Binnenschiffe gegen Flussfische

In Flüssen, auf denen viele Schiffe und Motorboote fahren, leben wenige Flussfische. Es gibt da einen direkten Zusammenhang.

vom Recherche-Kollektiv Flussreporter:
7 Minuten
Auf einem Fluss im Vordergrund fährt links ein Containerschiff in Rückansicht, in der Mitte und rechts fahren zwei Frachtschiffe in Vorderansicht. Links im Mittelgrund stehen Industrieanlagen am Ufer, in rechten Mittelgrund, Bahnanlagen und dichte Bäume; Hintergrund: grau-blauer Himmel.

Die Binnenschifffahrt gilt als klimafreundlichste Art, Güter über große Entfernungen zu transportieren. Aber sie hat ökologische Nebenwirkungen: Der Ausbau der Flüsse zu Wasserstraßen geht zu Lasten der biologischen Vielfalt. Und die Schiffe selbst machen den Flussfischen das Leben schwer. Das fanden zwei Berliner Wissenschaftler bei einer detaillierten Untersuchung an Rhein, Maas, Lek, Elbe, Havel und Oder heraus.

Wer gelegentlich an einem Fluss mit Schiffsverkehr spazieren geht, kennt das vielleicht: Kurze Zeit, nachdem ein Schiff vorbeigefahren ist, kommen seine Wellen am Ufer an. Bei Frachtschiffen ist es, genaugenommen, erst einmal ein Sog. Der zieht Wasser vom Ufer weg in den Fluss. Das hängt mit der Bugwelle zusammen, die sich vor dem fahrenden Schiff aufbaut, erläutert Christian Wolter vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei am Berliner Müggelsee: „Es entsteht Energie, die sich dann an den Seiten des Schiffes entlädt. Dadurch werden Rückströmungen erzeugt, die gleichzeitig zu einem Unterdruck führen und zu einem Wasserspiegelabsunk am Ufer.“

Der Absunk: Das ist der Sog. Er zieht erst einmal Wasser vom Ufer in den Strom. Bei flachen Uferstellen ist das für viele Fischarten besonders problematisch. Denn die flachen Wasserflächen in einem Fluss sind Lebensräume für Jungfische. Der Sog der Frachtschiffe zieht die Fische vom flachen Ufer weg.

Wenn das Schiff vorbeigefahren ist, dann gleicht sich das wieder aus. Dann kommt nochmal eine Welle und schmeißt sie möglicherweise noch aufs Land, “ erklärt Christian Wolter.

Die meisten Fischarten sind auf die flachen Uferzonen angewiesen. Sie brauchen diese als Laichgebiete. Flussbarsche etwa legen dort bis zu ein Meter lange Gallertbänder mit bis zu dreihunderttausend Eiern an Pflanzen, Wurzeln oder Steinen. Der Flussbarsch gehört zusammen mit Plötze und Ukelei zu den mit Abstand häufigsten Fischarten in den untersuchten Wasserstraßen. Hasel, Döbel und Rapfen sind Beispiele für Arten, die zum Laichen Kies in flachem Wasser brauchen. Die Eier des Rapfens etwa kleben in stark überströmten Kiesbänken an den Steinen fest. Nach dem Schlüpfen halten sich die Larven einige Tage lang in winzigen Hohlräumen zwischen den Kieseln auf. Dann lassen sie sich mit der Strömung in andere Flachwasserzonen abtreiben, wo sie später als Jungfische auf die Jagd nach Kleintieren und anderen Fischen gehen. Hecht, Güster und Rotfeder zum Beispiel brauchen Pflanzen in flachen Uferzonen, wo sie ihre Eier, den Laich, ablegen können. „So ziemlich alle Arten benötigen diese flachen Uferstrukturen, flache Habitate, strömungsberuhigte Habitate für die Larven zum Aufwuchs“, sagt Christian Wolter.

Person in dunkler Gummischürze und mit schwarzen Handschuhen hält  auf der rechten Bildhälfte silbrig glänzenden Fisch mit rosigen Flossen vor seinem Rumpf.
BU: Der Döbel gehört zu den Arten, die auf Kiesbänken im flachen Wasser ihre Eier ablegen (Anmerkung des Fotografen: Dieses Exemplar war bei einer Fangaktion zum Schutz von Aalen in die Reuse gelangt. Der Fischer hat es sofort nach der Aufnahme des Fotos zurück ins Wasser gesetzt.).

Wenn die Larven aus den Eiern schlüpfen, haben viele von ihnen kaum jemals die Chance auf Ruhe. Denn in vielbefahrenen Flüssen ist für die Winzlinge das Risiko, fortgerissen zu werden, immer hoch. Auf dem Rhein sind täglich knapp 250 Frachtschiffe unterwegs. Wenn man sich da eine gerade geschlüpfte Fischlarve an einer flachen Uferstelle vorstellt, bedeutet das: Der nächste Sog und die nächsten Wellen, die diesen kleinen Lebensraum durcheinander wirbeln, lassen nicht lange auf sich warten. Larven und Jungfische werden von den Wellen der Schiffe aus dem Lebensraum gerissen, den sie für ihre Entwicklung brauchen.

Auf einem Fluss im Vordergrund fahren links ein ein Sportboot mit Wellenschlag, in rechten zwei Drittel des Bildes ein mit dem Vorderteil mit Containern beladenes Schjiff und in Vordergrund vor diesem ein Jetski-Boot. Den Hintergrund füllen im unteren Teil ein Wald am Ufer und oben  grau-blauer Himmel aus.
Freizeit- und Berufsschifffahrt vor einem Naturschutzgebiet südlich von Köln.