gab dort weder Strom noch Internet, selbst von den Erwachsenen hatte bisher kaum jemand einen Computer gesehen. Und beim IT-Unterricht in den Schulen wurden die Rechner an die Tafeln gemalt, das Arbeiten damit nur theoretisch erklärt.

Ein kleines Lehmgebäude, ein Huhn läuft daran vorbei, die Verkäuferin ist hinter dem Tisch mit den Auslagen zu erahnen.
Der kleine Laden gegenüber der Dorfschule von Krutiase.

Wenn die Schulen besonders gut ausgestattet waren, gab es Schulbücher und darin mit etwas Glück das Foto eines Computers – „näher kamen die Kinder in vielen Dörfern nicht an einen Rechner heran“, erinnert sich Bruce. Er und Godwyll hatten bis dahin in Berichten ghanaischer Medien schon davon gehört, dass viele ländliche Gebiete keinen Zugang zum Internet haben und von der technischen Entwicklung abgeschnitten sind. „Aber als wir das selbst erlebten, hat uns das geradezu schockiert.“

Gleiche Prüfung, ungleiche Chancen

Was sie an der Realität in den Dörfern so aufrüttelte, war das Wissen, dass am Ende der Grundschulzeit alle die gleichen nationalen Prüfungen schreiben: Diejenigen, die in den Städten Computer und Zugang zum Internet zu Hause haben, mit denen, die beides nur aus dem theoretischen Unterricht kennen. „Wir fragten uns: `Was können wir tun, um diese krasse Ungleichheit der Chancen zu beenden´“, erzählt Bruce. Die Frage treibt sie bis heute um, und im Laufe der Jahre fügen sie Baustein für Baustein zu einer immer komplexeren Antwort.

Ein junger Mann, breit lächelnd, trägt ein hellgrünes T-Shirt mit der Aufschrift Young At Heart Ghana.

„Was unser Interesse weckte war die Neugier der Kinder, als sie das Laptop zum ersten Mal sahen. Als sie anfingen, den Computer zu berühren, konnte man das Leuchten in ihren Augen sehen. Eine Mischung aus Angst und eben Neugier.“

Martin Bruce (31), Co-Founder von Young At Heart

Der erste Schritt: Bruce und Godwyll brachten Freiwillige zusammen, fuhren an den Wochenenden mit ihren Laptops in Dörfer, brachten Schülerinnen und Schülern die ersten Schritte mit den wichtigsten Programmen bei: Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Präsentationen. Schon damals achteten sie darauf, den Unterricht mit der Erlebniswelt der Kinder zu verbinden. Und sie wollten die Schülerïnnen von Anfang an dazu anregen, Lösungen für Probleme in ihrem eigenen Alltag zu finden. Statt also nur die Grundbegriffe des Programms MS Word weiterzugeben, machten sie daraus beispielsweise eine Gruppenarbeit: Jede Schülergruppe sollte sich vorstellen, sie sei ein Unternehmen. Dann bekamen die Gruppen folgende Frage gestellt: Welches Problem gibt es in eurem Lebensumfeld, für das Euer Unternehmen eine Lösung entwickelt hat? In einem Word-Dokument musste jede Gruppe ihre Antwort beschreiben. Anschließend erstellte jede in einem Excel-Dokument einen Kostenplan, präsentierten ihr Unternehmen dann per PowerPoint den anderen, die potenzielle Investoren spielten. Am Ende stimmten alle darüber ab, in welche Lösung sie ihr Geld am liebsten investieren würden.

Nach einem guten Jahr, im Dezember 2014, fanden Bruce und Godwyll, dass sie auf diese Weise nicht genug Kinder erreichten. Der nächste Schritt: Sie baten im Bekanntenkreis um gebrauchte Computer, ließen die Geräte im Bedarfsfall reparieren, richteten an dörflichen Schulen, die über Strom verfügten und einen Klassenraum dafür frei machen konnten, ein Computerlabor ein. Bedingung war, dass diese IT-Labore auch den Schülerïnnen der übrigen Schulen im Einzugsbereich offenstanden.

