Ex-Botschafter Shimon Stein: „Netanjahu hat versagt, er hat uns bitter enttäuscht und er muss weg“

Israels Ex-Botschafter Shimon Stein spricht im RiffReporter-Interview über den Schock des 7. Oktober, die weitere Entwicklung im Gazakrieg, deutsche Staatsräson und das Versagen von Regierungschef Netanjahu.

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Shimon Stein (ehemaliger Botschafter des Staates Israel in Deutschland)

Shimon Stein war von 2001 bis 2007 israelischer Botschafter in Deutschland. Danach behielt er einen Wohnsitz in Berlin und ist bis heute eine wichtige Stimme in der öffentlichen Debatte zu den Themen Antisemitismus, Nahost-Konflikt und internationale Politik. Stein veröffentlicht als Senior Researcher am Institut für nationale Sicherheitsstudien (INSS) der Universität Tel Aviv regelmäßig Analysen zu außen- und sicherheitspolitischen Entwicklungen.

Herr Stein, beim Terrorüberfall der Hamas auf Südisrael wurden mehr als 1400 Menschen ermordet, Tausende verletzt und eine ganze Nation traumatisiert. Wie ordnen Sie die Ereignisse des 7. Oktober in die Geschichte Israels ein?

Ich bin von meiner Ausbildung her Historiker. Historiker brauchen Distanz, um auf Ereignisse zurückzublicken und dann ein Urteil darüber zu fällen, inwiefern Ereignisse eine Zäsur sind oder doch eine Fortsetzung eines Prozesses, der schon zuvor begonnen hat. Eines kann ich aber jetzt schon sagen: Es war ein Verbrechen sondergleichen. Es gibt Menschen, die dazu neigen, das, was am 7. Oktober passiert ist, mit dem Holocaust zu vergleichen. Ich bin vorsichtiger und denke, der Vergleich trifft nicht zu. Der Holocaust ist etwas Singuläres. Aber die Ereignisse des 7. Oktober, diese grauenhaften menschenverachtenden Massaker, dieses Abschlachten von Zivilisten, sind zweifelsohne eine tiefe, auch eine historische Zäsur. Eine Zäsur, die durch ein katastrophales Versagen unseres Militärs und unserer Regierung verursacht wurde.

Ein Vater und seine Tochter rennen mit schockiertem Gesichtsausdruck rennend in Sicherheit.
„Regierung und Armee hatten die Aufgabe, das Land zu schützen und sie haben komplett darin versagt, diese Aufgabe zu erfüllen.“ Israelische Sicherheitskräfte bringen einen Vater mit seinen beiden Kindern nach einem Raketenangriff in Sicherheit.
Das Friedenstor von Yotvata, ein schmiedeeisernes Tor mit zwei Friedenstauben darauf
Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit Jordanien im Oktober 1994 haben beide Staaten im Arava-Tal ein „Friedenstor“ errichtet, über das die Bevölkerungen beider Seiten zeitweise im „kleinen Grenzverkehr“ zu den Nachbarn auf der anderen Seite wechseln konnten. Der Frieden mit Jordanien hält, an den Grenzen zu Syrien und dem Libanon dagegen kommt es immer wieder zu kleineren Schusswechseln.
Eine Familie vor sehr vielen Lebensmitteltüten, die auf dem Boden des Wohnzimmers aufgestellt sind.
„Im Augenblick erleben wir eine Sternstunde der Zivilgesellschaft in Israel. Die Bürger sind aufgestanden und haben die Rolle der Regierung und der Verwaltung in allen Lebensbereichen fast komplett übernommen.“ Hilfsbereitschaft allerorten: Familien sammeln Lebensmittel für Soldaten und evakuierte Zivilisten.
Eine Gruppe Menschen auf einem schmalen Pfad in der Wüste
Ausflüge in die Natur sollen Kindern helfen, die Schrecken des 7. Oktobers verarbeiten zu können.
Eine Gruppe Kinder von hinten betrachtet
Traumatisierte Kinder aus dem Grenzgebiet zu Gaza werden in sicheren Gegenden behandelt.