Der Wert der Natur für unser Wasser

Wir brauchen die Natur, damit wir genügend sauberes Wasser zum Leben haben. Was aber passiert und wieviel kostet es, wenn diese natürlichen Dienstleistungen ausfallen?

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Überblick über den Stausee, der naturnah aussieht, im Hintergrund bewaldete Hügel.

Wenn früh am Morgen die Werksirene dröhnt/Und die Stechuhr beim Stechen lustvoll stöhnt/In der Montagehalle die Neonsonne strahlt/Und der Gabelstaplerführer mit der Stapelgabel prahlt/Ja, dann wird wieder in die Hände gespuckt/Wir steigern das Bruttosozialprodukt!/Ja, ja, ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt! (Liedtext der Band Geier Sturzflug, 1983)

Haben Sie einmal überlegt, was eigentlich ein Vogel wert ist? Sagen wir ein Blaukehlchen? Ich kann mich noch erinnern, als der Biochemiker und Systemforscher Frederic Vester 1983 das Buch „Der Wert eines Vogels“ veröffentlichte, in dem er genau dies versuchte.

Vom Materialwert kam er auf nur ein paar Cent. Rechnete er aber andere Dinge mit ein, wie Samenverbreitung, Schädlingsbekämpfung und sogar den Genuss, den der Vogel mit seinem Gesang in uns auslöst, kam er auf 154,09 Euro pro Jahr, sagte er dem Magazin Brandeins im Jahre 2003. Bei einer Buche kam Vester auf das fast 2000fache des Materialwertes, nämlich rund 271.000 Euro, die im Laufe des 100-jährigen Lebens des Baumes zusammenkommen.

Wie aber steht es um den Wert ganzer Landstriche, eines Flusses, vielleicht sogar der Natur als Ganzes?

Den Gesamtwert der „Ökosystemdienstleistungen“ der Natur weltweit zu bestimmen versuchte ein Team um Robert Costanza, damals an der US-amerikanischen Universität Maryland, 1997 zum ersten Mal. Das Ergebnis der Auswertung von über hundert Studien: Fast das Doppelte des damaligen Weltbruttosozialproduktes.

Ein Wert zwischen Null und unendlich

Die Studie, inzwischen nach Angaben von Google Scholar mehr als 25.000 mal zitiert, „entfachte eine riesige akademische Debatte über den Wert der Natur“, sagt Patrick ten Brink, Vize-Generalsekretär des European Environmental Bureau in Brüssel, das die Interessen von über 170 Europäischen NGOs gegenüber der EU vertritt. „Sie zeigte klar die fundamentale Wichtigkeit der Natur für die Menschheit.“

Ansatz sowie Studie hatten aber auch ihre Kritiker. Diese sagten unter anderem, es mache keinen Sinn, der gesamten Natur einen Wert zuzuweisen, denn der sei unendlich, da die Natur im Prinzip nicht ersetzbar sei und der Mensch ohne sie aufhöre zu existieren, zumal das Wirtschaftssystem Teil der Natur sei und nicht umgekehrt.

Die Natur fehlt in den Kosten-Nutzen Analysen von Finanzministern, Unternehmen und der meisten Privathaushalte. (Gretchen Daily)

Doch das Konzept findet auch unter Ökonomen immer mehr Freunde. Bereits 2009 und 2010 fertigten Expertinnen und Experten unter Leitung des Ökonomen und früheren Deutsche-Bank-Investmentspezialisten Pavan Sukhdev mehrere großangelegte Studien zur „Economics of Ecosystems and Biodiversity“ (TEEB) an.

Im Februar 2021 legte der Ökonom Partha Dasgupta von der britischen Universität Cambridge im Auftrag der britischen Regierung eine umfangreiche Analyse vor, warum und wie die Dienstleistungen der Natur einen ökonomischen und sogar monetären Wert brauchen. Und im Mai stellte die UN-Umweltagentur UNEP eine Studie vor, die darlegt, dass bis 2050 zusätzliche Investitionen von rund vier Billionen Dollar nötig sind, um die Dienstleistungen der Natur zu erhalten, statt sie weiter zu zerstören.

Daily steht in einem Park vor einem alten Baum.
Die Ökologin Gretchen Daily.
Stiller See, am Horizont rollende Hügel.
Der Ashokan Stausee im US Bundesstaat New York. Der See sammelt Wasser aus den Catskill Bergen, aus denen ein Grossteil des New Yorker Trinkwassers kommt.
Der Zug mit Trinkwasser fährt in den Bahnhof von Chennai ein.
Rettender Wasserzug: Als 2019 eine Dürre die indische Metropole Chennai plagte, wurde Trinkwasser in Zügen angeliefert.
Das Rollfeld steht unter Wasser, mehrere Flugzeuge ragen aus dem Wasser heraus.
Wenn Feuchtgebiete fehlen, landet das Wasser dort, wo es nicht hinsoll – wie hier 2015 auf dem Flughafen von Chennai.
eine Gruppe von Menschen in einem Boot auf dem Wasser [AI]
Fischer im Feuchtgebiet im Osten Kalkuttas
eine Stadt mit vielen Gebäuden [AI]
Skyline von Phnom Penh, Kambodscha, im März 2020.
ein Mann, der ein Boot auf einem Fluss rudert [AI]
Ernte von Wasserspinat im Tompoun/Cheung Ek Feuchtgebiet der Kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh.