Vor lauter Staunen vergisst man das Lesen

Flugbegleiter-Buchspecial: Jonathan Elphick über die Geschichte der Vogelmalerei. Von Markus Hofmann

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
4 Minuten
ein schwarzer und gelber Vogel auf einem Ast [AI]

Der ideale Vogelillustrator ist ein Diener vieler Ansprüche: Seine Bilder sind nicht nur möglichst naturgetreu, sie genügen auch handwerklichen sowie künstlerischen Kriterien, und sie leisten einen Beitrag zur wissenschaftlichen Erkenntnis. Finden sie überdies noch Gefallen beim Publikum, dann eröffnet sich dem Maler gar noch ein Geschäftsfeld, und er kann ein Auskommen mit seinen Bildern finden. Wie Maler diesen Anforderungen mehr oder weniger erfolgreich nachkamen, davon handelt der Bildband des Waliser Autors und Ornithologen Jonathan Elphick über die „Geschichte und Meisterwerke der Vogelillustration“. Elphick konzentriert sich dabei auf Werke aus der Sammlung des Londoner „Natural History Museum“.

Einer, der den hohen Erwartungen vollauf genügte, war der Engländer John Gould (1804–1881). Gould, von Hause aus Gärtner und Tierpräparator, wurde mit seinen Büchern über die Vögel Europas und Australiens berühmt. Er malte nicht alleine in seinem Kämmerlein, sondern der gewiefte Geschäftsmann hatte Künstler unter Vertrag, die genau nach seinen Angaben arbeiteten. Auch von seiner begabten Frau Elizabeth stammten etliche Werke. Der umtriebige und weitgereiste Gould, der keine wissenschaftliche Ausbildung aufwies, wurde auch dank seines Drangs, immer neue Arten zu entdecken, zum bekanntesten Ornithologen seiner Zeit: über 300 Artnamen werden ihm zugeschrieben.

Und Gould schaffte es, sich in der Geschichte der Evolutionstheorie zu verewigen. Denn er war es, der dank seiner Beobachtungsgabe erkannte, dass die Vögel, die Charles Darwin auf den Galapagos-Inseln sammelte und Gould zur Untersuchung und zeichnerischen Darstellung überantwortet hatte, eng miteinander verwandte Finkenarten waren. Die „Darwinfinken“ gelten als das Beispiel dafür, wie sich durch Spezialisierung neue Arten bilden können. Die Zeichnungen Goulds sind bis heute Zeugnis dieser epochalen Entdeckung.

Darwinfinken, die Charles Darwin auf den Galapagos-Inseln vorfand, und später von John Gould zeichnen ließ. (Aus Charles Darwin: Journal of Researches into the Natural History and Geology of the
countries visited during the voyage round the world of H.M.S. Beagle, 1845.)
Darwinfinken, die Charles Darwin auf den Galapagos-Inseln vorfand, und später von John Gould zeichnen ließ. (Aus Charles Darwin: Journal of Researches into the Natural History and Geology of the countries visited during the voyage round the world of H.M.S. Beagle, 1845.)

Zu ausführlichen Ehren kommt in Elphicks Buch, das die Zeit vom Alten Ägypten bis zur Gegenwart abdeckt, neben Gould ein weiterer grosser und der wohl berühmteste Vogelmaler überhaupt: John James Audubon (1785–1851). Sein grossformatiges – 99 mal 66 Zentimeter – Buch „The Birds of America“ gehört bis heute weltweit zu den begehrtesten und teuersten Publikationen. Für eine Originalausgabe werden bei Auktionen über acht Millionen US-Dollar bezahlt. Dafür erhält der Käufer 435 Farbtafeln mit 1065 Abbildungen, die 491 Arten darstellen. Für das kleinere Portemonnaie gibt es Nachdrucke, die teilweise über eine sehr gute Qualität verfügen. Oder man schaut sich die Bilder umsonst im Internet an.

Künstlerisch sind Audubons Bilder schlicht fantastisch. Zum Beispiel seine Karolinasittiche: Die Papageien sprühen vor Leben, sie schauen den Betrachter direkt an, entfalten ihre grün-gelb-blauen Flügel und strecken die Hälse den Samen der Spitzkletten entgegen, in denen sie sich festkrallen. Dieses Gemälde ist nicht nur ein einzigartiges Kunstwerk, es ist auch ein Dokument vergangener Zeiten: Der letzte Karolinasittich in freier Natur wurde 1904 erschossen.

So kunstvoll Audubons Illustrationen auch sind, so harsch fällt teilweise die Kritik aus ornithologischer Sicht aus. Audubon standen keine lebenden Tiere in der freien Natur Modell, sondern Vögel, die er erlegt und anschliessend in dramatische Posen zwang, wie Elphick schreibt: Das Resultat war zwar künstlerisch überzeugend, hatte aber manchmal nichts mit dem wahren Leben zu tun.

Aus Audubons bekanntestem Werk, den „Birds of America“, stammt dieser Nashornpelikan von 1836 (Bild aus dem besprochenen Band).
Aus Audubons bekanntestem Werk, den „Birds of America“, stammt dieser Nashornpelikan von 1836 (Bild aus dem besprochenen Band).

Elphicks Buch ist gespickt mit Geschichten und Details zu den vielen malenden Ornithologen, die er auf rund 200 Seiten vorstellt. Das ist sehr kenntnisreich, behindert allerdings auch immer wieder den Lesefluss. Wobei: Das grösste Hindernis für die Lektüre sind die 160 Vogelbilder, die Elphick in dieses Kompendium aufgenommen hat. Vor lauter Staunen vergisst man das Lesen. Von der Krontaube Sara Stones, über die Aras von Edward Lear, die Detailstudie der Edelfrankolin-Brustfedern John Gerrard Keulemans bis zum Kakapo der zeitgenössischen Künstlerin Angela Gladwell: Es sind nicht nur die akkuraten Darstellungen, die gefallen, sondern auch die individuellen Handschriften der Künstler, die sich in den Bildern offenbaren.

Zu deren Entstehungsgeschichten bietet Elpicks Buch eine geeignete Einführung. Doch damit nicht genug: Zum Buch gehören auch 36 separate Farbdrucke. Damit lässt sich jede Wohnung im Nu in ein Vogel-Museum verwandeln.

Neben den Stars der Vogelmalerei wird der Brite William MacGillivray oft vergessen. Zu Unrecht, wie dieses Gemälde eines Graureihers von ca. 1835 zeigt (Bild aus dem besprochenen Band).
Neben den Stars der Vogelmalerei wird der Brite William MacGillivray oft vergessen. Zu Unrecht, wie dieses Gemälde eines Graureihers von ca. 1835 zeigt (Bild aus dem besprochenen Band).
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