Drei Jahre später kam neben der Vermittlung im Umgang mit dem Computer ein zweites Ziel hinzu: „Wir fragten uns: Wie können wir den Unterricht in den MINT-Fächern so revolutionieren, dass die Kinder gerne lernen?“ Also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, im Englischen abgekürzt als STEM. Godwyll und Bruce hatten inzwischen die Hilfsorganisation Young At Heart gegründet. Schnell wurde ihnen und ihrem Team von Freiwilligen klar, dass sie in ihrer App das globale, technische Wissen mit der eigenen Kultur verkoppeln wollten, um den Lehrstoff des Curriculums für die Kinder möglichst leicht zugänglich zu machen. Also STEAM statt STEM, das zusätzliche „a“ steht für „art“, die Kunst. Daraus entstand 2017 die Applikation „Ananse the Teacher“, die Priscilla und ihre Banknachbarin Dorothy an diesem Morgen zum ersten Mal entdecken.

Martin Bruce schiebt einen Karren mit großen Rädern, darauf steht in pinken Buchstaben „Lab and Library“.
Der Young At Heart Co-Founder Martin Bruce mit einem mobilen Computerlabor, das sein Unternehmen entwickelt hat.
Ein geöffnetes Wägelchen, darin sieht man Metallschienen, in denen Tabletts in zwei Lagen Tabletts aufrecht nebeneinander stehen. Auf dem Wagen steht: Projekt Ananse.
Seit 2019 gibt es diese mobilen Computerlabore: kleine Wagen, in denen 50 Tabletts transportiert und aufgeladen werden können.
Eine Lehrerin beugt sich zu einem Schüler und dessen Tablett hinunter, sie deutet mit dem Finger auf etwas, erklärt offensichtlich etwas.
Die Lehrerin Marian Ofosu-Dankyi nutzt die Ananse-App gerne im Unterricht, weil die Kinder die Geschichten daraus mögen und deshalb konzentrierter lesen.
Blick über die Schulter auf ein Tablett, der Bildschirmhintergrund ist oben blau, unten grün, insgesamt ist es ziemlich bunt.
Blick über die Schultern eines Schülers, der auf seinem Tablett die Ananse-App geöffnet hat.

Weitere zwei Jahre später hatten sie die nächste Neuerung fertig: ein „Computerlabor auf Rädern“, also das Prinzip eines kleinen Wagens, in dem 50 Tabletts Platz finden und aufgeladen werden können. Sofern ein Dorf ans Stromnetz angeschlossen ist, werden die Wägelchen über die Steckdose geladen, andernfalls gibt es eine zweite Variante, die mit einem Solarpanel ausgestattet ist. Die Idee: Dank der mobilen Computerlabore mehr Schulen erreichen zu können, weil sie leicht weitergegeben werden können. Und gleichzeitig Platz zu sparen, weil kein eigener Klassenraum als IT-Labor eingerichtet werden muss. Die Tabletts, die vor den Schülerïnnen im Dorf Krutiase liegen, haben die Lehrer zu Beginn der Stunde aus einem solchen mobilen IT-Labor geholt.

Dreiviertelportrait einer Frau in mittleren Jahren, schicke business-Kleidung, die Hände in den Hosentaschen. Lächelnd.
Ein Mann im hellgrünen T-Shirt vor einer Schulklasse, vor einem großen Whiteboard, neben sich das mobile Computerlabor – also ein Kasten mit Rädern, darauf die Aufschrift: Lab and Library.Wagen
Ein Mann steht vor einer Gruppe Schülerinnen und Schüler
Ein junger Mann, orange-blau kariertes Hemd, Bart. Etwas scheuer Blick.

„Was uns überzeugt hat, war nicht zuletzt das Konzept dieses afrikanischen Spiderman „Ananse“, das dem Ganzen zugrunde liegt. Dass die App also nicht von einer abstrakten Idee ausgeht, die für einen anderen Kontext entwickelt worden ist, sondern wirklich aus den Geschichten der ghanaischen Kultur konstruiert wird.“

Gelgia Fetz, Jacobs Foundation

„Es geht darum, die Lektionen auf eine bessere Art und Weise zu unterrichten. Sie praktischer, ansprechender und unterhaltsamer zu gestalten. Wir wollen, dass die Kinder sehen, dass Bildung ein Teil des Lebens ist.“

