Super Bowl: „Sie kommen mit einem Koffer voller Cash“

Am Wochenende findet in Inglewood bei Los Angeles die größte Sportparty der Welt statt. Die Menschen dort fragen sich nicht nur, wer die NFL-Meisterschaft gewinnt, sondern auch: Wer profitiert?

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
5 Minuten
Absperrungen, Zelte, Palmen und im Hintergrund das teuerste Footballstadion der Welt unter wolkenlosem Himmel: SoFi Stadion, Los Angeles

Ich hätte eher draufkommen sollen. Wir hätten in den nächsten drei Tagen 3000 Dollar machen können. Und zwar easy. Wie? Mit unserem Gästezimmer. Und warum sollte jemand 1000 Dollar pro Nacht für acht Quadratmeter mit abgenutztem Futon, wackligem Stuhl, Klapptisch und einem 1000-Teile-Schloss-Neuschwanstein-Puzzle an der Wand zahlen? Weil Super Bowl Wochenende ist, und weil in diesem Jahr die größte Party im US-Sport – das Spiel der L.A. Rams gegen die Cincinnati Bengals – in Los Angeles stattfindet. Halt! Nicht in Los Angeles. In Inglewood.

Inglewood – von staubiger Luft zum teuersten Stadion der Welt

Inglewood ist eine eigenständige Stadt im Bezirk von Los Angeles, mit eigener Polizei, eigener Feuerwehr, eigener Müllabfuhr und einem eigenen Bürgermeister. James T. Butts ist sehr, sehr stolz darauf, dass in seiner Stadt das neuste und teuerste Football-Stadion der Welt steht. 5 Milliarden Dollar hat der Bau des SoFi Stadions gekostet und Butts spricht von einer “Renaissance der City of Champions”, von wo aus früher die LA Lakers im Basketball dominierten. Er verspricht, dass der “Sport- und Unterhaltungskomplex der größte und erfolgreichste im Westen der USA” sein wird. Schon jetzt ist diese Ecke von Inglewood kaum wiederzukennen. Vor dem Bau des Stadiums waren hier Brachland, ein Casino und eine Pferderennbahn, deren Glanzzeiten schon lange der Vergangenheit angehören. Drumherum wirbelten heiße Teufelswinde weggeworfene Wettscheine, leere Plastiktüten und vertrocknetes Gras in die staubige Luft. Jetzt ist hier ein Park mit perfekt geschorenem Gras und einem See. Ich komme da leider nicht hin, weil das Stadion bis zum Spiel weiträumig abgeriegelt ist. Ich sehe stattdessen drumherum vor allem Baustellen für Luxusapartments, Luxushotels, und die zukünftige Luxustrainings- und -spielstätte der NBA Clippers. Wegen der Pandemie ist das alles nicht rechtzeitig zum Super Bowl fertig geworden. Deshalb der Mangel an Betten für anreisende Football-Fans und meine Idee, über das Wochenende ein paar tausend Dollar zu machen – eine sehr bescheidene Summe im Vergleich zu dem Profit, den andere aus dem Stadionbau schlagen.

Ein rotes Banner an einem neuen Apartmentgebäude wirbt für Luxuswohnungen in Stadionnähe. Die sind oft zu teuer für Bewohner und Bewohnerinnen, die bisher in Inglewood wohnen.
Neue Luxusapartments neben dem SoFi Stadion. Wegen der Pandemie sind viele geplante Gebäude nicht rechtzeitig zum Spiel fertig geworden
Sie bringen einen Koffer mit 300 tausend Dollar Cash

“Mieten sind in den vergangenen fünf Jahren in und um Inglewood um 40 Prozent gestiegen, ” sagt mir Óscar Alvarez. “Das vertreibt viele Familien, die hier lange gelebt haben. Die meisten sind Afroamerikaner oder Latinos.” Óscar ist 27 und nur ein paar Blocks vom Stadion entfernt aufgewachsen. Damals war Inglewood noch berühmt für Rapper, Kriminalität und Polizeigewalt. Er arbeitet jetzt für die örtliche Community Coalition, eine Organisation, die gegen Gentrifizierung auf Kosten der alteingesessenen Bewohnerinnen und Bewohner mobilisiert.

Selbst Hausbesitzer seien vor Vertreibung nicht gefeit, sagt Óscar. Sie erzählen ihm, dass Leute an ihre Tür klopfen und ihnen einen Koffer mit Bargeld zeigen.Sie bieten ihnen 300 oder 400 Tausend Dollar Cash unter der Bedingung, dass sie packen und gehen. Die Käufer renovieren dann die Häuser und verkaufen sie für das Doppelte an Leute von außerhalb, die sich ein Haus für 700 Tausend Dollar leisten können.”

