Naturwunder im Zivilisationsstress: Neuer UN-Bericht warnt vor Gefahren für wandernde Tiere

Alljährlich begeben sich Milliarden Tiere auf Wanderschaft. Die erdumspannende Migration formt Ökosysteme und inspiriert menschliche Kulturen. Doch das Naturwunder ist gefährdet, warnen die Vereinten Nationen – mit Folgen auch für die Menschheit.

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Eine Gruppe Rosapelikane im blauen Himmel

Vom Elefanten in Afrika bis zum Karibu in Alaska, vom schwersten Tier der Erde, dem Blauwal, bis zur federleichten Libelle: Überall auf der Erde sind an jedem Tag wandernde Tiere unterwegs.

Sie laufen, fliegen, kriechen und schwimmen ihrem Ziel entgegen – dorthin, wo die Natur ihnen die meiste Nahrung verspricht, wo sie sich fortpflanzen oder harsche Jahreszeiten überstehen können. Zugvögel tauschen den europäischen Winter gegen den insektenreichen afrikanischen Frühling, Eisbären wandern im Herbst zu den Meereisrändern, um Robben zu jagen. Millionen Zebras, Gnus und Gazellen folgen dem Regen durch die afrikanischen Savannen auf der Suche nach frischem Grün und Wasser.

Doch gleich, ob millionenfacher Vogelzug, die einsame Reise der Meeresschildkröten durch die Ozeane oder die Massenwanderungen von Huftieren durch Steppen, Savannen und Prärien Asiens und Afrikas: Das globale System der Tiermigration gerät durch den wachsenden Einfluss des Menschen auf alle Bereiche des natürlichen Lebens immer stärker aus dem Tritt.

Zäune und Leitungen an Land, Kugeln aus Jagdgewehren in der Luft und Fischernetze im Meer: Statt freier Bahn vollführen wandernde Tiere heute immer mehr einem Hindernislauf auf Leben und Tod.

Zäune und Leitungen an Land, Kugeln aus Jagdgewehren in der Luft und Fischernetze im Meer: Statt freier Bahn vollführen wandernde Tiere heute immer mehr einem Hindernislauf auf Leben und Tod. Wie stark das Naturwunder inzwischen gefährdet ist, zeigt nun ein am Montag von den Vereinten Nationen beim UN-Gipfel zum Schutz wandernder Arten (CMS-COP14) im usbekischen Samarkand vorgestellter Bericht. Danach nehmen die Bestände fast der Hälfte der 1200 international besonders geschützten ziehenden Arten trotz eingeleiteter Schutzmaßnahmen und internationaler Abkommen dazu weiter ab. Besonders hart trifft es wandernde Fische. Fast alle (97 Prozent) sind mittlerweile vom Aussterben bedroht.

Eine Gazelle in der Wüste
Viele wandernde Tierarten sehen einer ungewissen Zukunft entgegen.

Der Analyse zufolge gibt es mehrere Ursachen für den rapiden Rückgang wandernder Tierarten über alle Gruppen hinweg: Zum einen die Übernutzung der Tiere selbst durch Menschen – also eine zu intensive Jagd oder Fischerei, illegale Verfolgung durch Wilderer oder sinnloses Massensterben als Beifang in Fischernetzen: das sind der Analyse zufolge die Hauptursachen für den rapiden Rückgang wandernder Tierarten über alle Gruppen hinweg. Ebenso wichtig ist der Verlust geeigneter naturnaher Räume, in denen die Tiere während ihrer langen Reise rasten und ihre Kraftreserven auffüllen können.

Fische in einer Restaurant-Vitrine
Wandernde Fische sind besonders stark bedroht. 97 Prozent der vom CMS-Abkommen erfassten Arten stehen vor dem Aussterben.

Feuchtgebiete sind im Klimawandel besonders stark betroffen

Immer stärker bedroht auch der Klimawandel das Naturwunder der Tiermigration. Denn die mit der Erderwärmung einhergehenden Veränderungen trifft wandernde Tiere gleich an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Lebensräumen. In ihren Brut- und Aufzuchtregionen, an den Rastplätzen während der Migration und im Überwinterungsgebiet selbst.

Grafik mit den Bedrohungsarten, sehr viele Einträge
Im Netz der Gefahren: Bedrohungsfaktoren für wandernde Tierarten.

