Fußballrasen? Der Wiedehopf sagt: Nein danke!

Wie Vogelschützer und Weinbauern die Biodiversität in Bündner Rebbergen fördern

vom Recherche-Kollektiv Flugbegleiter:
5 Minuten
Wiedehopf: ein Jung- und ein Altvogel sitzgen im Gras.

„Da ist doch etwas!“, ruft Christian Obrecht. Der Weinbauer aus Jenins im Kanton Graubünden hat ein beneidenswert gutes Auge. In rund 50 Meter Entfernung, versteckt hinter Rebstöcken, schimmert ein heller Fleck auf einem Mäuerchen. Der Blick durch das Fernglas bestätigt die Vermutung. Orange-bräunliche Brust, schwarz-weiß gestreifte Flügel und die unverkennbare Federhaube: ein Wiedehopf.

Der Wiedehopf ist zu einem Aushängeschild des Weinbaugebiets in der Bündner Herrschaft geworden. Bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts war er in der Schweiz noch weit verbreitet – doch Flurbereinigungen und die Intensivierung der Landwirtschaft führten zu einem starken Rückgang nicht nur des Wiedehopfes, sondern auch vieler anderer Vogelarten.

Dank verschiedener Projekte hat sich der Bestand des Wiedehopfes in den vergangenen Jahren wieder etwas erholt – auch in der Bündner Herrschaft in der Nähe von Chur. Das hat sich rumgesprochen. Hobby-Ornithologinnen und Ornithologen kommen hierher, um den prächtigen Vogel zu beobachten.

Ein junger Wiedehopf sitzt auf einem Pfosten.
Ein junger Wiedehopf betrachtet die Umgebung von einer Sitzwarte aus: Grossinsekten mag er am liebsten.

Sergio Wellenzohn führt häufig Naturinteressierte durch die Weinberge. Der Präsident des Vogelschutzvereins von Landquart hat sein Fernrohr neben Weinbauer Obrecht auf einem Stativ aufgebaut und nimmt den Wiedehopf in den Fokus. Er mahnt zur Verschwiegenheit. Der genaue Standort soll nicht preisgegeben werden: „Wir wollen vermeiden, dass die Vögel bei der Brut gestört werden.“ Es wird nichts verraten: Ornithologen-Ehrenwort.

Ein Freund des Flickenteppichs

Der Bestand des Wiedehopfs ist weiterhin fragil. Da er ein vergleichsweise großes Revier benötigt, gibt es in diesem rund 430 Hektar großen Weinbaugebiet nicht für viele Brutpaare Platz. Zudem ist er ein Vogel mit Ansprüchen, ernährt sich am liebsten von Großinsekten wie Grillen und Käfern. Damit er diese findet und aufpicken kann, darf der Boden nicht völlig überwachsen sein.

Der Wiedehopf ist ein Freund des Flickenteppichs: Er bevorzugt eine Gegend mit niedriger, lückiger oder gar keiner Vegetation. Und der Brutplatz sollte in der Nähe seiner Jagdgründe liegen. Allerdings baut er kein Nest, sondern zieht seine Jungen in Höhlen auf, die in der ausgeräumten Schweizer Landschaft selten sind.

Ein alter Schuppen und eine alte Mauer im Weinbaugebiet der Bündner Herrschaft.
Im Weinbaugebiet der Bündner Herrschaft lässt man alte Mauern und Schuppen stehen. Sie bieten verschiedenen Tier- und Pflanzenarten Lebensraum.

Doch die Bündner Herrschaft zeigt exemplarisch, dass es möglich ist, dem Wiedehopf und anderen Arten wieder auf die Sprünge zu helfen. Es begann 2004 mit einem Vernetzungsprojekt, mit dem diese alte, von Rebbergen geprägte Kulturlandschaft erhalten werden soll. Die Weinbäuerinnen und Bauern verbinden seither wertvolle Lebensräume miteinander und erhalten dafür Geld vom Staat.

Eigenbrötlerische Bauern und kleinräumig organisiert – das hilft der Biodiversität

Christian Obrecht zeigt auf Hecken und Trockenmauern, die sich durch das Gebiet ziehen. „Die Bündner Herrschaft war schon immer kleinräumig organisiert. Es gibt keine Genossenschaften und auch keine größeren Zusammenlegungen von Betrieben.“ Obrecht hat seinen Betrieb vor ein paar Jahren dem Sohn übergeben. Dieser verwaltet zusammen mit seiner Frau das Weingut zur Sonne in Jenins in der fünften Generation.

