Das Leben verstehen – die Zelle begreifen

Mit einer spannenden Tagung in Berlin nahm das europäische Forschungskonsortium LifeTime seine Arbeit auf.

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Ein Hirn-Organoid, dessen Zellen unterschiedlich angefärbt worden sind.

Wissenschaftler vieler Disziplinen wollen unser Leben auf der Ebene einzelner Körperzellen umfassend beobachten und Krankheiten besser verstehen.

Sind das wirklich zwei Gehirne, die Jürgen Knoblich da präsentiert? Sie sind unförmig und winzig klein. Mit richtigen Denkorganen haben sie kaum Ähnlichkeit. Aber sie bestehen aus miteinander kommunizierenden, menschlichen Nervenzellen. Diese haben sich sogar vernetzt und für Gehirne typische Schichten aufgebaut. All das macht die Existenz der unförmigen Mini-Hirne zu einer Sensation. Sie sind nämlich nicht auf natürlichem Weg in einem Lebewesen gewachsen, sondern im Labor. Der Zellbiologe vom Wiener Institut für molekulare Biotechnologie hat sie mit seinen Mitarbeiter*innen aus speziellen Zellen heraus in der Petrischale gezüchtet.

Es handelt sich tatsächlich nicht um echte Gehirne. Dazu sind sie viel zu klein und zu chaotisch strukturiert. Vor allem fehlen ihnen einige wichtige Hirnzelltypen. Und sie haben keine Blutgefäße. Experten nennen solche Zellhaufen deshalb auch nicht Organe, sondern Organoide. Es gibt Sie nicht nur vom Gehirn, sondern auch von Leber, Herz, Magen, Darm und vielen anderen Organen. Die Organoide sind eines der spannendsten neuen Modellsysteme der Biomedizin. Denn man kann mit ihnen die gesunde Entwicklung ganzer Gewebe in drei Dimensionen erforschen sowie beobachten, was darin im Krankheitsfall an welcher Stelle warum schief läuft.

Der Zellbiologe Jürgen Knoblich steht auf dem Podium des Kongresszentrums Berlin und hält einen Vortrag.
Jürgen Knoblich, Zellbiologe vom Institut für molekulare Biotechnologie in Wien spricht auf der LifeTime Opening Konferenz in Berlin über Organoide des Gehirns.

Dass Organoide sehr gute Modellsysteme sind, davon waren eigentlich alle Forscher*innen überzeugt, die sich Anfang Mai in Berlin zur LifeTime Opening Conference trafen. Gut 500 waren gekommen, um gemeinsam ein großes europäisches Forschungskonsortium auf den Weg zu bringen. Unter dem Namen LifeTime möchten sie die verschiedensten modernen Ansätze aus unterschiedlichen Disziplinen kombinieren, um ein ehrgeiziges Ziel anzusteuern: das menschliche Leben zumindest auf der Ebene einzelner Zellen und Zellverbände in seiner ganzen unerhörten Komplexität zu verstehen.

Was passiert im Krankheitsfall im biologischen System der einzelnen Körperzelle?

Die Organoide werden aus reprogrammierten Körperzellen gezüchtet und sind mit den Spendern genetisch identisch.

Foto eines Hirn-Organoids. Die verschiedenen Zelltypen des aus Stammzellen gezüchteten Mini-Organs sind unteschiedlich angefärbt.
In Petrischalen aus Stammzellen gezüchtete Mini-Organe wie dieses Hirn-Organoid helfen dabei, die Techniken der Einzelzell-Biologie auch auf menschliche Gewebe anzuwenden.
Die Zellbiologin Barbara Treutlein steht auf dem Podium des Kongresszentrums Berlin und hält einen Vortrag.
Auch Barbara Treutlein von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich spricht in Berlin über Organoide. Hier stellt sie eine Liste menschlicher Organe vor, von denen bereits eine Mini-Version existiert: Magen, Darm, Lunge, Gehirn, Niere, Bauchspeicheldrüse und viele mehr.

Die Europäische Union lässt die Forscher*innen auf halber Strecke ohne konkrete Aussicht auf eine zukünftige Förderung im Stich.

„Wir wollen menschliche Krankheiten auf eine Weise diagnostizieren und behandeln, wie es zuvor nicht möglich war.“ Heute startet die LifeTimeOpening Konferenz mit über 500 Teilnehmenden. Tweet des MDC vom 6. Mai 2019.
Tweet des Max Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in Berlin (MDC) vom 6. Mai 2019. Das MDC koordiniert das LifeTime-Konsortium gemeinsam mit dem Institut Curie in Paris.

Es treffen sich einige der „Besten ihrer jeweiligen Disziplin“.

An der Universität Saarbrücken erforscht man die Epigenetik der Leber

Der Bioinformatiker Alfonso Valencia steht auf dem Podium des Kongresszentrums Berlin und hält einen Vortrag.
Der Bioinformatiker Alfonso Valencia präsentiert auf der LifeTime Opening-Konferenz in Berlin das spektakulär in einer alten Kapelle untergebrachte und von ihm geleitete Supercomputing Center in Barcelona. Es gilt sicher zu Recht als schönstes Rechenzentrum der Welt.

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