Dieser Schwabe reißt im Westjordanland Grenzen ein – zumindest im Kopf

Ausgerechnet hinter dem israelischen Sperrwall im palästinensischen Ramallah hält Frank Müller eine Niederlassung seiner schwäbischen IT-Firma. Vor zwei Jahren kam nun noch eine Akademie dazu, in der Palästinenserïnnen Programmieren lernen, vor allem aber: das Beste aus ihrer Situation zu machen.

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
7 Minuten
Junge Software-Studenten in der schwäbischen Axsos-Akademie in Ramallah

Sie sind in der schwäbischen Provinz aufgewachsen, haben 2009 in Stuttgart ein IT-Start Up gegründet. Was hat Sie nach Ramallah verschlagen?

Frank Müller: 1996, mit Mitte 20, bin ich das erste Mal im Heiligen Land aufgeschlagen. Ich bin mit christlicher Jugendarbeit großgeworden und wollte meinen Horizont erweitern. Sie hatten damals bei YMCA in Ost-Jerusalem jemanden für eine Kampagne gesucht, die hieß: „Indiaca spielen statt Steinewerfen.“ Das Netz-Spiel mit dem Federball war damals total angesagt, und ich war dazu noch zertifizierter Volleyballtrainer. Allerdings war ich mit meinem pietistischen Hintergrund damals auch recht unreflektiert pro-israelisch, und dachte erstmal: Oh je, zu den Terroristen? Ich habe mir dann einen Monat lang alles an Gegenwartsgeschichte reingezogen, was ich finden konnte und festgestellt: Es gibt kein Schwarz oder Weiß, nur sehr viel Grau. Ich wollte was Sinnvolles machen, nicht nur im Kibbuz Zitronen pflücken: Also habe ich die Hand gehoben.

Und wie haben Sie Palästina dann vor Ort erlebt?

Es waren unheimlich spannende 15 Monate. In den Neunzigern hielt sich noch die positive Stimmung der Oslo-Friedensverträge. Da gab es Hoffnung. Ich unterrichtete in der Wüstenstadt Jericho an einer Berufsschule die erste Mädchenklasse in IT und Sport. Außerdem machte ich Sommerlager und Fortbildungen für Sportlehrer in der Westbank. Dadurch tauchte ich schnell sehr tief in die palästinensische Gesellschaft ein. Danach gab es dann eine Rückbegegnung mit jungen Palästinensern in Stuttgart – eine der Teilnehmerinnen ist heute meine Frau. Damit machte ich den nächsten Schritt in die palästinensische Gesellschaft. Wir lebten auch einige Jahre in Jerusalem.

Frank Müller, der Gründer der Axsos-Akademie, in den palästinensischen Nachrichten
Frank Müller, der Gründer der Axsos-Akademie, in den palästinensischen Nachrichten

Ihre Frau hat eine ziemlich illustre Familiengeschichte…

Das kann man so sagen: Sie stammt aus der bekannten Nashashibi-Familie, einer alteingesessenen palästinensischen Familie aus Jerusalem. Doch ihre Großmutter ist als deutschstämmige Jüdin 1933 vor den Nazis ins heutige Israel geflohen; sie ist die die Nichte von Shai Agnon, dem israelischen Literaturnobelpreisträger. Tiefer kann man kaum verwurzelt sein in diesem Land.

Und das auf beiden Seiten!

Ja. Die Agnons haben ihr auch beim Erhalt eines israelischen Passes geholfen – und damit Bewegungsfreiheit verschafft.

Die Arbeitslosigkeit ist mit 30 Prozent hoch

Apropos Bewegungsfreiheit: Sie haben schon seit 2010 eine Zweitniederlassung in Ramallah, einer Stadt, die man nur über einen riesigen israelischen Militär-Checkpoint passieren kann. Die Arbeitslosigkeit ist mit 30 Prozent hoch, die Zukunftsaussichten sind auch für Hochschul-Abgänger bescheiden. Nicht gerade ein IT-Hotspot…

Als ich 2009 in Stuttgart meine Firma Axsos gründete, herrschte schon Fachkräftemangel in Deutschland. Ich hatte davor mit indischen Dienstleistern gearbeitet, und wusste, das passt einfach nicht gut zum deutschen Mittelstand. Deren Arbeitskultur ist extrem hierarchisch, man muss alles vorkauen und spezifizieren. Da hatte ich die Idee mit Ramallah: Wenn wir die „orientalische“ Wärme mit „deutschen“ Tugenden verheiraten könnten, würden wir alle von dem Ergebnis profitieren. So sind wir als junges Start Up mit zwölf Mitarbeitern nach Ramallah gegangen, haben dort fünf Palästinenser eingestellt, und sie erstmal für drei Monate nach Stuttgart geholt. Ganz schnell haben wir gemerkt, dass die Palästinenser unserer deutschen Truppe tatsächlich sehr guttun.

Zwei palästinensische Ausbilderinnen in der Axsos-Akademie in Ramallah
Palästinensische Ausbilderinnen in der Axsos-Akademie in Ramallah