Wahlkampf in Ecuador: Wie ein Ornithologe ein gefälschtes Propaganda-Video aufdeckte

Eine bedrohte Vogelart gibt den entscheidenden Hinweis.

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Ein braun-gescheckter Vogel mit grün-grauen Augen sitzt auf dem Boden zwischen trockenen Blättern und Ästen.

Es sind 45 Sekunden Video, die in den Wahlkampf in Ecuador platzten. Sie zeigen drei vermummte, bewaffnete Männer in Flecktarn mit dem Banner der kolumbianischen ELN-Guerilla im Hintergrund. Der Mann in der Mitte verliest eine Botschaft an die „revolutionären Kameraden der Schwesterrepublik Ecuador“. Die Guerilla werde sich weiter in die Politik des Nachbarlandes einmischen und die unterstützen, die auf ihrer Linie seien, verspricht er.

Sein Schlachtruf verrät, wer das ist: Andrés Arauz, der politische Ziehsohn des linken Ex-Präsidenten Rafael Correa. Darunter steht: „Dschungel von Kolumbien, 31. Januar“. Arauz, Marionette einer Mörderbande aus Kolumbien – das wäre ein gefundenes Fressen für seine politischen Gegner*innen.

Alles Bluff, sagt Manuel Sánchez Nivicela. Der 40-Jährige aus Quito ist Experte für Wissenschaftskommunikation und Ornithologe und hat unter anderem an der Roten Liste der bedrohten Vögel Ecuadors mitgearbeitet. Im Interview erklärt er, warum das Video unmöglich in Kolumbien gedreht worden sein kann.

Katharina Wojczenko: Herr Sánchez Nivicela, Sie haben mitten im hoch polarisierten Wahlkampf in Ecuador mit ornithologischem Fachwissen ein brisantes Video als Fälschung entlarvt. Wie haben Sie das gemacht?

Manuel Sánchez Nivicela:Ich verfolge die Nachrichten in Ecuador nicht besonders, aber ich stolperte darüber auf Twitter, weil es plötzlich überall war. Also spielte ich es ab. Ehrlich gesagt habe ich nicht einmal wirklich hingeschaut. Bei Sekunde 30 hörte ich plötzlich den Vogel pfeifen. Ich stoppte das Video, spielte es nochmal von vorne ab und sagte mir: Das ist nicht Kolumbien.

Warum kann das Video nicht in Kolumbien gedreht worden sein?

Ich bin Ornithologe, ich war in anderen Ländern Südamerikas, um Vögel zu beobachten, im Vereinigten Königreich, der Türkei. Ich kenne mich mit Vogelsängen aus und wusste sofort: Diese Art gibt es nicht in Kolumbien. Unmöglich.

Hören Sie hier auf Xeno-Canto die Stimme des Vogels.

Wer hat die Macher denn da verpfiffen?

Da singt ein Brauentinamu (lat. Crypturellus transfasciatus, span. Perdiz Ceja blanca). Das ist eine endemische Art, die es nur in den Laubwäldern der Tumbes-Region* lebt. Diese endemische Region teilen sich Ecuador und Peru. Die Tinamus ernähren sich von Insekten, Früchten und Samen, die sie am Boden finden. Sie können nur in diesem Ökosystem leben. Und dann hörte ich noch zwei Vögel…

*Die Tumbes-Region (span. región tumbesina oder bosque seco ecuatorial, äquatorionischer Trockenwald) ist der Name eines sogenannten Gebiets endemischer Vögel (Endemic Bird Area). So bezeichnet die Vogelschutzorganisation BirdLife International schützenswerte Lebensräume von Vogelarten, die nur in einem begrenzten Bereich vorkommen. Sie erstreckt sich vom Westen Ecuadors bis in den Nordwesten Perus – wobei der größte Teil von ihr in Ecuador liegt (-> Karte). Der Name leitet sich von dem gleichnamigen Fluss ab, nicht von der Stadt, Provinz und dem Departamento Tumbes, die alle in Peru liegen. Die Tumbes-Region ist eine der am stärksten bedrohten endemischen Vogelregionen. Von den Wäldern sind weniger als fünf Prozent übrig.