Martin Bruce, Co-Founder von Young At Heart

„Die meisten Kinder können jetzt lesen und sich ausdrücken, das war vorher nicht so, obwohl sie schon sechs Jahre in der Schule waren. Die Geschichten in der App lesen sie gerne, deshalb verbringen sie mehr Zeit damit.“

Timothey Buabeng (44), Direktor der Primarschule in Krutiase

Wenn wir Zugang zum Internet hätten, könnten wir die Tabletts noch viel sinnvoller nutzen.“

John Ayree (33), Lehrer an der Primarschule von Krutiase

In der Klasse von Priscilla und Dorothy lesen die Kinder inzwischen eine Geschichte aus der App reihum laut vor. Es geht um eine Schildkröte, die der Schnecke den Ertrag ihres Feldes wegfrisst. Flüssig klappt es mit dem Lesen noch nicht, immer wieder springt der Lehrer Ayeh ein, hilft bei der Aussprache eines Wortes. Aber die Kinder holpern sich weiter durch den Text, geben nicht auf. Daran schließt sich ein Experiment zum Keimen von Pflanzen an, das Felix Adedze Asamoah leitet. Der 31-jährige Lehrer hat Maiskolben, kleine Plastikbecher, Watte und Wasser mitgebracht, damit setzen die Kinder in kleinen Gruppen nun ihren Versuch an: knibbeln Körner vom Kolben, legen sie behutsam auf ein Wattepad, träufeln etwas Wasser darauf, bugsieren beides dann in das kleine Plastikgefäß. In den nächsten Tagen werden sie beobachten, ob das Maiskorn auf dem gewässerten Wattebett treibt. Die Anregung dafür hat Asamoah aus der Ananse-App für Lehrer, die zu jeder Geschichte eine didaktische Aufarbeitung anbietet. Asamoah ist von der App begeistert, in der Parallelklasse an der gleichen Schule hat er schon seit einem Jahr damit unterrichtet. „Die Kinder mögen die Geschichten, und weil sie mit mehr Interesse lesen, werden sie darin schnell viel besser.“

Auf einem Tisch in der Klasse liegt ein Maiskolben, daneben stehen einige kleine, transparente Plastikbehälter.  Von den Schülerinnen in der Bank dahinter schaut eine zum Lehrer und damit aus dem Bild heraus, die andere zum Betrachtenden.
Für das Experiment zum Keimen von Pflanzen steht alles bereit.

Die begleitenden Versuche sind aus seiner Sicht ebenfalls überzeugend. Nicht zuletzt, weil sie berücksichtigen, dass die Schulen in den Dörfern weder Physik- noch Chemielabore haben. „Das Material für die Versuche aus der App finden die Kinder in ihrem Umfeld, und es ist nicht teuer“, lobt Asamoah. Schuldirektor Timothy Buabeng ist noch von einem anderen Effekt angenehm überrascht: „In der Klasse, in der wir mit den Tabletts und der App unterrichten, fehlen die Kinder seltener“, hat er beobachtet. Insgesamt seien die Fehlzeiten in ländlichen Schulen hoch, beklagt Buabeng: Etliche Kinder müssten viele Kilometer zu Fuß gehen, um in die Schule zu kommen. Wenn ihnen dazu Kraft oder Motivation fehlte, ließen ihnen die Eltern das meist durchgehen, weil ihnen der Unterricht nicht so wichtig erscheine. Oder die Kinder entwischen an Markttagen und verdienen sich mit Botendiensten oder als Träger ein paar Cedis, statt in die Schule zu gehen. Die Aussicht auf Geschichten und Experimente mit dem ghanaischen Spiderman scheint das Interesse am Unterricht zu fördern.

Der Lehrer steht seitlich am Rande des Klassenraums, die Tische sind zu Gruppen zusammengestellt. Vor jedem Schüler liegt ein Tablett, in der Mite der Tische stehen kleine, transparente Plastikbehälter.
Felix Adedze Asamoah beim Unterricht in der Primarschule in Krutiase. Er erklärt ein Experiment, es geht um das Keimen von Pflanzen.

