Wir müssen reden – wie wir den wenigen Platz in der Stadt neu verteilen

In den größeren Städten hat der Kampf um Parkplätze längst begonnen. Paris verbietet E-Scooter. Parken soll teurer werden, Radfahrende fordern mehr Raum. Restaurant-Betreiber wollen ihre Tische auf die Straße stellen. Doch der Streit über mögliche Lösungen führt schnell zu Beschimpfungen.

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
5 Minuten
Die Grafik zeigt die Gesichter von drei Menschen mit Fragen zu einem aktuellen Thema. Sie erhalten Antworten.

Wir müssen reden ist eine Kolumne der ZukunftsReporter. Sie erscheint alle 14 Tage als Newsletter und im Riff und liefert Denkanstöße zu den aktuellen Themen unserer Zeit. Denn unsere Zukunft beginnt nicht irgendwann, sondern schon heute. Wenn wir sie gestalten wollen, müssen wir unsere Optionen diskutieren.

In meinem Wohnort Düsseldorf tobt eine heftige Diskussion, die in diesem Jahr wahrscheinlich alle größeren Städte erreichen wird. Ab Oktober sollen die Gebühren für Anwohnerparkausweise steigen: von 30 Euro auf bis zu 360 Euro im Jahr. Die Reaktionen der BürgerInnen liegen weit auseinander. Einige sagen, es sei Wucher, wenn die Gebühren um mehr als 1000 Prozent erhöht werden. Andere halten den Preis von einem Euro am Tag für angemessen.

Für diejenigen, die das Konzept der Parkausweise nicht kennen: Für die Gebühr bekomme ich keine Parkplatzgarantie, sondern nur das Recht, irgendwo in meinem Viertel ein Auto abzustellen, ohne am Parkautomat zahlen zu müssen. Vor allem abends gibt es oft aber gar keine freien Parkplätze mehr.

Wie die Wut auf das Auto entsteht

Nicht nur Düsseldorf streitet darüber, wie der wenige Platz in dicht besiedelten Vierteln verwendet werden soll. Dieser Konflikt tobt in allen größeren Städten. Die für die Verkehrswende nötigen Radwege lassen sich nur bauen, wenn dafür Parkplätze geopfert werden. Die BesitzerInnen von E-Autos fordern mehr Ladestationen. Während der Corona-Pandemie haben viele Restaurants Tische auf die Straße gestellt, um ihre Gäste zu bewirten. Die Vorstellung im eigenen Viertel noch draußen den Abend genießen zu können, gefällt vielen Menschen, die keinen eigenen Balkon oder Garten besitzen. Und wenn die Städte im Sommer heiß werden, sorgen Bäume für Abkühlung – doch auch die benötigen Platz, der bisher durch Autos blockiert wird. Der sogenannte Parksuchverkehr verursacht außerdem Krach und sorgt für schlechte Luft. Vielen Menschen in der Stadt fällt der Verzicht auf ein Auto leicht, andere können sich einen eigenen Pkw nicht leisten. So entsteht Wut auf das Auto.

Auf der anderen Seite wohnen auch in der Stadt Menschen, die mit dem Auto zur Arbeit fahren müssen und die einen Stellplatz in der Nähe erwarten. Der Straßenverkehr bringt Besucher in die Stadt, die dort Geld ausgeben, was die Steuereinnahmen erhöht und so manches Projekt finanziert. Viele Pendler fahren nach Düsseldorf und suchen sich dort Parkplätze, den Anwohnern ist das ein Dorn im Auge, doch die Stadt braucht attraktive Arbeitsplätze.

ADAC mit höheren Parkgebühren einverstanden

Diskussionen über Parkplätze laufen häufig nach dem gleichen Muster ab: Menschen mit Bewegungseinschränkungen wie die oft zitierte „gehbehinderte Oma“, HandwerkerInnen und Pflegedienste müssen für die Forderung nach ausreichend Parkplätzen herhalten. Sie werden als Leidtragenden der hohen Gebühren angeführt, die sich das Parken künftig nicht mehr leisten werden können. Doch das trifft nicht den Kern, denn für diese Gruppen gibt es immer Sonderregelungen. In Düsseldorf können auch Wohngeldbezieher und Menschen mit wenig Geld Ermäßigungen beantragen. Selbst der ADAC hält inzwischen eine deutliche Gebührenanhebung für angemessen. Der deutsche Städtetag empfiehlt einen Rahmen von 200 Euro.

Die Fronten in der Debatte verhärten sich, weil sich jede Seite in ihrem Alltag eingeschränkt sieht. Und Kompromisse sind schwer, denn halbe Parkplätze helfen niemanden. Also höchste Zeit, über unsere Zukunft und die Verteilung des innerstädtischen Raums zu sprechen.