Karte von Südamerika mit eingezeichneter Tumbes-Region. Sie verläuft entlang der Pazifikküsten von Ecuador und Peru.
Diese Karte zeigt endemische Tumbes-Region.
Ein braun-gescheckter Vogel mit grün-grauen Augen sitzt auf dem Boden zwischen trockenen Blättern und Ästen.
Der Brauentinamu (Crypturellus transfasciatus) ist sehr selten. Namen hat er viele: Offiziell und international heißt er auf Spanisch Tinamú cejudo, aber in Ecuador Tinamú Cejiblanco und in Peru Perdiz de Ceja Pálida.

Was waren das für zwei andere Vögel?

Das eine war die Tumbesdrossel (Turdus maculirostris, span. Mirlo Ecuatoriano), die auch in der Tumbes-Region endemisch ist. Aber im Gegensatz zum Brauentinamu bewegt sie sich mehr. Weil die Wälder der Tumbes-Region immer weiter abgeholzt werden, siedelt sie in den Norden von Ecuador über. Die Tumbesdrossel, die im Übergangsbereich zwischen Trockenwald und Feuchtwald lebt, wurde sogar schon im äußersten Südwesten Kolumbiens nachgewiesen, weil die Abholzung der Wälder ihr auch ermöglicht, sich in neuen Gebieten anzusiedeln. Es ist deshalb möglich, dass sie nicht mehr als endemische Art der Tumbes-Region gelten darf. Doch den Brauentinamu gibt es nur in diesem Gebiet endemischer Vögel.

Ein brauner Vogel mit karamellfarbener Bauchseite mit weißen Sprengeln sitzt in einem Baum. Dieser trägt kaum Blätter, aber grüne Beeren.
Die Tumbesdrossel (Turdus maculirostris) heißt in Ecuador Mirlo Ecuatoriano und in Peru Zorzal Ecuatoriano.

Hören Sie hier die Stimme der Tumbesdrossel.

Und dann haben Sie noch einen dritten Vogel singen hören…

Einen, der in Südamerika sehr häufig ist, genauer gesagt zwischen Ecuador und Peru: der Buschstärling (Dives warczewiczi, span. Tordo). Er lebt aber auch im äußersten Südwesten Kolumbiens. Von allen drei Vögeln war es also der Brauentinamu, der mir verraten hat, dass das Video in Ecuador gefilmt worden sein muss. So singt kein Vogel in Kolumbien.

Ein komplett schwarzer Vogel sitzt auf einem Ast.
Der Buschstärling (Dives warczewiczi) hat drei spanische Namen: offiziell und international heißt er Zanate matorralero, aber in Ecuador Negro Matorralero und in Peru Tordo de Matorral.

Hören Sie hier die Stimme des Buschstärlings.

Bleibt der Tinamu immer dort, wo er aufgewachsen ist?

Ja, er ist kein Zugvogel. Die beiden anderen auch nicht, aber sie siedeln sich anderswo an. Die Abholzung der Wälder zwingt sie dazu. Aber der Brauentinamu kann ohne das Ökosystem der Tumbes-Region nicht überleben. Für meine Arbeit habe ich seinen Gesang aufgezeichnet.

Wieso hat das Video in Ecuador so viel Wirbel verursacht?

Die kolumbianische Wochenzeitschrift Revista Semana hatte kurz vorher einen Artikel herausgebracht. Demnach sollen geheime Dossiers und Unterlagen (angeblich vom Computer des von der Armee getöteten ELN-Kommandanten Uriel, Anm. K.W.) belegen, dass die kolumbianische ELN-Guerilla die Partei von Ex-Präsident Rafael Correa unterstützt. Alles, um seinem Kandidaten Andrés Arauz Stimmen wegzunehmen. Der Artikel war tendenziös und voller Mutmaßungen, löste aber eine heftige Diskussion in Ecuador aus.