Dass einige Kinder an der Primarschule von Krutiase schon ein Jahr lang mit den Tabletts arbeiten dürfen und andere komplette Anfänger sind hat damit zu tun, dass an dieser und vier weiteren Schulen in Ghana gerade eine Evaluierung der „Ananse the Teacher“-App läuft. Gefördert von der Schweizer Jacobs Foundation wird über drei Jahre untersucht, ob die Lernergebnisse unter Einsatz des mobilen Computerlabors und der Ananse-App messbar besser sind, als beim konventionellen Unterricht. Für die datenbasierte Untersuchung von Technologie in der Bildung wird Young At Heart seit 2017 keine Hilfsorganisation mehr, sondern ein soziales Unternehmen – von der Jacobs Foundation mit umgerechnet insgesamt rund 102.500 Euro unterstützt.

Evaluierung von EdTech

2020 hatte sich Young At Heart an einer internationalen Ausschreibung der Stiftung beteiligt. Es ging um die Suche nach Lösungen, die Lernenden, Lehrenden und Eltern dabei helfen können, das durch die Schulschließungen während der Corona-Pandemie verlorene Wissen aufzuholen. „Bei Young At Heart hat uns überzeugt, dass die Entwicklerïnnen mit Pädagogïnnen und Wissenschaftlerïnnen zusammengearbeitet haben“, erinnert sich Gelgia Fetz von der Jacobs Foundation. „Außerdem hatten sie schon erste Tests durchgeführt, um die Wirksamkeit ihrer App zu überprüfen.“ Im Unterschied dazu gebe es auf dem boomenden Markt von tech-basierten Bildungsangeboten viele Unternehmen, die ihre Produkte entwickelten, ohne die Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis einfließen zu lassen. Oder aber ihre Angebote nie auf deren Wirksamkeit hin testeten.

Auch aus deutscher Perspektive ist das Projekt interessant. Nik Riesmeier von der Founders Foundation in Nordrhein-Westfalen findet beim Blick auf die Internetseite von Young At Heart bemerkenswert, dass das Bildungs-Start-Up Lösungen für zwei Probleme gleichzeitig anbietet: „Der Grundbaustein ist ja, die Tablets in abgelegene Regionen zu bekommen, also digitalen Unterricht auch dorthin zu bringen, wo die Infrastruktur dafür eigentlich fehlt“, fasst Riesmeier zusammen. „Und darüber hinaus finde ich es sehr spannend, dass sie anschließend die App dazu entwickelt haben, also nicht nur dieses Infrastruktur-Problem lösen, sondern dazu ein Produkt anbieten, was den Schülerinnen und Schülern vor Ort Spaß macht und sie dadurch anregt, sich länger mit dem Lehrstoff zu beschäftigen.“ Riesmeier leitet bei der Founders Foundation das Projekt EdTech Next, das sich um Bildungs-Technologien kümmert. Er und sein Team beraten und begleiten Gründerinnen und Gründer, die in Nordrhein-Westfalen ein Start-up im Bildungsbereich aufbauen wollen. Allein in NRW gebe es davon 140, wobei nicht alle eine App im Angebot hätten, andere bieten Lösungen für Infrastrukturprobleme, die ja auch an deutschen Schulen durchaus bestehen und von Eltern sowie Lehrerïnnen häufig beklagt werden.

Bürokratie hohe Hürde

Der Markt im Bildungsbereich sei für junge Unternehmen besonders anspruchsvoll, betont Riesmeier, weil so viele Akteure überzeugt werden müssen: „Im Endeffekt geht es darum, dass die Endnutzer, also die Schülerïnnen oder Studentïnnen, wahrscheinlich nicht die sind, die dafür bezahlen.“ Sie müssten aber als erste von dem Angebot überzeugt werden, sonst werde es schlicht nicht genutzt. „Gleichzeitig müssen aber Mindestanforderungen wie das Curriculum erfüllt werden, die von Institutionen wie der Schule oder der Regierung vorgegeben werden“ – Ansprechpartner also, in denen die Wege häufig sehr bürokratisch sind, Entscheidungen lange dauern. Ein Problem, das es jungen Unternehmen schwer macht, die erste Phase zu überstehen: „Bevor sie die Institutionen von ihrer Lösung überzeugt haben, ist vielen das Startkapital schon ausgegangen“, beschreibt Riesmeier. Zudem sei die Aufgabe, die sich das ghananische Start-up gestellt habe, besonders anspruchsvoll, weil Young At Heart mit der Tablet-Infrastruktur und der dazugehörigen App-Anwendung ein größeres Angebotsspektrum abbilde. „In Deutschland konzentrieren sich die meisten Start-ups eher darauf, eine Lösung zu entwickeln“, erklärt Riesmeier. „Entweder im Bereich der Infrastruktur, indem sie beispielsweise den Schulen anbieten, schnelle WLAN-Systeme zu installieren und zu warten. Oder sie entwickeln eine App für den Endnutzer – selten allerdings beides.“