Stadtplaner wollen Parkplätze vergrößern

Diejenigen, die Auto fahren, fordern mehr Platz. Die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) hat berechnet, dass Parkplätze in Zukunft größer geplant werden müssen, weil die Autos größer geworden sind. Das Gremium hat Einfluss auf die Stadtplanung. „Damit schafft die Automobilindustrie Fakten in den Städten, denn im Gegensatz zu den Autos wachsen Straßen und Plätze nicht“, schreibt meine Kollegin Andrea Reidl. Sie hat mit Otto Zimmermann gesprochen, dem ehemaligen Generalsekretär des Weltstädteverbandes für nachhaltige Entwicklung. Er benutzt derbe Worte: „Wir brauchen eine Abrüstung im Verkehr von groben zu feineren Fahrzeugen“, sagt Zimmermann und fordert kleinere Parkplätze in den Städten. „Wenn es mehr kleinere als wenige große Parkplätze im Wohngebiet oder in Tiefgaragen gibt, überlegen sich die Menschen, welches Fahrzeug sie kaufen und nutzen.“ Damit wäre Parkraumverknappung ein Lenkungsinstrument für das Kaufverhalten.

Angst, dass es anders wird

Lösungen müssen sich immer am Ergebnis ausrichten und nicht an der Vermeidung von Verlustängsten in der aktuellen Situation. In Barcelona beispielsweise sollen sich Gesundheit und Lebensqualität in den Wohnvierteln durch das Abweisen von Autos deutlich verbessern. „In Barcelona sterben jedes Jahr 3000 Menschen verfrüht – wegen der Schadstoffe in der Luft, der hohen Lärmbelastung, der fehlenden Grünflächen und der dadurch eingeschränkten körperlichen Aktivität vieler StadtbewohnerInnen“, sagt Mobilitätsforscher Mark Nieuwenhuijsen im Gespräch mit Julia Macher.

Am Ende führen die Diskussionen fast immer zum gleichen Ergebnis. Parkende Autos müssen weg von der Straße. In Düsseldorf sollen möglichst viele Pkw in Quartiersgaragen verschwinden. Die kosten derzeit etwa 70 bis 100 Euro. Im Monat.

Dass Verkehrsdebatten nicht rational geführt werden, zeigt das Beispiel Paris. Dort sprachen sich die BürgerInnen für ein Verbot von E-Scootern aus. Schaut man genauer hin, zeigt sich, dass die Menschen in der Stadt vor allem das wilde Parken der Roller und das rücksichtslose Verhalten ihrer FahrerInnen beendet sehen wollten. Das wäre auch ohne Verbot der E-Scooter möglich gewesen. In Düsseldorf beispielsweise dürfen die Roller nicht mehr überall abgestellt werden, sondern nur noch innerhalb spezieller Parkzonen – so wie es auch für andere Verkehrsmittel üblich ist.

Zukunftsszenarien

Das Leben in Großstädten könnte sich radikal verändern. Wir ZukunftsReporter haben schon vor zwei Jahren eine Lösung für den Parkplatzkrieg in Innenstädten geschrieben. Darin bekommen Anwohner eine Geldprämie und für ihre Besucher Gratisparkzeit im teuren Parkhaus, wenn sie das eigene Auto abschaffen. Pendler sollen auf den Zug umsteigen. Im Juli haben wir bei einem Workshop in Berlin mit Anregungen aus dem Publikum ein Szenario entwickelt, wie Berlin grüner werden könnte: Der neue Beruf des Parkplatzaufreißers sorgt für mehr Grünflächen.

Weitere Hintergründe zum Thema:

· Was darf ein Parkplatz kosten?

· Deutschland muss zeigen, ob es die Verkehrswende will

· Wie Städte auf den Klimawandel reagieren können

· Prämie für Abgabe von Autos

· Agora: Wissenschaftliche Studie zu Kosten des Parkraums

Falls Sie Diskussion nur für ein Großstadtproblem halten, dann machen Sie doch ein Gedankenexperiment. Düsseldorf ist auch ein Ziel für Citytouren. Die Reisegruppen finden sich seltsamerweise nie an den stark befahrenen Straßen, sondern eher dort, wo die Stadt verkehrsberuhigt ist. Warum wohl?

Weitere Denkanstöße der Zukunftsreporter:

Wir müssen reden – über pflegebedürftige Angehörige

Wir müssen reden – über Chancen und Gefahren durch künstliche Intelligenz

Kontakt und Veranstaltungen

Wir lesen, was ihr schreibt – Wer eigene Erfahrungen schildern möchte, kann uns gern eine E-Mail schreiben:

Wir diskutieren – ZukunftsReporter live vor Ort: am 2. Mai 2023, 18 Uhr, Experimenta, ScienceCenter HeilbronnScience Lounge: „Wie kann uns KI helfen nachhaltig zu leben?“

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