Onkel Zhenya und die russischen Jungs – zwischen Verbundenheit und Feindseligkeit

Eugenii Puhatsch lebt in dem kleinen ukrainischen Dorf Tetjaniwka. Bis Herbst 2022 war seine Heimat direkte Frontlinie. Und während sich Ukrainer und Russen beschossen, dachte er an seine Zeit als sowjetischer Soldat. Eine Geschichte von Heimat, Identität und Zerrissenheit.

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Eugenii Puhatsch steht vor seinem Haus, in das russische Artillerie eingeschlagen ist.

Tetjaniwka ist Eugenii Puhatschs Heimat. Ein Dorf, tief verwurzelt am Fuß eines der vielen Hügel, die die Donezk-Region im Osten der Ukraine so besonders machen. Hier wurde er 1950 geboren, hier ist er aufgewachsen, hat er seine Jugend verbracht, seine Liebe gefunden. Tetjaniwka liegt südöstlich von Swjatohirsk, einer Kleinstadt zwischen Kramatorsk und Charkiw, die bis September 2022 von russischen Truppen besetzt war. Der Fluss Siverskij Donez, der die Grenze zwischen Tetjaniwka und Swjatohirsk bildet, trennte damals ukrainisch und russisch kontrolliertes Gebiet. Eugenii Puhatschs Dorf war die Null-Linie. So nennen Ukrainerïnnen die Frontlinie, auf der sich russische und ukrainische Soldaten gegenüberstehen.

Er kennt die Menschen hier und sie kennen ihn – ob jung oder alt: Alle nennen ihn „Onkel Zhenya“. Auch seine Familie ist wohl bekannt. Als Puhatsch noch ein Kind war, hatten sie die größte Kuhherde im Dorf. 120 Stück, verteilt auf drei Weiden. Ihr Schäferhund war klug genug, die Kühe allein von Weide zu Weide zu führen. Es war eine schöne Zeit, erinnert sich der 73-Jährige heute. Ein wenig Wehmut liegt in seiner Stimme, doch viel Gefühl kann er nicht ausdrücken. Nur die tiefe Falte zwischen seinen Augen zieht sich noch etwas enger zusammen.

Neue Kamera vom russischen Kommandanten

Der Onkel mit der Kapitänsmütze und dem Wollpullover spricht gern über die Vergangenheit. Sie erinnert ihn an ein altes, längst vergangenes Gefühl. Ist es Verbundenheit? Diese Einheit, die er damals spürte? Eugenii Puhatsch kann es nicht beschreiben, er beantwortet solche Fragen lieber mit Anekdoten. Geht durch das Haus, das im Chaos versinkt. Sucht nach Fotos. Zu jedem einzelnen könnte er eine Geschichte erzählen. Mit dem Fotografieren hat er schon in jungen Jahren begonnen. Irgendwann bekam er von seinem Vater eine Smiena-Fotokamera, damals eine der besten Marken in der Sowjetunion. Er lernte, die Fotos selbst zu entwickeln, und selbst als er in der Marineflotte im Norden Russlands diente, schoss er eine Menge Fotos. Sein Kommandant erkannte sein Talent, organisierte ihm ein Labor und besorgte eine noch bessere Kamera. Eine Zenit.

Einen Teil des alten Materials bewahrt er noch immer in seinem Haus auf. Aber wo, das weiß er nicht. „Seitdem die Rakete hier einschlug, kann ich nichts mehr finden“, sagt er.

Tetjaniwka liegt im Osten der Ukraine, im Oblast Donezk.
Tetjaniwka liegt im Osten der Ukraine, im Oblast Donezk.
Eugenii Puhatsch hat den Blick nach unten gerichtet.
Wenn er an seine Zeit als sowjetischer Soldat zurückdenkt, wird Eugenii Puhatsch wehmütig.
Eugenii Puhatsch spielt mit seinem Hund Filja im Vorgarten. Im Hintergrund liegen noch Trümmer von seinem Haus.
Eugenii Puhatsch spielt mit seinem Hund Filja im Vorgarten. Im Hintergrund liegen noch Trümmer von seinem Haus.
Schäferhund-Mix Filja liegt angekettet auf seiner Hundehütte.Im Hintergrund sind Trümmer zu sehen.
Filja ist Eugenii Puhatschs Schäferhund-Mix. Er bewacht das Gelände.