Ermutigung für Afrikas Islamisten

Die Rückeroberung Afghanistans durch die Taliban wird gefeiert

vom Recherche-Kollektiv Afrika-Reporter:
6 Minuten
Eine Kalashnikov auf dem Boden.

Afrika hat sich laut dem jüngsten UN-Expertenbericht im ersten Halbjahr 2021 zu der Region entwickelt, die weltweit am meisten unter dem Terror islamistischer Gruppen leidet. Der jüngste Erfolg der Taliban in Afghanistan könnte ihnen weiteren Auftrieb geben.

Auf dem afrikanischen Kontinent gibt es etliche islamistische Gruppen. Viele von ihnen haben Verbindungen zum Al-Qaida-Netzwerk oder dem so genannten Islamischen Staat. Vor allem im westafrikanischen Sahel mit den Ländern Burkina Faso, Mali, Niger, Nigeria und dem Tschad nimmt deren Einfluss seit einigen Jahren drastisch zu. In Nordafrika mit den Ländern Algerien, Marokko, Tunesien und Libyen reicht die Präsenz extremistischer Gruppen noch länger zurück. Somalia im Osten des Kontinents ist ein weiterer Schwerpunkt, das benachbarte Kenia Rückzugsraum und Rekrutierungsgebiet. Seit einigen Jahren leidet auch die Bevölkerung in Mosambik im südlichen Afrika zunehmend unter der Gewalt islamistischer Terrorgruppen.

Westliche Truppen ziehen ab

In etlichen der Staaten, vor allem im Sahel und in Somalia, sind westliche Truppen präsent, um die jeweiligen Armeen und Regierungen im „Kampf gegen den Terror“ zu unterstützen. Aber angesichts militärischer Rückschläge und ausbleibender politischer und militärischer Erfolge ziehen westliche Staaten auch dort ihre Truppen ab.

Einem Bericht der BBC zufolge feierten islamistische Gruppen schon kurz nach der Rückeroberung Afghanistans durch die Taliban. „Gott ist groß“, schrieb ein mit der somalischen Al-Shabaab verbundenes Medienorgan als Reaktion auf die Machtübernahme. Und Iyad Ag Ghaly, Führer der malischen Koalition Al-Qaida-naher Gruppen Jamaat Nusrat al-Islam wal-Muslimin (JNIM) gratulierte den Anführern der Taliban in seiner ersten öffentlichen Botschaft seit 2019: „Wir gewinnen“, gab er sich sicher.

Brody McDonald vom „Global Network on Extremism and Terrorism“ (GNET) twitterte wegen dieser und ähnlicher Reaktionen schon am 17. August, wenige Tage nach dem Einmarsch der Taliban in Kabul: „Der Sieg der Taliban ist ein riesiger Propagandaerfolg für Gruppen wie #HayatTahrirAlSham #AlQaiea #ISIS #ISIL #BokoHaram #AlShabaab“.

Halb im Anschnitt von hinten sind zwei französische Soldaten zu sehen, von vorne zwei ihrer maleschen Kollegen, mit Gesichtsmasken.
Französische und malische Soldaten gehen auf dem Markt von Gao gemeinsam Streife.
Ein weißer Panzer mit der schwarzen Aufschrift AU auf einem Platz in Mogadishu. Ein Mensch mit Eselskarren fährt vorbei, außerdem steht ein Soldat schräg vor dem Panzer.
Ein Panzer der AU-Militärmission AMISOM in Mogadischu.

Die Situation in Somalia

Auch im ostafrikanischen Somalia steht ein Abzug ausländischer Truppen unmittelbar bevor. Das Land galt nach einem Militärputsch 1991 jahrelang als „Failed State“. Nach der Flucht des letzten Diktators Siad Barre litt die Bevölkerung unter einem jahrzehntelangen, clan-basierten Bürgerkrieg. 2007 begann ein Aufstand der mit Al-Qaida verbundenen Al-Shabaab-Miliz, der bis heute andauert.

Inzwischen gibt es wieder eine international anerkannte Regierung, die aber schwach ist und weite Teile des Landes nicht kontrolliert – und das trotz der langjährigen Unterstützung durch die ausländische Militärmission AMISOM. Sie steht unter dem Dach der Afrikanischen Union, hat ein Mandat des UN-Sicherheitsrates und wurde bisher zu einem erheblichen Teil von der EU finanziert – mit 2,1 Milliarden Euro seit 2007.

AMISOM keine Dauerlösung

Aber auch die AMISOM -Truppen gelten nicht als Dauerlösung, die internationalen Partner – vor allem die UN und die EU – wollten die Verantwortung für die Sicherheit Somalias eigentlich schon längst den somalischen Truppen übergeben, die – ähnlich wie in Mali – bereits seit Jahren ausgebildet werden, aber immer noch als wenig schlagkräftig gelten.

Die US-Armee, die parallel zu einer EU-Ausbildungsmission und eine Anti-Terror-Spezialeinheit namens Danab trainiert hat, zog ihre rund 700 Soldatinnen und Soldaten bereits im Januar 2021 ab – überstürzt in den letzten Tagen der Trump-Administration.

Zu sehen ist eine breite Straße, alle Gebäude am Rand sind zerstört. Auf der Straße vereinzelte motorisierte Dreiräder und Passanten.
Nach Jahrzehnten des Bürgerkriegs liegt die Altstadt von Mogadischu immer noch in Ruinen.

Staatsaufbau nicht erfolgreich

Wie in Afghanistan, sollten auch die Militäreinsätze in Mali und Somalia den Aufbau demokratischer Strukturen und Staaten begleiten – vor allem in Somalia, dem ehemaligen „Failed State“. Mali dagegen galt bis zum Beginn der politischen Krise 2012 sogar als eine afrikanische Vorzeigedemokratie, wobei diese Einschätzung nur dank der womöglich bewussten Blindheit des Westens gegenüber der schon damals notorischen Korruption im malischen Staatsapparat möglich war. Zu erklären war diese Blindheit wohl durch den Wunsch, den angeblichen Erfolg westlicher „Entwicklungsmodelle“ an einem Beispiel belegen zu können.

Korruption untergräbt Staatsaufbau

Jedenfalls gibt es in Somalia und Mali – ähnlich wie in Afghanistan – weit verbreitete Korruptionsvorwürfe. Aufgrund ihres Ausmaßes unterhöhlen Korruption und Veruntreuung die staatlichen Strukturen und die Schlagkraft der jeweiligen Armee. In Somalia zeigen sich deutliche Probleme bei der Neubildung des Staates. Die Neuwahlen des Präsidenten und des Parlaments, die Anfang des Jahres hätten stattfinden müssen, werden seit Monaten verschleppt. Im Streit über Wahlverfahren und -termin kam es im Frühjahr in der Hauptstadt Mogadischu zu Zusammenstößen, bei denen sich Teile der Sicherheitskräfte gegenseitig bekämpften.

Keine Nachhaltigkeit

Diese Probleme haben Zweifel an Somalias Staatsbildungsprojekt aufkommen lassen. Ilham Gassar, politische Beraterin der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Somalia, sagte der BBC, die internationalen Partner hätten sich auf die Zerschlagung von al-Shabab konzentriert und nicht auf den Aufbau eines starken Staates. „Der Fokus lag nie darauf, das Leben der durchschnittlichen Somalier zu verbessern und Systeme der Nachhaltigkeit zu schaffen“, kritisierte sie.

Lehren aus Afghanistan

Noch lässt sich nicht einschätzen, wie sich die Entwicklungen in Afghanistan auf die Politik in Afrika auswirken werden. Aber die Diskussion darüber, wie ein besserer Ausstieg für ausländische Mächte gewährleistet werden kann, hat begonnen.

Comfort Ero vom Think-Tank International Crisis Group sagte der BBC, dass es „unmittelbare Lehren“ zu ziehen gelte. Ihr zufolge gibt es ein „immerwährendes Problem von Regierungen, die in Korruption versinken, stark von ausländischer/externer Unterstützung abhängig sind und im eigenen Land wenig oder manchmal nur eine schwache Legitimität haben, so dass, wenn die internationale Unterstützung zurückgezogen wird, künstliche Staaten zurückbleiben, die nicht in der Lage sind, ihren Aufgabenbereich zu erweitern“.

Angst vor einem überstürzten Abzug

Trotz aller Kritik am „wie“ der ausländischen Präsenz im Sahel und in Somalia werden die Folgen eines überstürzten Abzugs gefürchtet. „Viele Menschen haben Angst, weil sich die Situation wie in Afghanistan entwickeln könnte“, sagte Bouraima Guindo, Chefredakteur der malischen Zeitung Le Pays, dem britischen Sender. "Die Anwesenheit dieser ausländischen Soldaten ist sehr wichtig, denn wenn sie morgen abziehen, wird die Situation noch gefährlicher.