Hitzeschutz für Alte und Kranke: „Man muss erstmal wissen, wer Hilfe braucht“

Hitzetelefon, Buddys und Patientenlisten: Wie die Gesellschaft alte, kranke und pflegebedürftige Menschen bei Extremtemperaturen schützen kann

vom Recherche-Kollektiv die ZukunftsReporter:
6 Minuten
Eine alte Frau liegt nach einem Hitzschlag auf einer Wiese, eine jüngere sitzt bei ihr und hilft. Hitze kann für Menschen mit Vorerkrankungen schnell lebensbedrohlich werden. Sie brauchen besonders viel Unterstützung. Bei der Organisation steht Deutschland noch am Anfang.

Hitze ist gefährlich, vor allem für alte Menschen, chronisch Kranke und Pflegebedürftige. Durch den Klimawandel werden Hitzetage häufiger als früher. Doch Deutschland ist nur schlecht auf Temperaturen von über 35 oder gar 40 Grad vorbereitet. Häufig scheitert der Schutz schon daran, dass niemand weiß, wo besonders gefährdete Menschen leben. Oder, wer diese Hilfe leisten soll und kann. Dafür braucht es neue Strukturen und Zuständigkeiten. Es gibt viele gute Vorschläge und Beispiele im Ausland, an denen sich Deutschland orientieren kann.

Als das Ahrtal in den Wassermassen versank und die Evakuierungen anliefen, standen die Helfer vor einem ganz praktischen Problem: „Es gab keine Übersichten, wo Menschen mit Pflegebedarf, die besonders auf Hilfe angewiesen sind, wohnen“, sagt Clemens Becker vom Geriatrischen Zentrum am Universitätsklinikum Heidelberg. Bei einer Hitzewelle wäre es genauso, ist der Mediziner überzeugt. Man müsste erst mühsam nach den Menschen suchen.

Das ist eines der Probleme, vor denen Deutschland derzeit beim Hitzeschutz steht. Es gibt noch viele andere: Wer könnte die Versorgung übernehmen, wenn Menschen bei Hitze mehrmals täglich aufgesucht werden müssen? Jemand muss morgens früh lüften und für ausreichend Getränke sorgen, die Körpertemperatur kontrollieren und zum Trinken animieren. Und wie kommt ein Mensch, der gehandicapt ist, von seiner überhitzten Wohnung in einen Kälteraum der Stadt?

Rekordtemperaturen bis 48 Grad Celsius – eher wahrscheinlich

Der Bundesgesundheitsminister kündigte im Juni einen nationalen Hitzeaktionsplan an. Der Schutz vulnerabler Gruppen sei „oberstes Ziel der Hitzeprävention“. Denn Jahr für Jahr sterben Tausende an den Folgen der Hitze. Und es könnte noch weit schlimmer kommen, wenn es auch in Deutschland mehr Hitzetage gibt, an denen das Thermometer auf weit über 40 Grad steigt. Das zeigt das Beispiel Kanada: Dort litten die Menschen im Sommer 2021 wochenlang unter Hitze, die Städte meldeten Rekordtemperaturen zwischen 40 und 50 Grad Celsius.

Das Land Berlin ist vorangegangen. Dort hat das Aktionsbündnis Hitzeschutz Muster-Hitzeschutzpläne erarbeitet. Sie legen fest, wie sich Praxen, Pflegedienste, Krankenhäuser, die Bezirke und Pflegeheime auf Hitze vorbereiten sollten und was bei Extremtemperaturen zu tun ist.

Wer braucht Hilfe bei Hitze?

Um bei Hitze helfen zu können, muss man erstmal wissen, wer Hilfe braucht. Das Bundesgesundheitsministerium spricht den Hausärztïnnen eine zentrale Rolle zu. Sie sollen gefährdete Patienten identifizieren, um bei Hitze gezielt Kontakt aufnehmen zu können. „Viele Hausärzte sagen: `Ich kenne meine Patienten´. Aber sie vergessen, dass Hitze meistens in die Urlaubszeit fällt. Wer kümmert sich, wenn sie drei Wochen im Urlaub sind?“, beschreibt Becker ein zentrales Problem. Das Aktionsbündnis Hitzeschutz Berlin empfiehlt, dass Praxen Listen mit gefährdeten Patientinnen erstellen und in die Praxissoftware integrieren. Wird es heiß, reicht ein Klick, um zu sehen, wer Unterstützung braucht.

Die Pflegekassen haben die Daten von allen Pflegebedürftigen, die Leistungen beziehen. Auch diese Menschen sind bei Hitze potenziell gefährdet. Doch bisher werden diese Daten nicht systematisch zum Hitzeschutz genutzt. „Ein Datenabgleich der Pflegekassen mit den Hausärzten wäre wichtig“, findet Becker, der seit Jahren zum Hitzeschutz forscht.