Impfpflicht und Omikron: „Sag niemals nie – besonders in einer Pandemie“

Neue Pandemia-Podcasts: Die Debatte um die Impfpflicht und das Auftreten der Omikron-Variante des Coronavirus zeigen, dass neue und wichtige Entscheidungen auf uns zukommen

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Ärzte und Pflegekräfte betreuen einen Patienten bei einer Lungenspiegelung in einem der Behandlungszimmer auf der Intensivstation in der Universitätsmedizin Rostock.

Vor etwa einem Jahr war Daniel Zickler, Arzt auf der Station 43, der Covid-19-Intensivstation der Charité in Berlin, nonstop im Einsatz und kämpfte um das Leben schwerstkranker Covid-Patienten. Seine Arbeit und die seiner Kollegen hat Carl Gierstorfer in „Charité intensiv“ eindrücklich dokumentiert.

Ein Jahr später ist alles wieder wie damals, sagt Zickler. Es sei ein Gefühl von Déjà-vu, erzählt er meiner Kollegin Laura Salm-Reifferscheidt in einer neuen Folge unseres Podcasts „Pandemia“. „Wir fühlen uns ein bisschen wie vom Murmeltier gegrüßt, weil es einfach wieder genauso ist“, sagt Zickler. „Da sind wir alle so ein bisschen enttäuscht, weil wir eigentlich fest davon ausgegangen waren, dass das jetzt nicht mehr so kommt mit der Impfung.“

Knapp 70 Prozent der deutschen Bevölkerung sind inzwischen doppelt geimpft. Bei Zickler landen vor allem Menschen die zu den restlichen 30 Prozent gehören. „Die meisten sagen, sie hätten nicht die Zeit dazu gefunden“, sagt Zickler.

In einigen Fällen erzählen die Erkrankten oder ihre Familienangehörigen auch, der Hausarzt hätte ihnen wegen anderer Erkrankungen abgeraten, sagt Zickler. „Das fällt uns dann immer besonders schwer zu glauben.“ Schließlich gibt es etwa bei den mRNA-Impfstoffen nur einen medizinischen Grund, der gegen die Impfung spricht: eine Allergie gegen Bestandteile des Impfstoffs.

„Wie blöd kann man eigentlich sein?“

Auch wenn zu Beginn der Pandemie immer wieder betont wurde, es werde keine Impfpflicht geben, will Olaf Scholz diese inzwischen auf den Weg bringen. Ein Grund: Die Minderheit der Ungeimpften ist an den allermeisten Infektionen beteiligt. Eine Modellierung von Benjamin Maier, Dirk Brockmann und anderen legt nahe, dass an etwa 8 oder 9 von zehn Infektionen Ungeimpfte beteiligt sind – weil sie jemanden anstecken, selbst angesteckt werden oder, in den meisten Fällen, beides. Die Psychologin Cornelia Betsch von der Universität Erfurt, die ebenfalls an dieser Arbeit beteiligt war und bei uns im Podcast zu Gast ist, hat mit Kollegen die Fragen rund um eine Impfpflicht und das Für und Wider in einer Zusammenfassung dargelegt.

„Politiker:innen vieler Parteien haben sich öffentlich bereits früh in der Pandemie gegen eine Impfpflicht ausgesprochen und mögen ein Umschwenken jetzt als Wortbruch wahrnehmen“, schreiben die Autoren. „Jedoch haben sich inzwischen viele Aspekte in der Pandemie geändert.“

Ein Umschwenken könne sogar verlorengegangenes Vertrauen wieder erhöhen. „Sag niemals nie – besonders in einer Pandemie“, sagt Betsch deshalb. Oder wie Dirk Brockmann es etwas ungehaltener formuliert: „Dieses Ausschließen: Es ist mir ein Rätsel, was das soll in einer Pandemie, die hoch dynamisch ist, die niemand wirklich versteht und niemand wirklich kennt, die immer für Überraschungen zu haben ist, siehe Alpha, siehe Delta, irgendwas auszuschließen. Also ich meine, wie blöd kann man eigentlich sein?“

Von Delta zu Omikron

Tatsächlich ist die Delta-Variante ein entscheidender Grund, dass Deutschland trotz Impfstoff gerade die höchsten Infektionszahlen der Pandemie erlebt. Und mit der Omikron-Variante droht nun bereits eine neue Variante den Verlauf der Pandemie zu verändern. Bislang ist unklar, wie gefährlich Omikron ist: Ob das Virus ansteckender ist. Ob es Genesene und Geimpfte leichter infizieren kann. Ob es zu häufiger zu schweren Verläufen führt.