Diese Eigensinnigkeit der Bündner Weinbauern kommt der Natur zugute. Denn wenn etwas der Biodiversität schadet, ist es die Monotonie. Steinhaufen und Tümpel, alte Bäume, extensiv bewirtschaftete Wiesen, Kieswege statt asphaltierte Straßen: Dies alles findet man in der Bündner Herrschaft.

Vogelschützer fördern hier gezielt gewisse Vogelarten, neben dem Wiedehopf etwa den Gartenrotschwanz, den Wendehals oder die Zaunammer, alles wärmeliebende Arten, die auch in trockenen Regionen gut über die Runden kommen: ideale Rebberg-Vögel also.

Nisthilfe für den Wendehals, an einem Baum angebracht.
Ein einfache, aber erfolgreiche Unterstützung für Vögel sind Nisthilfen: hier eine für den Wendehals.

Ein probates Mittel, um den Vögeln zu helfen, sind Nistkästen. Über das ganze Gebiet verteilt hängen sie an Bäumen, Pfosten und Scheunen. Die einen sind für den Gartenrotschwanz geeignet, wieder andere für den Wendehals oder den Wiedehopf. „Auf diese Weise haben wir das Höhlenangebot erhöht“, sagt Sergio Wellenzohn.

Die letzte Vogelzählung bestätigt die Bemühungen. Während sich der Wiedehopf auf tiefem Niveau stabil hält, zeigen die Bestandszahlen von Wendehals und Zaunammer leicht nach oben. Dem Gartenrotschwanz scheinen die Maßnahmen besonders zu gefallen: Die Anzahl seiner Reviere hat sich in den letzten 15 Jahren fast verdoppelt.

Ein Gartenrotschwanz-Männchen mit leuchtend orangeroter Brust, schwarzer Kehle und einem vornehmen grauen Scheitel landet neben dem Wiedehopf im Gebüsch. Wie dieser ist auch der Gartenrotschwanz auf Insekten angewiesen. Die gibt es aber nur, wenn ihnen nicht mit einem Übermaß an Pestiziden der Garaus gemacht wird.

Eine Wendehals sitzt am Boden im Gras.
Der Wendehals steht auf Ameisen. Diese kann er aber nur erbeuten, wenn das Gras nicht zu hoch steht.

Die Obrechts produzieren seit drei Jahren nach den Richtlinien des biodynamischen Weinbaus. „Herbizide brauchen wir gar keine mehr“, sagt der Bauer. „Wir wollen ja keinen Fußballrasen zwischen den Rebstöcken. Teilweise brechen wir den Boden auf, teilweise lassen wir die wilden Pflanzen stehen und mähen sie später kurz.“

„Ein Buffet für jeden Geschmack“

Ein solches Mosaik bietet Nahrung für verschiedenste Vogelarten. „Das ist ein Buffet für jeden Geschmack“, fügt der Vogelschützer Wellenzohn an. Der Wiedehopf bedient sich bei den Grillen, der Wendehals bei den Wiesenameisen und die Zaunammer bei den Samen der Wildpflanzen.

Verschieden bewirtschaftete Böden zwischen den Rebstöcken: einmal lückig, einmal bewachsen.
Zwischen den Rebstöcken wechseln sich begrünte und lückige Stellen ab. Auch Wildpflanzen wachsen hier. So finden verschiedene Vogelarten mit unerschiedlichen Ansprüchen Nahrung.

Dem Wein bekomme dies auch, ist Obrecht überzeugt. Ein Viertel der Weinbauern in der Bündner Herrschaft habe auf Bio umgestellt. „Wir kriegen zwar eher kleine, dafür aber robuste und aromatische Trauben.“ Im Vergleich zum konventionellen Weinbau seien die Erträge geringer, dies werde aber mit einem höheren Preis ausgeglichen. „Unsere Weine sind so gut wie die aus dem Burgund, aber nicht so teuer“, sagt Obrecht und lacht verschmitzt.

Die Weinbauer der Bündner Herrschaft brauchen sich vor der Konkurrenz nicht zu fürchten. Regelmäßig gewinnen sie Preise und besetzen vordere Plätze auf den Weinranglisten. Und die Liebhaber, die den Preis für diese Weine zu zahlen bereit sind, tragen indirekt dazu bei, dass der Wiedehopf, das neue Symbol der Bündner Herrschaft, erhalten bleibt.


Dieser Beitrag erschien in leicht veränderter Form in der Schweizer Ausgabe der „Zeit“ vom 6. Mai 2021.

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