Hitzestress und Extremwetter: Klimawandel spaltet Vögel der Kaltregionen in Gewinner und Verlierer

Nirgends erwärmt sich die Erde schneller als in den Polarregionen. Das hat dramatische Folgen auch für die Vogelwelt. Immer mehr Studien belegen, dass die Klimakrise die Arten in den arktischen Regionen in Gewinner und Verlierer aufspaltet.

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
7 Minuten
Eine Nahaufnahme eines fliegenden Basstölpels

Nirgends schreitet die Erderwärmung so rasch voran wie in den Polarregionen. Die Temperatur in der Arktis ist in den vergangenen 40 Jahren fast viermal so schnell gestiegen wie im globalen Durchschnitt und die antarktische Meereisausdehnung hat in diesem Frühjahr ihr bisheriges Allzeittief erreicht. Hitzestress, Extremwetterereignisse und Verschiebungen der Nahrungsnetze: Die Klimakrise hat dramatische Folgen auf die Vogelwelt in der Polarregion. Studien zeigen immer deutlicher, dass sich die Voeglwelt in den arktischen Regionen in Gewinner und Verlierer aufspaltet.

Eine Falkenraubmöwe schwimmt auf dem Wasser
Raubmöwen wie Skuas oder – im Bild – Falkenraubmöwen geraten durch den Klimawandel unter Druck.

Der beginnende antarktische Sommer – die Zeit um die Jahreswende – ist unter den unwirtlichen Bedingungen der Polarregion die Zeit der Jungenaufzucht für die wenigen dort brütenden Vogelarten. Hochseevögel wie der Antarktissturmvogel und der Schneesturmvogel nutzen das kurze Zeitfenster, um in großen Kolonien aus Tausenden, manchmal Hunderttausenden Paaren Nachwuchs großzuziehen.

Statt dem Gekreische Zehntausender Seevögel empängt die Forscher Stille

Um die Auswirkungen des Klimawandels auf das Leben in einem der empfindlichsten Ökosysteme der Erde zu erforschen, begleiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des norwegischen Polarinstituts in Tromsö seit vielen Jahren das Treiben in den Seevogelkolonien am Svarthamaren, einem rund 200 Kilometer landeinwärts gelegenen eisfreiem Berg in der Ostantarktis. Als das Team um den Jahreswechsel 2021/2022 wie in jedem Jahr die Kolonien besuchte, empfing die Forscher jedoch ein ungewohnter Anblick. Der üblicherweise schneefreie Berg war in weiten Teilen überzogen mit einer Schneedecke und statt des ohrenbetäubenden Lärms aus den Kehlen Tausender kreischender Altvögel und ebenso vieler nach Nahrung bettelnden Jungen empfing sie Stille. Dasselbe Bild bot sich an weiteren Kolonien, wie sie jetzt im Fachjournal Current Biology berichten

Blick in eine Steilklippe mit vielen Seevögeln
Seevögel brüten immer auf engstem Raum und sind deshalb besonders verwundbar gegenüber Infektionen.

Klimawandel zerstört Zehntausende Bruten auf einmal

„Wir wissen, dass in einer Seevogelkolonie bei einem Sturm einige Küken und Eier verloren gehen und der Bruterfolg geringer ist“, sagt Sebastien Descamps, Erstautor der Untersuchung. „Aber hier geht es um Zehn-, wenn nicht Hunderttausende von Vögeln, und keiner von ihnen hat sich während dieser Stürme fortgepflanzt. Ein Bruterfolg von Null ist wirklich beispiellos.“

Nach Analysen der Forscher trafen die Stürme die Vögel ausgerechnet zu Beginn der sensibelsten Phase ihres Jahreszyklus.

Einen Teil der Vögel dürfte das Extremwetter daran gehindert haben, überhaupt mit der Brut zu beginnen. Denn Schneesturmvögel legen ihre Eier natürlicherweise auf den blanken Felsboden ab. Die Schneeschicht von durchschnittlich 25 Zentimetern Höhe raubte damit im ganzen Gebirgsmassiv geeignete Stellen für die Eiablage.