Hoffnung auf Nutzen auch in der Zukunft

Im Dorf Krutiase in Ghana haben die Schülerinnen und Schüler gerade Pause und Zeit für ein Gespräch. „Nicht schwer“, sagt Priscilla auf Frage, wie sie den Umgang mit dem Tablett fand. Die 13-Jährige möchte Friseurin werden, der Computer werde auch dabei nützlich sein: „Dann kann ich im Internet sehen, wie andere Menschen Frisuren gestalten.“ Ihre Banknachbarin Dorothy ist glücklich, dass sie endlich ein Tablett benutzen durfte. Und die „Ananse the Teacher“- App hat ihr gefallen, „weil da mehr Bilder und Spiele drin sind, als in einem Schulbuch“. Sie ist die älteste Tochter von fünf Kindern und in der Familie nun die erste, die ein digitales Gerät berührt hat. „Meine Eltern haben gesagt, dass ich im Unterricht gut aufpassen soll, damit ich ihnen den Umgang mit dem Computer auch beibringen kann“, sagt die 12-Jährige in einer Mischung aus Verlegenheit und Stolz.

Porträt eins sehr schlanken, leicht lächelnden Mädchens. Sie wirkt freundlich, aber etwas schüchtern.
Eine junge Jugendliche, sie lächelt mit leicht schief gelegtem Kopf, ihr Blick wirkt ziemlich nachdenklich und dadurch reif.

„Ich möchte später Modedesignerin werden. Wenn ich den Umgang mit Computer und Internet lerne, kann ich dort neue Stile und Schnitte entdecken.“

Dorothy Takyiwaa (12), Schülerin an der Primarschule von Krutiase

„Ich kann zu Hause das Smartphone meiner Mutter benutzen. Damit habe ich einen Vorteil gegenüber vielen anderen Kindern in Ghana, das ist ungerecht. Die App hilft uns sehr, sie macht es gerechter. Ich möchte später Ärztin werden, das Internet wird mir zum Lernen sehr nützlich sein.“

Daniella Churchson (13), Schülerin an der Little Flower Primarschule in Koforidua

Das Projekt zur Evaluierung des Projekts von Young At Heart hat Halbzeit, nun dürfen die Schülerïnnen, die an den fünf beteiligten Schulen vorher in der Kontrollgruppe waren, ihrerseits mit den Laptops arbeiten. „Nach den vorläufigen Ergebnissen sieht es so aus, als schnitten die Kinder, die mit der App lernen, bei den Tests besser ab als die anderen“, meint der Lehrer Asamoah. Einige Probleme blieben allerdings trotz des mobilen Labors bestehen: „Oft fällt der Strom so lange aus, dass wir die Laptops nicht aufladen können“, bedauert er. Zwar gibt es die mobilen Labore auch mit Solarpanel, aber die sind laut Projektgründer Bruce rund 2.500 US-Dollar teurer als die Basisversion. Und schon die kostet mit 15.000 US-Dollar so viel, dass ländliche Schulen sie sich nicht leisten können. „Wenn ein Dorf ans öffentliche Stromnetz angeschlossen ist, bieten wir grundsätzlich nur die Basisversion an“, sagt Bruce erklärend – obwohl er das Problem mit den Stromausfällen kennt. Bislang ist die Young At Heart für die Finanzierung der meisten mobilen Labore auf Spenderïnnen angewiesen. Da machen auch 2500 US-Dollar, umgerechnet etwa 2300 Euro, einen gewaltigen Unterschied. Auf Dauer möchte die Organisation die mobilen Labore in ärmeren Stadtvierteln oder ländlichen Regionen dadurch mitfinanzieren, dass Schulen mit einer mittelständischen oder wohlhabenden Elternschaft etwas mehr für die Anschaffung bezahlen und dadurch die anderen bezuschussen.

