Haben die Debatten um die Documenta Fifteen den Blick auf die Kunst geschärft?

Parastou Forouhar zeichnet mit elegantem Strich Ornamente aus gemarterten Körpern. Warum dennoch der Begriff „politische Kunst“ für die Arbeit der in Deutschland lebenden Iranerin nicht passt.

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blau eingefärbte Form mit aus Menschenleibern geformter Struktur

DebatteMuseum hat sich 2022 eingehend mit neuen Konzepten der Ethnologischen Museen in Leipzig, Stuttgart, Hamburg und Amsterdam befasst. Ein anderes Thema war die Documenta Fifteen, deren Debatten monatelang die Kulturseiten beherrschten. Über diese Ereignisse hätte ich beinahe eine Ausstellung der deutsch-iranischen Künstlerin Parastou Forouhar verpasst, die nahezu vor meiner Haustür stattfindet. Ihre Schau „Schmetterling erbeutet“ eignet sich hervorragend, um die Bedeutung des Begriffs „politische Kunst“ zu klären, der im vergangenen Jahr in der Kulturszene zu heftigen Konfrontationen geführt hat.

Es ist im vergangenen Jahr viel diskutiert worden über „politische Kunst“, über Kunst, die etwas bewegen soll, also über Werke, die mehr sein sollen als ein ästhetisches Statement, eine Beschäftigung mit einer Differenz, eine Suche nach einer ungestellten Frage. Die Forderung, dass Kunst mehr konkreten Lebensbezug und angesichts der aktuellen Lage mehr politische Stellungnahme brauche, ging in dem alles überschattenden Antisemitismus-Skandal der Documenta Fifteen in Kassel unter. Der offenbarte, wann die Grenzen einer politisch instrumentalisierten Kunst mauerhoch aufragen können, nämlich, wenn in Deutschland Juden im Stil nationalsozialistischer Propaganda diffamiert werden.

Darüber wurde unendlich viel geschrieben, genauso wie über die bis in den letzten Winkel der deutschen Provinz vordringende postkoloniale Kunst. Darunter sind strukturell höchst anspruchsvolle Ansätze wie die Projekte der Gruppe The Living and the Dead Ensemble. Meist gehen die Künstler*innen weniger vermittelnd vor. Sie wollen die Last des Unbewältigten benennen, sie sichtbar, sie erfahrbar machen: Den Schmerz über das Leiden der Vorfahren, die Wut über koloniale, imperiale Unterdrückung, Gewalt, Krieg, Ausbeutung, eurozentrisches Denken und Handeln bis heute.

Sechs kachelförmige, farbige Zeichnungen, die in geöffneten Archiv-Boxen liegen.
Der Schmetterling steht in der persischen Literatur für einen Moment der Schönheit, Im Werk von Parastou Forouhar öffnet er die Augen für das Leid der Menschen im Iran.