Revolution oder Restauration: Wohin steuern Klima- und Umweltschutz nach der Corona-Krise?

Die Covid-19-Pandemie könnte ein Katalysator für die Entstehung einer nachhaltigen Wirtschaft sein. Ein Meinungsreport

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Erdglobus mit Mundschutz

Das Land wirkte wie in einem Science-Fiction-Film über eine Öko-Utopie: Industrieanlagen waren komplett geschlossen. Lastwagen rollten nur noch spärlich. Flugzeuge blieben am Boden. Am tiefblauen Frühlingshimmel waren kaum noch Kondensstreifen zu sehen. Fahrspuren für Autos wurden kurzerhand in Pop-up- oder Corona-Radwege umfunktioniert. In Großstädten gelang es Vögeln plötzlich wieder gegen den Verkehrslärm anzusingen. Eine flächendeckende Szenerie nicht nur in Deutschland, sondern in vielen Teilen der Welt.

Bilder von der Veränderung der Luftschadstoffkonzentrationen in der Region zwischen Wuhan, Peking und Shanghai im Februar und März machten die Auswirkungen des chinesischen Lockdowns infolge der Corona-Krise auf einen Blick deutlich: Waren vorher noch dichte Schadstoffwolken erkennbar, zeigten die Bilder der Messwerte wenige Wochen nach den verhängten Einschränkungen des öffentlichen Lebens eine weitaus geringere Luftbelastung. Die Daten stammten von dem Umweltbeobachtungssatelliten Sentinel-5P und veranschaulichen die drastische Abnahme der Stickstoffdioxidmengen. Dieses schädliche Gas, das bei Verbrennungsprozessen in Fabriken, Kraftwerken, Haushalten und Kraftfahrzeugen entsteht, ist gleichzeitig ein Indikator für andere gesundheitsgefährdende Stoffe wie Feinstaub oder Ozon.

Sowohl in Rom als auch in Madrid und Paris lagen die Stickstoffdioxidwerte rund 50 Prozent niedriger als im Vergleichszeitraum ein Jahr zuvor. Einen ähnlich einschneidenden Rückgang konnten Wissenschaftler der ESA und der NASA über ganz Norditalien und vielen anderen Industrieregionen weltweit zeigen. Viele Print- und Fernsehmedien in aller Welt griffen die eindringlichen Vorher-Nachher-Bilder auf und manche Kommentatoren spekulierten, dass zumindest die Umwelt und das Klima von der verheerenden Viruspandemie profitieren könnten.

Stärkster Rückgang der CO2-Konzentrationen seit 60 Jahren

Wie einschneidend die Effekte zu Beginn der Corona-Krise waren, lässt sich besonders gut am Beispiel des Flugverkehrs erkennen. Ende März hat Eurocontrol, die Europäische Organisation zur Sicherung der Luftfahrt, europaweit einen Rückgang der Flüge um mehr als 80 Prozent festgestellt. Auch der Straßenverkehr schrumpfte erheblich: In vielen deutschen Städten sank die mittlere Verkehrsbelastung etwa um etwa die Hälfte. Selbst in der sonst so geschäftigen Londoner Innenstadt ging der Straßenverkehr zeitweise um mehr als 60 Prozent zurück. China, das bereits im Januar drastische Schutzmaßnahmen gegen Covid-19 durchsetzte, verbrannte und exportierte im Februar rund ein Drittel weniger Kohle als sonst üblich.

Deutschland könnte durch die Zwangsentschleunigung noch sein bereits verfehlt geglaubtes Klimaziel für 2020 erreichen. Der Vorsatz, bis Ende des Jahres die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken, wird wahrscheinlich sogar um bis zu fünf Prozentpunkte übertroffen. Zu diesem Ergebnis kommt die Berliner Denkfabrik Agora Energiewende in einer aktuellen Studie. In Deutschland lagen die Tageswerte des Kohlendioxidausstoßes Anfang April zeitweise 26 Prozent unter den entsprechenden Vergleichswerten des Jahres 2019. Im globalen Mittel lag der Rückgang in den Spitzenzeiten bei 17 Prozent.

Fragen an Patrick Graichen, Agora Energiewende:

Die Erde ist als Rubik's Cube dargestellt.
Die Schwierigkeiten des globalen Wirtschaftssystem lassen sich nicht einfach lösen, aber sie lassen sich lösen.
Greta Thunberg mit Transparent auf Eisscholle (Figur im Miniaturwunderland Hamburg)
Greta Thunberg treibt als Modellfigur auf einer Eisscholle im Miniaturwunderland Hamburg