Frauen im Iran: „Hört auf, Frauenkörper für politische Zwecke zu missbrauchen“

Zum Internationalen Frauentag: ein Interview mit der Weltreporterin Theresa Breuer, deren Film über iranische Frauen am 11. März auf 3sat gesendet wird

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
7 Minuten
Protestierende Frauen im Iran

Theresa Breuer ist Mitglied von Weltreporter.net und war bis zur Machtübernahme der Taliban Afghanistan-Korrespondentin des Korrespondentennetzwerks. Am Samstag, dem 11. März 2023, läuft um 19:20 Uhr ihr Film „Frau. Leben. Freiheit? – Warum die Frauen im Iran so stark sind“ auf 3sat. Der Film ist jetzt schon in der Mediathek zu sehen.

Du bist vor allem bekannt durch deine Arbeit als Afghanistan-Korrespondentin und Initiatorin der Kabul-Luftbrücke, die seit der Machtübernahme der Taliban 2021 gefährdete Afghanen nach Deutschland ausgeflogen hat. Kennst du den Iran aus eigener Anschauung?

Ich habe zweimal aus dem Iran berichtet. Es waren beides Geschichten, die ich mit einem Journalistenvisum nicht hätte machen können, weil ich dafür einen staatlichen Übersetzer an die Seite gestellt bekommen hätte. 2016 habe ich eine tolle Geschichte über junge Iraner gemacht, die per Anhalter durchs Land gefahren sind. Ich war extrem fasziniert von der Diskrepanz zwischen dem Regime und den Menschen vor Ort. Man hat gemerkt, dass es eine Sehnsucht nach etwas anderem gibt, aber gleichzeitig auch eine Verbundenheit zur persischen Kultur und eine gemeinsame Identität.

Die Frauen, die du im Film interviewst, leben alle im Exil in Europa. Haben sie noch eine direkte Verbindung zu der aktuellen Protestbewegung?

Eine sehr starke. Heutzutage gilt es ja oft als Beleidigung, wenn man jemanden fragt: Wo kommst du eigentlich her? Weil es suggeriert, dass die Person nicht zu der Gesellschaft gehört, zu der man selber gehört. Bei Iranern ist das anders. Die nennen immer ihre iranische Identität zuerst – egal, ob sie jemals im Land waren oder die Sprache sprechen. Die Frauen in meinem Film sind unterschiedlich nahe an den Ereignissen dran. Eine Künstlerin hat so gut wie gar keinen Bezug, ihre Eltern waren aus dem Iran ausgewandert. Eine junge Frau dagegen ist erst seit drei Monaten in Deutschland. Sie hat seit ihrer Kindheit erlebt, wie ihre Mutter, eine Aktivistin, immer wieder im Gefängnis saß. Sie weiß, dass es ihre Mutter noch mehr unter Druck setzen würde, wenn sie jetzt dort wäre. Und deshalb lebt sie jetzt bei Darmstadt in der Vorstadt.

Unter Khomeini sind sehr viele Frauenrechte eingeschränkt worden. Aber das Recht auf Bildung nicht.

Theresa Breuer
Theresa Breuer

Du hast auch eine Frau getroffen, deren Tochter im Iran hingerichtet wurde.

Ja, schon im Jahr 2014, weil sie ihren Angreifer, der sie vergewaltigen wollte, in Notwehr erstochen hat. Die Mutter hat erzählt, dass Mütter früher oft über solche Gräueltaten geschwiegen haben – auch aus Scham, die Revolution verloren zu haben. Es sind ja vor 44 Jahren auch viele Liberale gegen den Schah auf die Straße gegangen. Die haben es dann als Demütigung empfunden, wieder eine Diktatur an die Macht gebracht zu haben.

Der Untertitel deines Films lautet: „Warum die Frauen im Iran so stark sind“. Also: Warum sind die Frauen im Iran so stark?

Weil der weibliche Körper für politische Zwecke instrumentalisiert und missbraucht wird. Beim Schah hieß es: Unsere Gesellschaft ist so wahnsinnig modern, deshalb dürfen Frauen keinen Schleier tragen. Im Mullah-Regime heißt es: Wir sind eine religiöse, gläubige Gesellschaft, und deshalb müssen Frauen sich züchtig verhalten. Es ist aber ein großer Unterschied, ob man den Körper von Frauen kontrolliert oder ihren Geist. Und das ist eine Besonderheit im Iran, auch im Vergleich zu vielen Ländern in der Region: Frauen haben sich immer für Bildung eingesetzt. Es gab schon früh Frauenvereine, die Mädchenschulen gegründet haben. Unter Khomeini sind schon sehr viele Frauenrechte eingeschränkt worden. Aber das Recht auf Bildung nicht.

Wieso ist das so? Im Nachbarland Afghanistan verbieten die Mullahs den Mädchen, in die Schule zu gehen.

Das hat nicht so sehr mit dem Islam zu tun, sondern mit dem Stolz auf die persische Kultur. Wenn man durch den Iran fährt und sich Monumente oder Mosaiken anschaut, sind da immer Frauen und Männer gemeinsam zu sehen. Die Perser sehen sich eben als hoch kultiviertes Volk, und dazu gehören auch gebildete Frauen. Als Mahsa Amini, eine junge Frau, die nicht politisch aktiv war, dem Regime zum Opfer fiel, wurde auch diese persische Identität herausgefordert. Es war der Moment, wo sich die Leute die Frage stellen mussten: Sind wir die Zivilisierten, die wir angeblich immer waren? Oder sind wir Komplizen der Barbarei?

