Lemke zu Umsetzung des Weltnaturabkommens: „Die Bundesregierung steht im Wort“

Vier Wochen nach dem Weltnaturgipfel kündigt Bundesumweltministerin Steffi Lemke eine konsequente Umsetzung der Beschlüsse von Montreal in Deutschland an. Gemeinsam mit Agrarminister Cem Özdemir will sie einen Schwerpunkt auf den Umbau der Landwirtschaft legen.

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Lemke vor Fahnenmeer

Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat eine konsequente Umsetzung der Beschlüsse des Weltnaturgipfels COP15 in Deutschland angekündigt. „Auf der Weltnaturkonferenz in Montreal haben wir einen Schutzschirm für unsere Lebensgrundlagen aufgespannt – das gilt es jetzt umzusetzen“, sagte die Grünen-Politikerin am Dienstag in Berlin.

Die Arbeiten an einer neuen deutschen Biodiversitätsstrategie seien dazu bereits seit einiger Zeit angelaufen, betonte Lemke. Als Hauptziele dieses Plans zur Bewahrung der Natur in Deutschland nannte Lemke die Unterschutzstellung besonders biodiversitätsreicher Gebiete und ein gutes Management dieser Flächen. Zudem gelte es, die Renaturierung geschädigter Ökosysteme auch hierzulande voranzutreiben – beispielsweise die Wiedervernässung entwässerter Moore.

Wann die neue Biodiversitätsstrategie vom Bundeskabinett verabschiedet werden soll, wollte Lemke noch nicht sagen. Als wahrscheinlich gilt ein Termin im Herbst oder spätestens zu Beginn des nächsten Jahres.

Freudig klatschende Menschen vor einer Wand mit der Aufschrift „Kunming-Montreal“.
Das Erreichen weltweiter Abkommen im Kampf gegen Menschheitsherausforderungen dürfte künftig noch schwieriger werden. Der chinesische Umweltminister Huang Runqiu (2.v.l.) und die Chefin der UN-Biodiversitätskonferenz Elizabeth Maruma Mrema feiern mit Mitarbeitern die Verabschiedung des Weltnaturabkommens.

23 Ziele für das Überleben der Natur

Beim Weltnaturgipfel hatten sich die Regierungen aus fast 200 Ländern kurz vor Weihnachten in Montreal auf einen Katalog aus mehr als 20 Zielen geeinigt, mit denen das Artensterben und die Zerstörung von Ökosystemen bis 2030 gestoppt werden sollen.

Konkret verpflichtet sich die Staatengemeinschaft unter anderem darauf, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche des Planeten unter einen wirksamen Schutz zu stellen. Außerdem sollen auf der Fläche von 30 Prozent der geschädigten Ökosysteme bis 2030 Renaturierungsmaßnahmen anlaufen.

Die 196 Unterzeichnerstaaten – alle Staaten der Erde mit Ausnahme der USA und des Vatikans – haben sich verpflichtet, die Ziele rasch in nationale Pläne zu übertragen und mit deren Umsetzung zu beginnen. Die Zielvorgaben decken sich weitgehend auch mit der von der EU-Kommission im Zuge ihres Green Deals vorgelegten EU-Biodiversitätsstrategie.

Lemke blickt in Akten
Arbeit bis zuletzt: Bundesumweltministerin Steffi Lemke wenige Minuten vor der Verabschiedung des Weltnaturabkommens in Montreal.

Wissenschaftler fordern nationalen Biodiversitätsrat

Der in Montreal vereinbarte Fahrplan im Kampf gegen die Biodiversitätskrise ist der bislang ehrgeizigste Versuch der Staatengemeinschaft, das Artensterben und die Zerstörung von Natur zu stoppen. Entscheidend für einen Erfolg ist, dass sich die einzelnen Staaten rasch an die Umsetzung machen.

Mehr als 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus ganz Deutschland forderten dazu die Einrichtung eines politisch hoch aufgehängten nationalen Biodiversitätsrats. Das Gremium solle über alle Ministerien hinweg Lösungen für das drängende Problem des Biodiversitätsverlusts finden und zügig konkrete Handlungsempfehlungen erarbeiten. Gemeinsam mit jungen Menschen solle der Rat dabei helfen, „die Erhaltung unserer biologischen Lebensgrundlage über alle Politikressorts hinweg zum Kernthema der Politik machen“, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Schreiben.

Eine bunt blühende Wiese
Blühflächen und Brachen sind die wichtigsten Überlebensinseln für die Artenvielfalt in der Agrarlandschaft.
Ein Traktor versprüht Chemikalien
Mit Milliardenbeträgen wird überall auf der Welt eine naturschädliche Landwirtschaft gefördert.

Lemke sieht ganze Regierung in der Pflicht

Lemke sieht bei der Umsetzung der Montreal-Beschlüsse auch die anderen Ministerien und die ganze Regierung in der Pflicht. „Die Bundesregierung steht im Wort“, sagte Lemke. Als Beispiel nannte sie das Montreal-Ziel, naturschädliche Subventionen in einer Größenordnung von jährlich einer halben Milliarde Dollar abzubauen. „Wenn wir weitere Anreize haben, die Natur zu schädigen, wird es schwierig sein, Biodiversität zu erhalten. Diese Baustelle ist weit über das Umweltministerium hinaus ein Handlungsauftrag an alle Politikbereiche“, betonte die Grünen-Politikerin.

Özdemir und Lemke bekräftigen Schulterschluss

Naturschädliche Subventionen in Milliardenhöhe sind beispielsweise auch ein großer Teil der Beihilfen aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) in der Europäischen Union. Wie Lemke bewertete auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir die Beschlüsse von Montreal als Rückenwind für die Bemühungen, die Landwirtschaft in Europa in den kommenden Jahren naturverträglicher zu gestalten. „Die Artenvielfalt erhalten, das Klima schützen, Wasser, Boden und Luft sauber halten – all das kommt auch der Landwirtschaft und unserer Ernährungssicherheit zugute“, sagte Lemke.

Ein Braunkehlchen auf einem Halm
Auch das Braunkehlchen, leidet unter immer mehr Pestiziden in der Landwirtschaft.
Ein Plakat mit einem Braunkehlchen fassadengroß an der Parteizentrale
Wahlhelfer Braunkehlchen am Gebäude der Grünen-Parteizentrale

Özdemir betonte, eine krisenfeste Landwirtschaft sei auf funktionierende Ökosysteme angewiesen. Das Nutzen und Schützen natürlicher Ressourcen müsse Hand in Hand gehen.

„Wir schaffen die Voraussetzungen, damit sich die Leistungen der Landwirtschaft für mehr Nachhaltigkeit lohnen“, kündigte der Grünen-Politiker an. So würden bei der EU-Agrarpolitik Zahlungen Schritt für Schritt an den Kriterien Klima-, Umwelt-, Arten- und Tierschutz ausgerichtet.

Özdemir: Brachen bleiben erhalten

Özdemir versicherte zudem, dass die von ihm im vergangenen Jahr erteilte Freigabe ökologisch besonders wertvoller Brachen für die Nutzung als Viehfutter eine Ausnahme bleiben werde. Die GAP sieht vor, dass vier Prozent der Agrarflächen nutzungsfrei bleiben, um Insekten, Vögeln und anderen Lebewesen die Chance auf ein Überleben in der intensiv genutzten Agrarlandschaft zu geben.

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