Post aus Kramatorsk: Von Hundewelpen und verdrängter Trauer

Jeden zweiten Mittwoch erzählen unsere Korrespondent*innen, was sie und die Menschen in ihrem Teil der Welt bewegt. Heute: Joana Rettig über ihre Recherche zu Straßenhunden wie diese sie an ihre Trauer erinnert.

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Jeden zweiten Mittwoch berichten unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten von ihrem Alltag in der Welt

Liebe Leserin, lieber Leser,

das Phänomen Straßenhund ist in der Ukraine ein ganz besonderes. Die Menschen hier im Land lieben sie – meistens. Gleichzeitig dienen sie ihnen als Werkzeug, als Bewacher, als Schutz. Vor allem in der Donezk-Region, in der ich mich derzeit aufhalte. Ich schreibe Ihnen diesen Brief aus Kramatorsk. Die Stadt liegt im Osten der Ukraine, nahe der derzeit von russischen Truppen attackierten Kleinstadt Tschassiw Jar.

Im Moment recherchiere ich zu Straßenhunden im Kriegsgebiet, denn mir fiel auf, dass die Menschen in den allermeisten Fällen liebevoll mit ihnen umgehen. Sie füttern sie, streicheln sie. Die Kinder spielen mit ihnen, oft haben sie Namen. Ich war lange auf der Suche nach einer Hündin, die Welpen hat. Diese Familie wollte ich dann für einige Tage begleiten und schauen, wie sie mit den Umständen zurechtkommt, wie die Bevölkerung auf sie reagiert, wie die Mutter Essen besorgt. Keiner meiner Kontakte wusste von einer solchen Familie. Ich ging also scouten, fragte in Städten und Dörfern herum. Nichts.

Plötzlicher Fund: Mutter mit sechs Welpen

Dann, plötzlich und unerwartet – ich war gerade auf dem Heimweg vom Markt –, traf ich in einem Wohnblock auf eine Hündin mit sechs Welpen. Mitten in Kramatorsk. Sofort sagte ich mein Treffen mit einem Kollegen ab, um bei der Hundefamilie zu bleiben.

Und während ich so dasaß, die Tiere beobachtete, fragte ich mich, ob ich diese Recherche wirklich starten wollte. Denn mir schoss dieser Gedanke in den Kopf: Was, wenn sie meine Trauer wieder wecken würde? Etwas, das ich seit Dezember 2023 zu vergessen versuche. Etwas, das mich damals dazu gezwungen hatte, die Ukraine früher zu verlassen als geplant.

Joana Rettig bei der Recherche zu Straßenhunden in der Ukraine.
Joana Rettig bei der Recherche zu Straßenhunden in der Ukraine.
Die Hündin schaut aus dem Eingang ihrer Höhle. Mit ihr auch ihre Welpen.
Die Hündin schaut aus dem Eingang ihrer Höhle. Mit ihr auch ihre Welpen.
Der zwei Monate alte Welpe Fritz während der Behandlung gegen Pavovirus. Er trägt eine Windel.
Der zwei Monate alte Welpe Fritz während der Behandlung gegen Pavovirus.