Nationalsozialismus: Multidirektionales Erinnern am Stadtlabor in Frankfurt

Im Historischen Museum Frankfurt teilen Bürger*innen unterschiedlicher Herkunft ihre Recherchen zur Gegenwart des Nationalsozialismus

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Eine Frau mit langem schwarzen Haar und Corona-Maske blättert in ihrem Buch, das Interviews, Fotomaterial und Zeichnungen enthält.

Partizipative Museumsarbeit hat im Historischen Museum Frankfurt einen festen Platz. Sie spiegelt zudem das Selbstverständnis eines Museums, das für die Menschen da sein will. Seitdem Jan Gerchow das Haus leitet, bringt das Stadtlabor einzigartige Bürger-Projekte auf den Weg. Das Netzwerk der seit mehr als zehn Jahre arbeitenden Abteilung umfasst heute rund 1000 Personen. Flankierend zu der Hauptausstellung „Frankfurt und der NS. Eine Stadt macht mit“ zeigt das Stadtlabor 25 individuelle Spurensuchen zum Nationalsozialismus in der Gegenwart. Über Ansatzpunkte partizipativer Museumsarbeit und eine ungewöhnliche Ausstellung.

Das Stadtlabor lud gezielt 38 Personen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Geschlechteridentität ein, um bei diesem schwierigen Thema zu einer maximalen Diversität der Gruppe zu kommen. Das ist nicht immer so. Normalerweise werden partizipative Projekte offen ausgeschrieben. Für jede neue Aktion schneidet das Team seine Vorgehensweise neu zu.

Der Fokus lag wie immer im Stadtlabor auf dem gegenwärtigen Erleben. Die Teilnehmer*innen suchten nach Spuren des Nationalsozialismus im Stadtbild, in ihren Familiengeschichten und in „speziellen Situationen“, also nach Relikten im Verhalten der Menschen. Pandemiebedingt gab es für das Projekt nur ein Auftakttreffen, alle anderen Gespräche fanden online in Gruppen statt. Dieser gegenseitige Austausch stellte sich als Herzstück der Stadtlabor-Arbeit heraus. Dort fanden Anregung, Debatte, aber auch Ermutigung statt.

Für die Kulturanthropologin Angela Jannelli ist „das Stadtlabor eine Art qualitatives Sozialforschungstool, mit dem wir unbewusstes Wissen der Stadt durch verschiedene Methoden ins Bewusstsein holen und erfahrbar machen.“ Dieses Wissen werde zunächst in einer Gruppe teilt und dann in einen Ausstellungsbeitrag überführt, der wiederum von anderen rezipiert werden könne. Das sei ein subjektiver Ausgangspunkt, Dennoch sei die Ausstellung mehr als eine bloße Aneinanderreihung von subjektiven Statements. Dafür sorge der intensive Austausch der Teilnehmer*innen untereinander.

Eigene Erinnerungen freisetzen

In diesem Projekt habe das Stadtlabor aktiv an einer Pluralisierung des Erinnerungskollektivs mitwirken wollen, das noch immer durch die Vorstellung eines homogenen „Deutschseins“ geprägt sei, sagt Angela Jannelli, Kuratorin für partizipative Museumsarbeit. Das Team knüpfte konzeptionell an Michael Rothbergs Gedanken des „multidirektionalen“ und „solidarischen Erinnerns“ an. Das gemeinsame Erinnern soll dazu dienen, durch Unrecht geprägte Strukturen zu überwinden. Subjektive oder nationale Erinnerungen sollen nicht gegeneinander ausgespielt werden, nach Rothberg stößt der Konflikt der Erinnerungen weitere Erinnerungen an.

Der Kolonialismus-Experte Jürgen Zimmerer erläutert in seiner DLF-Rezension von Rothenbergs 2021 in deutscher Sprache erschienenem Buch den Begriff „Multidirektionales Erinnern“: „Erinnerung ist eine umkämpfte Ressource, sie schafft Identität und Abgrenzung gleichermaßen.“ Sie könne exklusiv wirken oder plural und multidirektional. Sie kann sich gegenseitig ausschließen oder solidarisch unterstützen. All dies zeige sich auch am Holocaust, der universellen Chiffre für das Böse schlechthin.

Blick in die Dokumentation von Asal Khosravi. Die Künstlerin erforschte das Innere der Bunker und zeichnete ihre Gesprächspartnerinnen.
Stadtlaborantin Asal Khosravi erforschte Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg und führte Interviews zum Thema Kindheit im Krieg.
Eine junge Frau mit kurzem dunklen Haar und Corona-Maske hebt eine transparente Papierfahne hoch, um darunterliegende Informationen zu enthüllen.
Stadtlaborantin Elena Barta suchte nach Hinweisen auf queeres Leben vor 1933. In der Zeitschrift „Die Freundin“ von 1930 fand sie eine Meldung zur Gründung der Zeitschrift „Das dritte Geschlecht“.
Ein grauer Schuhkarton, gefüllt mit verschiedenformatigen Fotografien.
Eine Schachtel mit Fotos wurde für Frank Paulun Ausgangspunkt für die Erforschung der Verstrickungen seines Großvaters mit dem Nationalismus.