Andere Vögel dürften an geschützten Stellen des Felsmassivs bereits mit der Brut begonnen oder sogar schon geschlüpfte Küken versorgt haben. Sie erfroren wegen der Kälte, andere verhungerten wohl, weil die Altvögel auf dem sturmgepeitschten Meer kaum Nahrung gefunden haben dürften, vermuten die Forscher.

Von 200.000 Brutpaaren auf Null – die Bilanz in einer einzigen Kolonie

Wie dramatisch der Verlust ist, zeigen die Daten der Forscher aus den Vorjahren. In den vergangenen Jahren waren Svarthamaren und das nahe gelegene Jutulsessen zwei der größten Antarktissturmvogel-Kolonien der Welt und weltweit bedeutende Nistplätze für Schneesturmvögel und Südpolarskua. In manchen Jahren brüteten dort allein mehr als 200.000 Antarktissturmvögel und viele Tausend der weniger häufigen Schneesturmvögel.

Ein Eissturmvogel fliegt von einer Klippe ab
Eissturmvögel brüten wie Schneesturmvögel in großen Kolonien gemeinsam.

Die Zahl der insgesamt in der Antarktis verlorenen Bruten dürfte noch weitaus höher sein.

"Es war nicht nur eine einzelne isolierte Kolonie, die von diesem extremen Wetter betroffen war“, sagt Descamps. Die Stürme hätten in großen Teilen der Region getobt. „Wir sprechen hier von Kolonien, die über Hunderte von Kilometern verteilt sind.“ Wie eng unterschiedliche Arten in einem Ökosystem miteinander verbunden sind, zeigt der komplette Brutausfall auch bei den Südpolarskuas, der bei weitem seltensten der drei betroffenen Vogelarten.

Von dieser Art gibt es weltweit nur rund 6.000 bis 7.000 Paare. Den Schnee hätten einige der robusten Raubmöwen-Küken wahrscheinlich überstanden. Der Kollaps der Seevogelkolonien raubte ihnen aber die Nahrungsgrundlage, denn Eier und Küken der Sturmvögel sind die Hauptnahrung der Skuas.

Forscher und Forscherinnen sehen den Zusammenhang mit dem Klimawandel als. belegt an

Die Wissenschaftler sehen einen klaren Zusammenhang zwischen dem Extremwettereignis mit dem Klimawandel. Seit einigen Jahren nähmen extreme Wetterereignisse zu und neue Forschungsergebnisse bestätigten den Trend. „Unsere Studie zeigt sehr deutlich, dass diese Extremereignisse einen sehr starken Einfluss auf die Seevogelpopulationen haben, und Klimamodelle sagen voraus, dass die Schwere dieser Extremereignisse zunehmen wird", sagt Descamps.

Auch nach Berechnungen des Weltklimarats IPCC steigt die Temperatur in der gesamten Antarktis weiter an, was zu häufigeren Schneefällen und Schneestürmen führen werde. Die Forscher fürchten deshalb um das Überleben ganzer Arten mit gravienden Folgen für das Ökosystem. „Mehrere wichtige antarktische Seevogelpopulationen sind bereits rückläufig, und die immer häufigeren schweren Stürme könnte bis hin zu ihrer Ausrottung führen“, warnen sie.

Eine Flussseeschwalbe fliegt niedrig über das Meer
Als Pendler über riesige Strecken sind viele Seeschwalben, hier eine Flussseeschwalbe, den Veränderungen durch den Klimawandel besonders stark ausgesetzt.

Schneetod und Hitzestress – Zwei Seiten des Klimawandels

Die Erkenntnisse des Teams um Descamps sind nicht die ersten Berichte über extreme Auswirkungen einzelner Wetterextreme für ganze Vogelpopulationen.