Óscars Familie mietet ihr Haus seit mehr als 20 Jahren. Ihre Miete ist in den vergangenen fünf Jahren um 50 Prozent gestiegen. Seine Mutter ist alleinerziehend und hat früher wie viele in der Stadt als Straßenhändlerin gearbeitet. Das wurde jetzt verboten, erzählt Óscar. “Sie haben auch Obdachlose vertrieben und bauen, wo früher deren Zelte standen, Luxusapartments. Sie bauen eine Fassade für ihre neue Stadt und da passen wir nicht rein.”

An meine Tür klopfen übrigens auch regelmäßig Immobilienhändler und fragen, ob wir nicht ausziehen wollen. Sie versprechen, dass wir mindestens eine Million für unser 70 Jahre altes, aus Holz gebautes Häuschen kriegen würden. Einen Koffer mit Cash hatte allerdings noch nie jemand dabei, und vielleicht sind wir nur deshalb noch nicht weich geworden.

Óscar Alvarez, ein 27 Jahre alter Sozialarbeiter, posiert in schwarzen Jeans und schwarzem T-Shirt vor dem abgesperrten SoFi Stadion. Im Hintergrund ein Gerüst und Pflanzentöpfe.
Óscar Alvarez ist ein paar Blocks vom Stadion entfernt aufgewachsen. Jetzt kämpft er für bezahlbare Mieten und gegen Gentrifizierung.

Finanzspritze für von der Pandemie getroffene Geschäfte

Ich verabschiede mich von Óscar und fahre in die Innenstadt von Inglewood, zur Hauptgeschäftsstraße. Auf der Market Street bin ich die einzige Weiße weit und breit. Kein Wunder. In Inglewood sind 51 Prozent der Bevölkerung hispanisch, 41 Prozent afroamerikanisch, und zwei Prozent haben einen asiatischen Hintergrund. Im Rusty Pot Café sitzt Stammgast Jason Williams beim späten Frühstück. Der pensionierte Verwaltungsleiter eines Krankenhauses ist stolz auf das SoFi Stadion, das das Geschäftsviertel spürbar belebe. “Die Pandemie hat viele hier schwer getroffen. Der Super Bowl ist eine enorme Finanzspritze für Restaurants wie dieses.” Skeptischer ist der Besitzer eines Ladens für Wellness-Produkte nebenan. Zwischen nach Lavendel, Eukalyptus und Salbei duftenden Seifen und Ölen steht Butter Body Ladys Mr. Shabazz. Seine Devise: abwarten und Kräutertee trinken. “Viele Läden auf der Straße stehen noch leer. Es heißt, es kommen neue Geschäfte, aber ich habe noch nichts gesehen.” Seine Miete ist in den vergangenen drei Jahren trotzdem schon um zehn Prozent gestiegen.

Ein Aufkleber in Form und Größe eines Footballs wirbt auf den Boden im Eingang des Imbiss restaurants Munchkins für den 56. Super Bowl und für den Sponsor Pepsi. Dahinter die kacheln des Fussbodens und eine schwarze Fußmatte.
Im Eingang des Imbiss-Restaurants Munchies wirbt ein Aufkleber für das Super Bowl Spiel der LA Rams gegen die Cincinnatti Bengals.

Mein nächster Stop ist ein Imbiss-Restaurant: Munchies. Rechts vom Eingang ist ein Kühlschrank gefüllt mit Getränkedosen. Daneben steht ein Regal mit zig Varianten von Kartoffelchips. Hinter der Theke preist eine handgeschriebene Speisekarte Tamales, Chili und Eintopf an. “Meine Schwester kocht jeden Freitag Gumbo nach einem Rezept aus New Orleans. Nach spätestens drei Stunden ist er ausverkauft, ” sagt Darrell Ephraim. Er ist Munchies Manager, trägt Schürze, Maske und eine Rams-Baseballkappe. Darrell ist dankbar dafür, dass das Stadion des Teams aus Los Angeles keine zehn Minuten entfernt von seinem Restaurant gebaut wurde. “Es bringt Jobs ins Viertel. Das ist ein großer Segen.” Besonders gefällt ihm, dass für den Bau auch Leute, die im Gefängnis waren, beschäftigt wurden. Er kann den Spieltag kaum erwarten. “Wir werden draußen einen Riesenfernseher aufstellen, den besten Eintopf kochen, und die LA Rams werden natürlich gewinnen.”

Vielleicht ist es noch nicht zu spät, das Gästezimmer zu vermieten, denke ich auf der Rückfahrt, angesteckt von Darrells Enthusiasmus und Geschäftssinn. Stellt sich raus, dass mein Mann von der Idee nichts hält. Er will lieber in kleiner Runde – also er, ich und Esty, unser Hund – das Spiel anschauen, wie üblich bei Shrimps, Nachos, Chips und selbstgemachter Guacamole. Mir bleibt die Hoffnung, dass bald jemand vor unserer Tür steht – mit einer Million Dollar Cash im Koffer.

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