Und das Video war Teil dieses Semana-Artikels?

Nein, das Video tauchte später auf Twitter auf und ging viral, mitten in dieser Vorwahl-Stimmung. Politikerïnnen fingen an, es auf ihren Accounts zu teilen. Trolle und ihre Followerïnnen des rechten wie linken politischen Spektrums hatten es verbreitet. Die Quelle ist unbekannt.

Ich habe das nicht gemacht, um für jemanden politisch Partei zu ergreifen. Ich fühle mich der Wahrheit verpflichtet.

Dann haben Sie einen mehrteiligen Tweet mit Ihren vogelkundlichen Erklärungen abgeschickt. Der ging ziemlich durch die Decke.

Ich habe das nicht gemacht, um für jemanden politisch Partei zu ergreifen. Ich fühle mich der Wahrheit verpflichtet. Dieses Video widerlegt, dass die ELN-Guerilla den ehemaligen Präsidenten Rafael Correa unterstützt. Außerdem habe ich die Aufmerksamkeit genutzt, um über eins der gefährdetsten Ökosysteme der Welt zu sprechen – und über den Brauentinamu, der ebenfalls vom Aussterben bedroht ist. Zum Beispiel wegen der Abholzungen für die Pazifik-Raffinerie, die Ecuador und Venezuela unter den damaligen Präsidenten Rafael Correa und Hugo Chávez dort gemeinsam bauen wollten, was am Ende scheiterte.

Der kolumbianischen Ornithologe Andrés Cuervo hat unter Ihrem Tweet auf Twitter geschrieben, dass er 2007 von seiner Regierung schon einmal angefragt wurde.* Er sollte anhand der Vogelstimmen in einem Bekennervideo herausfinden, wo im Dschungel die Farc-Guerilla prominente Geiseln gefangen hielt. Haben Sie auch Angebote für Factchecking von Medien bekommen – oder um Verbrechen aufzuklären?

Wegen Factchecking hat mich tatsächlich ein Journalist aus Ecuador angefragt. Verbrechen aufzuklären noch nicht – aber das wäre spannend für mich!

*Auf Nachfrage erklärt Andrés Cuervo, dass er den Aufenthaltsort der FARC-Geiseln damals nicht eindeutig bestimmen konnte. Die zu hörenden Vögel hatten eine weite Verbreitung. Wohl aber konnte er hören, dass sie sich in der riesigen Amazonas-Region befinden mussten. „Ein Grallaria urraoensis (Antioquia-Ameisenpitta) zum Beispiel wäre ein besseres Indiz gewesen, weil dieser nur im Frontino-Páramo von Urrao vorkommt.“ Die Entführten wurden Jahre später befreit.

Bei der Wahl am Sonntag traten 15 Männer und eine Frau an, um Präsidentin von Ecuador zu werden. Wer von ihnen wäre für die Zukunft des Brauentinamu am besten?

Ich weiß, dass Umweltschutz für keine*n Politikerïn in Ecuador Priorität hat. Ich bin genauso besorgt wie seit 25 Jahren. Die Umweltfrage ist reines Gerede.

Am Sonntag, 7. Februar, haben etwa 13 Millionen Menschen in Ecuador einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament gewählt. Die Auszählung der Stimmen ist noch nicht abgeschlossen. Es wird zu einer Stichwahl kommen zwischen Andrés Arauz (Unes), Schützling des linken Ex-Präsidenten Rafael Correa, und entweder dem Banker Guillermo Lasso (Creo) oder dem indigenen Überraschungs-Kandidaten Yaku Pérez (Pachakutik).

In dem Video gibt es noch weitere Indizien für eine Fälschung: die Anrede „Kamerad“, die Waffen, die eher auf Finca-Arbeiter hindeuten als auf Untergrundkämpfer, und den Tippfehler im Abspann. Statt für „Ejército de Liberación Nacional“ steht ELN dort für "Ejército de Lineración Nacional“.

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