Verweigert euch! Warum mehr Arbeitszeit der falsche Weg in die Zukunft ist

Statt das Land endlich zu modernisieren und die Wirtschaft damit produktiver zu machen, fordern einfallslose Politiker von ausreichend gestressten Bürgern mehr zu arbeiten. Das verlangt nach einer klaren Reaktion. Eine Polemik.

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Eine überarbeitete Frau sitzt eingesunken am Laptop

Am Bahnhofskiosk prangt die Schlagzeile: „Wer arbeiten kann, muss auch arbeiten“. Ein Satz, der Erinnerungen aus meiner 40 Jahre zurückliegenden Jugend wachruft. Manch älterer Mitbürger meinte damals, Menschen sollten lieber morgens ein Loch auf- und es abends wieder zuschaufeln, als arbeitslos zu sein.

Arbeit ohne jede Produktivität, Arbeit als Selbstzweck, als Strafe, als Erniedrigung. Die Schlagzeile aus dem Jahr 2025 könnte aus diesen Zeiten stammen. Es spielt offenbar keine Rolle mehr, ob sich von der erzwungenen Arbeit die Miete oder einigermaßen gesundes Essen bezahlen lässt. In Talkshows schwärmen Teilnehmer von fernöstlichen Ländern, wo Menschen angeblich von morgens bis abends schuften und lächelnd mit zehn Tagen Urlaub im Jahr auskommen. Sie seien „hungrig“ lautet die fragwürdige Erklärung, natürlich ganz im Gegensatz zu satt und faul gewordenen Deutschen, die sich daran ein Vorbild nehmen sollen. Schwer zu ermessen, wie weit der kulturelle Rückfall wäre, sollte sich solches Denken in unserer Gesellschaft etablieren.

In der schwarz-roten Koalition ist es offenbar schon angekommen. Mehrarbeit soll laut Koalitionsvertrag steuerlich gefördert werden. Menschen, die wiederholt „zumutbare“ Arbeit ablehnen, soll die Grundsicherung gestrichen werden. Was „zumutbar“ heißen soll, steht da nicht. Als Speerspitze des reanimierten alt-deutschen Arbeitsethos präsentierte sich Kanzler Merz in seiner ersten Regierungserklärung: „Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können.“

Aus der Zeit gefallene Vorstellung von Arbeit

Die Infamie gipfelt in der oft heruntergebeteten Parole: „Arbeit muss sich wieder lohnen“. Wobei „lohnen“ ein schönfärberisches Codewort dafür ist, dass Arbeit das einzige Mittel sein soll, sich vor dem existenziellen Nichts zu schützen. Jeder weiß, dass sich Erwerbsarbeit seit der Erfindung des Kapitalismus niemals in dem Sinne „lohnt“, dass man dadurch auch nur ansatzweise zum oberen Prozent der Gesellschaft aufschließen könnte. Und dass alle Deutschen jetzt Unternehmer werden sollen, kann wohl kaum gemeint sein.

Wofür arbeitet ein Bürger in einer aufgeklärten, fortschrittlichen Gesellschaft? Zunächst, um Geld zu haben, klar. Aber auch, um etwas Sinnvolles zu tun, soziale Befriedigung zu erlangen, und ja: sich zu verwirklichen.

Seine Produktivität hängt an seiner Motivation. Zwei produktive Stunden, sind etwas anderes als zwei abgesessene Arbeitszeitstunden, in einem unnötigen Job, bei dem man schlecht verdient. Es geht im Jahr 2025, mitten in einer KI-Revolution, nicht um heruntergerissene Arbeitsstunden. Wie passt die Idee, Menschen sollten mehr Zeit in ihren Jobs verbringen, mit der Tatsache zusammen, dass immer mehr Tätigkeiten von KI erledigt werden können? Ein Mensch, der mit einer KI zusammenarbeitet, sie die automatisierbaren Teile seines Berufs erledigen lässt oder Gedanken-Ping-Pong mit ihr spielt, ist kreativer und produktiver als ohne diese Unterstützung. Warum lautet die Forderung nicht, die Potenziale dieser Technologie auszuschöpfen, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen? Das wird man nämlich nur so können. Zwar steht im Koalitionsvertrag auch ein bisschen etwas über KI, doch spielt sie im öffentlichen Arbeits-Diskurs kaum eine Rolle.

Schon Friedrich Schiller war weiter im Denken

Der aufgeklärte Bürger arbeitet nicht, um die Versäumnisse in puncto Modernisierung, Digitalisierung und Investitionen in produktive Technologie auszugleichen, die sich Wirtschaft und Politik in den letzten Jahrzehnten geleistet haben. Erfolg bemisst sich im 21. Jahrhundert nicht in der Anzahl gestrichener Feiertage oder geleisteter Überstunden, sondern daran, wie smart man arbeitet, wie gut man neue Technologie in mehr Produktivität übersetzt.

Aber auch Menschen, die lieber in die Vergangenheit schauen, werden diese Idee dort wiederfinden. Schon 1788 schrieb Friedrich Schiller an seinen Freund Christian Gottfried Körner1: „Es kommt darauf an, sich einen Weg auszudenken, wie sich wenig und gut arbeiten mit einer anständigen Einnahme vereinigen lasse.“ Heute stehen uns mehr solcher Wege zur Verfügung als zu Schillers Zeiten. Das Ziel muss daher sein, weniger zu arbeiten, statt mehr. Dann, und nur dann, wird man aktiv nach Wegen dahin suchen und eine wirklich innovative und international wettbewerbsfähige Arbeitswelt schaffen.

Trinkt Guavendicksaft!

Die Bürger dieses Landes leiden genügend unter Arbeitsverdichtung, der wachsenden Langsamkeit einer maroden Infrastruktur, Wartezeiten in einem dysfunktionalen Gesundheitssystem oder ausgefallenen Schulstunden. Das Letzte, was sie brauchen, sind Politiker und Wirtschaftsvertreter, die sie zu noch mehr Maloche antreiben. Sie brauchen keine schlecht gemachte Leistungsmotivation von Menschen, die sich jahrelang der Modernisierungsarbeit verweigert haben.

Daher kann ich nur appellieren: Verweigert euch!

Geht Skifahren, Gleitschirmfliegen, macht Yoga-Retreats, ärgert Markus Lanz, indem ihr Guavendicksaft trinkt! Überlegt, wie es sich produktiv fauler sein lässt. Aber folgt nicht dem einfalls- wie schamlosen Aufruf, noch mehr zu klotzen.

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1: laut einer Schautafel in Schillers Gartenhaus, Jena.

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