Weitreichende Auswirkungen des Klimawandels auf die Tierwanderungen konnten den Forschern zufolge mittlerweile überall auf der Erde nachgewiesen werden.

Besonders stark betroffen sind Regionen, in denen Feuchtgebiete eine herausragende Rolle für die Tierwanderungen haben. Schon heute stellen beispielsweise in Europa nach einem Hitzesommer ausgetrocknete Lagunen und trockengefallene Flussbetten ziehende Wasservögel und wandernde Fische vielerorts vor große Probleme. Auch das gegenteilige Klimaextrem – steigende Meeresspiegel und Extremhochwasser berauben wandernde Tiere ihrer Lebensgrundlage.

Das Problem kann sich für manche Arten zur existenziellen Bedrohung ausweiten. Neuere Studien erwarten, dass bis zur Jahrhundertwende mehr als jedes zweite Feuchtgebiet entlang der Vogelzugroute zwischen Europa und Afrika der Trockenheit zum Opfer fallen wird. In anderen Weltregionen sieht es nicht besser aus. „Die Gefahren durch Klimafolgen wie dem Anstieg der Meeresspiegel, Dürren, Stürme oder Überschwemmungen potenzieren sich damit für ziehende Arten“, warnen die UN-Experten.

Auch in den Ozeanen wirkt sich der Klimawandel neben Fischerei und Meeresverschmutzung zunehmend als weitere Bedrohung für wandernde Arten aus. Der Temperaturanstieg verändert dort den Stoffwechsel von Fischen und führt zu einem starken Rückgang der Krillbestände in der Antarktis. Die Folge des Schwundes der kleinen Krabben sind Nahrungsmangel für Fische und in der Folge für die Tiere, die von ihnen leben und ihnen hinterherwandern: die Kettenreaktion reicht also von Raubfischen über Wale bis hin zu Pinguinen und Meeresvögeln.

Eine Gruppe Strandläufer
Strandläufer brüten in der Arktis und überwintern auf weit entfernten Kontinenten.

„Kein Nettonull beim Klima ohne die Natur“

„Die Auswirkungen des Klimawandels haben das Potenzial, das Funktionieren und den Zusammenhalt von Ökosystemen weltweit zu zerstören“, warnt der UN-Bericht. Das wäre nicht nur ein Problem für die Tiere. Denn auch für das Überleben der Menschheit grundlegende Naturleistungen wären dann in Gefahr: Vögel, Insekten und Fledermäuse bestäuben mehr als zwei Drittel der weltweiten Nutzpflanzen – von Kaffee und Kakao bis zu Obst und Gemüse.

Verlust wandernder Arten bringt auch Menschen in Probleme

Große Huftiere verbreiten auf ihren Wanderungen Samen und schaffen damit klimastabile Wälder und Steppen. Nicht zuletzt tragen wandernde Tierarten selbst aktiv zum Klimaschutz bei. So speichern Meeresfische und Wale große Mengen an Kohlenstoff in ihren Körpern, während die riesigen Huftierherden in afrikanischen Savannen und asiatischen Steppen durch ihr Weideverhalten Kohlenstoff binden. Wissenschaftler glauben, dass allein durch einen besseren Schutz vor allem wandernder Wildtiere in jedem Jahr mehr als sechs Milliarden Tonnen Kohlendioxid zusätzlich in Ökosystemen gebunden werden kann – fast soviel, wie nach Berechnungen des Weltklimarats als „negative Emissionen“ aus der Atmosphäre entnommen werden müssen, um die globale Erwärmung innerhalb der Pariser Klimaziele zu halten.

Das Heck eines Buckelwals ragt aus dem Wasser des Indischen Ozeans.
Die Ozeane der Erde sind Hotspots der Biodiversität und Lebensraum unter anderem für Buckelwale.

„Ein intaktes System der Tiermigration schafft eine Win-win-Situation für Klima, Mensch und Wildtiere“, sagt die Chefin der UN-Konvention zum Schutz wandernder Tiere, Amy Fraenkel.

Die Exekutivdirektorin des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), Inger Andersen, appellierte an die Weltgemeinschaft, die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Belastungen, denen wandernde Arten ausgesetzt sind, in konkreten Naturschutz umzusetzen. Angesichts der prekären Lage vieler dieser Tiere „können wir uns keinen Aufschub leisten“.

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