Die junge Frau blickt den Betrachter an, sie trägt ein blaues Kleid.
Das Portrait einer Frau, schwarze, glatte Haare. Sie lächelt, trägt ein leuchtend grünes T-Shirt mit der Aufschrift Young At Heart.

„Ich war einfach neugierig darauf, was das Ananse-Projekt leisten kann, deshalb freue ich mich, bei der Evaluierung mitzumachen. Ich setzte die App gerne im Unterricht ein – zusätzlich zu Büchern.“

Marian Ofosu-Dankyi (29), Berufsschullehrerin an der Little Flower Primarschule in Koforidua

„Ich weiß nicht, ob das ein speziell ghananisches oder afrikanisches Ding ist. Jedenfalls nehmen einige Schulen nehmen das Projekt gerne an. An anderen fordern die Direktoren einen persönlichen Nutzen, bevor sie es umsetzen. Sie fragen: ‚Werdet Ihr mich dafür bezahlen, dass ich die Module aus der App unterrichte?‘“

Cynthia Kaminta (29), Projektmanagerin Young At Heart

John Aryee, einer der Lehrer an der Schule von Krutiase, findet die Ananse-App ebenfalls hilfreich, um seinen Unterricht zu gestalten. Dass die Schülerinnen und Schüler aber trotz des Projekts auch weiterhin keinen Zugang zum Internet haben, empfindet er als einen großen Mangel. „Die Versuche, die in der App beschrieben sind, finde ich toll“, sagt er. „Aber manchmal würde ich meinen Schülern gerne darüber hinaus Videos von anderen Experimenten zeigen, was leider ohne Internetzugang nicht geht.“ Vielleicht zwei Mal im Jahr bezahlt der 33-jährige Aryee aus eigener Tasche ein Datenpaket für sein Mobiltelefon und lässt die Schülerïnnen über einen Hotspot ins Netz. Aber das kann er sich nicht häufiger leisten, und außerdem ist die Netzabdeckung so schlecht, dass der Zugang nur an bestimmten Stellen im Ort möglich ist. Aryee muss an „Internettagen“ mit der Klasse auf der Suche nach dem besten Empfang durch den Ort wandern, sein Handy wie eine Wünschelrute vor sich hertragend.

Die nächste Lösung wird schon entwickelt

Bruce ist das Problem bewusst. „Wegen der schlechten Infrastruktur achten wir bei jedem Entwicklungsschritt darauf, dass unsere Lösung auch offline funktioniert“, sagt er. Auf Dauer wollen er und der Rest des Young-At-Heart-Teams diesen Zustand aber nicht akzeptieren: Was es bereits gibt, ist der „Ananse Hub“, also eine Plattform, über die Lehrende, Eltern und Schülerïnnen miteinander kommunizieren können. Ein Team aus Programmierern arbeitet schon am nächsten Schritt: Einem lokalen Netzwerk, das über ein Gerät mit dem Internet verbunden ist und die Weitergabe der Daten innerhalb des Verbunds auch offline ermöglicht. Diese weitere Entwicklung ist laut Bruce bereits in der zweiten Testphase. Bruce erhofft sich von ihrem neuen Produkt, dass der Zugang zum Internet an den Schulen deutlich billiger wird: Statt für den Download von Daten auf 50 Tabletts 50 mal zu bezahlen, würde dann ein Download genügen, auf die übrigen Tabletts würden die Daten offline übertragen.

Vermutlich wird sich dann bald ein nächstes Problem zeigen, das nach einer Weiterentwicklung der Lösung verlangt, ahnt Bruce. Und ist sich sicher, dass sein Team auch eine Antwort darauf finden wird. So unterschiedlich das ghanaische und das deutsche Bildungssystem sind, ist der trotzdem davon überzeugt, dass deutsche Entwicklerinnen und Entwickler etwas vom Young-At-Heart-Team lernen könnten: „Die Praktikabilität von Lösungen“, meint Bruce. Also möglichst kostengünstige, leicht umsetzbare Antworten zu finden. Vor allem aber: „Resilienz“, also frei übersetzt: sich von Schwierigkeiten nicht unterkriegen zu lassen.

Das Projekt wurde gefördert von dem European Journalism Center, durch das Programm Solutions Journalism Accelerator. Dieser Fonds wird unterstützt von der Bill und Melinda Gates Foundation.

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