Es geht nicht um Frauenrechte, sondern es geht um Menschenrechte insgesamt.

Du sagst: Es ist eine Revolution der Frauen. Was ist die Rolle der Männer?

Dahinter zu stehen. Man hätte das sehr einfach als ein Frauenthema abtun können – meine Güte, man trägt halt den Schleier. Wir lassen euch doch irgendwie alles machen, ihr dürft zur Uni gehen, in die Politik, ihr dürft wählen. Mir fällt kein anderes Beispiel in der Geschichte ein, wo sich tatsächlich Männer so an die Seite von Frauen gestellt haben, weil sie erkannt haben: Es geht nicht um Frauenrechte, sondern es geht um Menschenrechte insgesamt.

In dem Film wird auch berichtet, dass das Regime jetzt verstärkt Männer vor Gericht stellt und sogar hinrichten lässt. Steckt da System dahinter?

Es steckt Verzweiflung dahinter. Sie haben die Proteste der Frauen so brutal niedergeknüppelt, aber je brutaler das Regime vorging, desto mehr Männer haben sich angeschlossen. Und dann sagte sich das Regime: Die Frauen können wir nicht hängen, das wird international Ärger geben. Aber die Männer schon. Und dann hat man sich willkürlich Männer herausgepickt, um dafür zu sorgen, dass sie sich nicht an die Seite der Frauen stellen. Was ich jetzt ganz viel höre ist, dass Männer auf der Straße Frauen zu Hilfe kommen, wenn sie jemand angreift. Und alle Frauen, mit denen ich gesprochen habe, sagen: Das war früher nie der Fall. Da sind die Männer nur vorbeigelaufen und haben nichts gesagt.

In unseren sozialen Medien werden gerne Bilder geteilt von iranischen Frauen, die in den 70er Jahren im Minirock in der Öffentlichkeit herumliefen, mit dem Tenor: Damals waren die Frauen noch frei, heute werden sie unterdrückt.

Da muss man extrem vorsichtig sein, das nicht zu romantisieren. Ja, Frauen mussten keinen Schleier tragen unter dem Schah. Trotzdem sind Oppositionelle zu Tode gefoltert worden. Der erste Schah der Pahlavi-Dynastie hat in den 1930er Jahren den Schleier verboten. Das war eine Befreiung, aber gleichzeitig auch ein Zwang. Etwas zu verordnen ist immer Zwang. Die Frauen, die ich interviewt habe, sagen eher: Hört auf, Frauenkörper für politische Zwecke zu missbrauchen. Es sollte einfach kein Thema sein. Ich würde mich freuen, wenn wir auch in Europa mal aufhören würden, das ständig zu diskutieren – der Schleier in Deutschland, der Burkini in Frankreich.

Ich würde mir weniger Artikel wünschen mit der Überschrift: Ist die Protestbewegung gescheitert? Und mehr: Warum tun wir so wenig, um die Protestbewegung zu unterstützen?

Die Proteste im Iran sind weniger geworden, das Land ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Geht der Aufstand weiter, und wenn ja: wie?

Ich lese auch diese Überschriften: Ist die Protestbewegung gescheitert?, und finde das keine faire Herangehensweise. Ich würde mir wünschen, dass wir als Journalisten einfach schauen, was es für die Menschen heißt. Die sind auf die Straße gegangen, sind zu Zehntausenden inhaftiert worden in Gefängnissen, in denen in unvorstellbarer Weise gefoltert wird. Sie haben gezeigt, dass sie dieses Regime nicht wollen. Und damit haben sie auch erstmal ihre Aufgabe erledigt. Ich finde, das ist jetzt dann tatsächlich der Job der internationalen Staatengemeinschaft, den nächsten Schritt zu gehen.

Ich habe einen Film gemacht über starke iranische Frauen. Ich warne aber auch davor, sie zu einem Fetisch zu machen. Ich werde auch oft gefragt: Was hast du von den afghanischen Frauen gelernt? Und da wird dann so eine demütige Antwort erwartet. Was ich gelernt habe: Ich hatte einfach verdammtes Glück, in Deutschland geboren zu sein. Man kann nicht alles mit Willen und Stärke erreichen, in gewissen Situationen braucht man die Hilfe anderer. Und der Iran ist an diesem Punkt. Insofern würde ich mir weniger Artikel wünschen mit der Überschrift: Ist die Protestbewegung gescheitert? Und mehr: Warum tun wir so wenig, um die Protestbewegung zu unterstützen?

Was hat dich am meisten beeindruckt bei deiner Recherche?

Ich habe Frauen aus verschiedenen Generationen getroffen, die in unterschiedlichen Ländern aufgewachsen sind. Sie waren sich einig: Wenn wir diesen Kampf verlieren, dann verlieren wir bestimmte Dinge für immer. Sie alle haben Familien im Iran, die sie niemals in Interviews erwähnen, die sie nicht anrufen können, mit denen sie keinen Kontakt haben können. Sie wissen: Wenn dieses Regime nicht fällt, werde ich sie nie wiedersehen. Und das hat schon etwas Heroisches. Sie werden ja auch häufig angegriffen, hier im Exil lasse sich leicht reden. Nein, im Exil zu sein heißt auch, eventuell nie wieder deine Eltern oder deine Geschwister sehen zu können. Das in Würde auszuhalten, ohne zu jammern, und für eine Gesellschaft zu kämpfen, die es in der jüngeren Geschichte des Iran noch nicht gegeben hat – das fand ich sehr bewegend.