Mosambiks „unsichtbare“ Kinder

Leben und Lernen mit Behinderung

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
9 Minuten
Chelsia sitzt im Rollstuhl, ihre Freundin schiebt sie die neue Rampe in der Schule hinunter, rechts und links ein Metallgeländer

80 Prozent der Menschen mit Behinderungen leben in Entwicklungsländern wie Mosambik. Auch darauf macht der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung am 3.12. aufmerksam. Sie werden oft diskriminiert und leben isoliert. Eltern verstecken Kinder mit geistigen oder körperlichen Behinderungen oft regelrecht. Daher ist in Studien auch von „unsichtbaren“ Kindern die Rede. Viele gehen nicht zur Schule, auch weil diese nicht auf Kinder mit Behinderungen eingestellt sind. Was schon kleine Maßnahmen ändern können, zeigt ein Projekt für inklusive Bildung in der mosambikanischen Hauptstadt Maputo.

Der Schulweg ist ein Kraftakt: Maria Moinhe schiebt den Rollstuhl ihres Sohnes durch tiefen Sand und über lose Steine, hebt ihn über Bordsteinkanten. Andere Hürden, sagt die 53-Jährige, seien jedoch noch schwieriger zu überwinden gewesen. Als ihr Sohn Mario sieben war, habe sie ihn zum ersten Mal zur Schule gebracht. „Doch wir wurden abgewiesen – wegen seiner Behinderung.“ Das ist kein Einzelfall, laut Handicap International haben 32 Millionen Kinder weltweit keinen Zugang zu Bildung. Mit dem Projekt #school4all will die gemeinnützige Organisation das ändern, auch in Marios Heimat Mosambik.

Mutter Maria Moinhe steht hinter ihrem Sohn Mario, der im Rollstuhl sitzt, die Beine hat er angewinkelt, beide lächeln in die Kamera
Mario mit seiner Mutter

Mario hat Glück, dass er nicht weit von einer der zwölf Pilotschulen für inklusive Bildung wohnt. Auch wenn schon der kurze Weg beschwerlich ist. „Der Unterricht macht Spaß“, sagt Mario. Mathe sei sein Lieblingsfach. Auch seine Mutter ist glücklich, dass ihr Sohn nun endlich die Schule besucht. Das sei immer Marios Wunsch gewesen. Zuhause habe er sich nur gelangweilt. „Er ist ein sehr intelligenter Junge“, fügt sie liebevoll hinzu, als sie ihn am Schultor verabschiedet.

Gesetze werden nicht umgesetzt

Mario ist 16 Jahre alt, aber erst in der zweiten Klasse. „Obwohl alle Kinder in Mosambik laut Gesetz eigentlich ein Recht auf Bildung haben“, betont Antonio Nhantumbo von der Organisation für Menschen mit Behinderungen in Mosambik, ADEMO, die angesichts der vielen Landminenopfer noch während des Bürgerkrieges (1977–1992) gegründet wurde.

Porträt von Antonio Nhantumbo, er steht etwas schief auf seine Gehhilfe gestützt
Antonio Nhantumbo, ADEMO

Wie so oft, sagt Nhantumbo, hapere es an der Umsetzung der Gesetze. So habe Mosambik etwa die UN-Behindertenrechtskonvention unterschrieben, aber diese Rechte stünden nur auf dem Papier. Jedes öffentliche Gebäude sollte auch über eine Rampe erreichbar sein, aber solche Rampen sind selbst in der Hauptstadt Maputo eine Rarität, von den ländlichen Provinzen ganz zu schweigen.

„Unsichtbare Kinder“

Schätzungen zufolge haben 14 Prozent der Kinder im Alter von 2–9 Jahren eine Behinderung. Aber die Dunkelziffer sei noch höher, meint Nhantumbo. „Viele Familien verstecken Angehörige mit Behinderungen, weil sie sich schämen, wegen gesellschaftlicher Stigmata und Tabus.“ In Studien ist deshalb auch von „unsichtbaren Kindern“ die Rede. Ein Kind, das nicht der Norm entspreche, gelte in seiner Heimat als Bestrafung, als Fluch, erzählt Nhantumbo, der selbst mit einem verkürzten Bein geboren wurde und an Krücken geht. „Kinder mit Behinderungen werden nicht als gleichwertige Menschen wahrgenommen, diskriminiert und teilweise auch misshandelt. Sie werden nur als Last erachtet.“

Dionisio, seine kleinen Geschwister und seine Mutter stehen vor ihrem Zuhause, die Fassade ist aus Wellblech
Dionisio und seine Mutter vor ihrem Zuhause
Chelsia sitzt im Klassenraum in der ersten Reihe und folgt konzentriert dem Unterricht, vor ihrem Holzpult parkt ihr Rollstuhl
Chelsia im Unterricht
Marios Schule besteht aus mehreren schlichten, einstöckigen Gebäuden und einem staubigen, unebenen Schulhof
Marios Schule
Die Lehrerin hat ihre Arme hochgebunden und einen Stift im Mund. Sie soll schreiben, ohne ihre Hände zu benutzen, um sich in die Lage von Schülern mit Behinderungen zu versetzen
Fortbildung für Lehrer
Schulleiterin Nelita Moises sitzt an ihrem Schreibtisch und lächelt herzlich in die Kamera
Schulleiterin Nelita Moises
Auf dem sandigen Schulhof, unter Palmen, haben sich Schülerinnen zum Unterricht versammelt
Unterricht unter freiem Himmel
Chelsia sitzt im Rollstuhl, ihre Freundin schiebt sie die neue Rampe in der Schule hinunter, rechts und links ein Metallgeländer
Die neue Rampe erleichtert Chelsia den Schulbesuch
Marios Schulweg – eine ungeteerte, steinige und hoprige Straße
Marios Schulweg