Eine weitere dramatische Folge des Klimawandels haben Forscherinnen und Forscher der kanadischen McGill University im kanadischen Montreal nachgewiesen. Sie gingen Berichten von Anwohnerinnen der Hudson Bay nach, die beobachtet hatten, dass in den örtlichen Seevogel-Kolonien an besonders sonnigen Tagen viele Vögel starben.

Die Wissenschaftler untersuchten daraufhin eine Kolonie von 30.000 Brutpaaren der Dickschnabellumme im nördlichen Teil der Hudson Bay. Um die Hitzetoleranz der an die arktische Kälte angepassten Vögel zu testen, maßen sie, wie sich deren Atemfrequenz und Flüssigkeitsverlust bei steigenden Temperaturen erhöhten. Sie stellten fest, dass die Lummen schon bei Temperaturen von 21°C Anzeichen von Hitzestress zeigten. Grund dafür sei eine extrem schlechte Fähigkeit, Wärme abzuführen oder zu verlieren. „Lummen haben die niedrigste Kühleffizienz, die jemals bei Vögeln festgestellt wurde“, fasst die Hauptautorin der vor zwei Jahren im Journal of Experimental Biology erschienenen Untersuchung,Emily Choy, das Ergebnis zusammen.

Mit einem Gewicht von bis zu einem Kilogramm hätten Lummen im Verhältnis zu ihrer Größe eine sehr hohe Stoffwechselrate und damit einen hohen Energieverbrauch, wenn sie, um sich abzukühlen, hecheln oder mit den Flügeln schlagen. Dadurch produzierten sie ungewollt noch mehr Wärme.

Bislang gibt es nur wenige Studien, die sich mit den direkten Auswirkungen der Erwärmung auf die arktische Tierwelt befasst haben. "Überhitzung ist ein wichtiger und zugleich wenig untersuchter Effekt des Klimawandels auf die arktische Tierwelt“, bilanziert Choy.

Basstölpel spreizen ihre Flügel auf einem Felsen
Elegante Schönheiten: Basstölpel kommen bislang gut mit den klimatischen Veränderungen zurecht.

Das Ende für Eismöwe und Krabbentaucher?

Die Erwärmung in den Polarregionen kennt aber nicht nur Verlierer.

Für Arten, die es eher wärmer mögen, eröffnet sich damit auch neuer Lebensraum. Descamp hat dazu nicht nur in der Antarktis geforscht, sondern auch am entgegengesetzten Ende der Erde, in der Arktis.

Auf Spitzbergen ging er mit Kollegen der Frage nach, ob der Klimawandel bereits zu einer Veränderung der arktischen Vogelartengemeinschaften geführt hat. Die Hypothese lautete: Arten, die an wärmere Bedingungen angepasst sind, breiten sich mit dem Klimawandel weiter polwärts aus – vor allem „boreale“ Arten, die in der gemäßigt kalten Zone heimisch sind.

Die Forscher werteten Daten aus dem Langzeitmonitoring von Brutkolonien der neun häufigsten Seevogelarten der Region aus und fanden ihre Hypothese bestätigt. Von einigen Ausnahmen abgesehen, lautet der zusammenfassende Befund: Hocharktische Arten nehmen in ihren Beständen teilweise sehr stark ab, während Arten der gemäßigt kalten Regionen zunehmen und auch in bislang für sie zu kalte arktische Gebiete vordringen können. Die schnellsten Zuwächse wurden auf Spitzbergen bei sehr häufigen Brutvögel der gemäßigten Zonen verzeichnet, wie Skua, Eissturmvogel und Basstölpel.

Auf der anderen Seite des Spektrums sanken die Bestände jener hochspezialisierten Arten, die ausschließlich in hocharktischen Zonen brüten, wie beispielsweise Elfenbein- und Eismöwen sowie Krabbentaucher. Die Studie belege, dass die Zusammensetzung der gesamten Vogelwelt in einer der ökologisch bedeutsamsten Erdregionen im Umbruch sei, schreiben die Autoren in ihrer im Fachjournal Ecology erschienenen Studie.

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