Das Erbgut des Erregers lässt die meisten Forscher nichts Gutes ahnen: Es trägt viele Mutationen, die bereits anderen Varianten einen Vorteil verschafft haben. Hinzu kommen weitere Veränderungen an Stellen des Virus, die entscheidend sind für das Binden von Antikörpern, den Molekülen im Immunsystem, die Viren schon im Blut angreifen und unschädlich machen können.

Vom Erbgut auf das „Verhalten“ des Virus zu schließen ist allerdings kaum möglich. Darum wartet die Welt nun auf die ersten Experimente, in denen die Antikörper von Geimpften und Genesenen im Labor direkt gegen das Virus getestet werden. Und die Welt schaut gespannt auf Südafrika, wo die weitere Ausbreitung des Virus und der Verlauf von Erkrankungen mit Omikron nun genau verfolgt werden. Ein erster Preprint deutet darauf hin, dass Omikron tatsächlich häufiger zu Reinfektionen bei Genesenen führt als es bei Delta der Fall war. Es ist ein erstes Puzzlestück, aber es wird Wochen dauern, bis das Bild wirklich klar ist. Selbst wenn das Virus die Immunantwort von Geimpften und Genesenen deutlich unterlaufen sollte: Die meisten Forscher mit denen wir gesprochen haben, gehen davon aus, dass Impfstoffe weiterhin einen gewissen Schutz vor schweren Verläufen bieten werden. Schließlich ist die Immunantwort nicht schwarz-weiß und neutralisierende Antikörper sind nur ein (besonders leicht zu messender) Teil der menschlichen Immunabwehr.

Eine neue Variante, drei Theorien

Ein Rätsel, das Forscher ebenfalls beschäftigt, ist, wo Omikron herkommt. Schaut man sich den Stammbaum aller bislang sequenzierter Viren an (rund fünfeinhalb Millionen Erbgutsequenzen von SARS-CoV-2 sind bereits in der Datenbank Gisaid veröffentlicht worden), dann fällt auf, wie weit Omikron von allen anderen SARS-CoV-2-Viren entfernt ist. Die Abstammungslinie von Omikron scheint sich schon Mitte 2020 von allen anderen Viren getrennt zu haben. Aber in dieser ganzen Zeit scheint kein einziger Omikron-Vorfahre sequenziert worden zu sein.

Forscher haben drei Theorien, die das erklären könnten:

1. Das Virus könnte sich an einem Ort entwickelt haben, wo kaum Virusproben genommen und sequenziert werden. Das glaubt zum Beispiel Christian Drosten: „Ich gehe davon aus, dass es auf der Südhalbkugel entstanden ist, also im südlichen Afrika in der jetzigen Winter-Welle – und vorher auch schon da irgendwo gesessen hat“, sagt er in unserem neuesten Podcast.

2. Die Variante könnte sich in einem chronisch infizierten Menschen entwickelt haben. Einzelne Fälle solcher chronischer Infektionen sind beschrieben worden, zum Beispiel in Menschen mit einer unkontrollierten HIV-Infektion oder einer Krebserkrankung. Forscher haben in einigen dieser Fälle, das Virus immer wieder sequenziert und später im Krankheitsverlauf einige der gleichen Veränderungen gefunden, die auch bei Varianten wie Alpha, Delta und jetzt Omikron aufgetaucht sind.

3. Das Virus könnte vom Mensch auf Tiere übergesprungen sein, sich dort verändert haben und dann wieder Menschen infiziert haben. Diese Theorie hält etwa der Forscher Kristian Andersen aus San Diego für plausibel. Er verweise etwa auf eine Studie, die vor Kurzem als preprint erschienen ist und gezeigt hat, dass ein hoher Prozentsatz von Weißwedelhirschen mit SARS-CoV-2 infiziert zu sein scheinen.

Auch wenn es im Moment viel mehr Fragen als Antworten gibt zu Omikron, eine Sache ist klar: Wenn die schlimmsten Befürchtungen eintreffen, dann wird Omikron den Verlauf der Pandemie noch einmal verändern. Einer Variante, die so gefährlich sein könnte, mit niedriger Impfquote und hohen Infektionszahlen, vollen Intensivstationen, überlasteten Laboren und überforderten Gesundheitsämtern zu begegnen, ist keine gute Idee.

Über die Situation in den Krankenhäusern und eine Impfpflicht sprechen wir in diesem neuen Podcast: