Verkehrssenatorin zum Radverkehr: „2030 wird Berlin anders aussehen“

Regine Günther über Mühen und Rückschläge beim Ausbau umweltfreundlicher Mobilität und ihr Ziele einer Stadt, in der sich Radfahrerinnen und Fußgänger sicher fühlen

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Viele Menschen sind bei einer Fahrraddemo auf Fahrrädern unterwegs

Regine Günther ist unbequem. Jedenfalls für Autofahrer. Die Verkehrssenatorin setzt in Berlin das Mobilitätsgesetz um, das die Abkehr von der autogerechten Stadt einleiten soll. Zukünftig sollen der öffentliche Nahverkehr, Radfahrende und Fußgängerinnen und Fußgänger in der Hauptstadt Vorrang erhalten. Während den Radaktivistinnen und -aktivisten der Umbau viel zu langsam geht, finden andere ihre Maßnahmen zu radikal. Ein Gespräch über große Pläne, die Mühen der Ebene und darüber, wie Berlin 2030 ganz aussehen soll.

Zur Person

Die studierte Politikwissenschaftlerin lebt seit 1986 in Berlin und arbeitete 16 Jahre als Direktorin für Klimaschutz und Energie bei der Umweltstiftung WWF Deutschland. Regine Günther gilt als ausgewiesene Expertin für nationale und internationale Klimaschutzpolitik. 2016 beriefen die Grünen sie in der rot-rot-Grünen Koalition als Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz.

Frau Günther, seit 2018 gibt es in Berlin das Mobilitätsgesetz. Ein wichtiger Baustein darin ist das Radgesetz. Seine Umsetzung geht den Radaktivistinnen- und aktivisten viel zu langsam, können Sie ihre Kritik nachvollziehen?

Regine Günther: Ich verstehe, dass sich viele Menschen schnell Verbesserungen wünschen, denn sie sind an vielen Stellen bitter nötig. Aber dem konkreten Bau von Radinfrastruktur sind relevante Prozesse vorgelagert, wie der Aufbau von Personal. Wenn die Erwartungshaltung war, dass ein, zwei oder drei Jahre nach der Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes schon große Teile der Stadt umgebaut sind, dann musste die Enttäuschung groß sein. Ich habe immer gesagt: Der Umbau Berlins zur Fahrrad-Hauptstadt ist ein umfassendes Projekt. Da reden wir über zehn, wenn nicht 15 Jahre oder mehr. Wir wollen Berlin für den Umweltverbund aus ÖPNV, Rad- und Fußverkehr umbauen, die Vision Zero umsetzen und die Straßen so gestalten, dass sich dort auch Kinder sicher mit dem Fahrrad bewegen können. Von diesen Zielen sind wir noch immer weit entfernt. Mittlerweile ist aber an vielen Stellen unübersehbar, dass wir auch mit dem Bau begonnen haben.

Der Umbau der Stadt stößt auf viel Zuspruch, aber natürlich auch auf massive Widerstände.

Welche Strukturen haben sie in den vergangenen vier Jahren geschaffen?

2016 gab es nur 3,5 Stellen für den Radverkehr landesweit. Inzwischen arbeiten rund 70 Mitarbeiter*innen am Ausbau der Radinfrastruktur, in meiner Verwaltung, in den Bezirken und in dem neuen landeseigenen Unternehmen InfraVelo, das für die bezirksübergreifenden Infrastrukturmaßnahmen zuständig ist. Wir haben die Verkehrslenkung Berlin neu organisiert, die den fließenden Verkehr steuert. Wir stehen kurz vor der Verabschiedung des Radverkehrsplans, der die Ausbaustandards festlegt, und auch des neuen Radverkehrsnetzes, das im vollen Ausbauzustand rund 3.000 Kilometer umfassen wird. Der Netzplan ist im vergangenen Jahr fertig geworden. Sobald er verabschiedet ist, werden sich alle Planer in den Bezirken an seinen Vorgaben orientieren müssen.

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