Warum statt Wehrpflicht der Gesellschaftsdienst für alle sinnvoll wäre

Ein Kommentar

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In einem Flüchtlingsheim aus Container werden vom THW und Bewohnern Steinplatten als Wege auf den Boden gelegt.

Soll es für junge Erwachsene in Deutschland wieder normal werden, Wehr- oder Zivildienst zu leisten? Sieben Jahre, nachdem der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg es als Erfolg verbucht hat, dass der Bundestag die Wehrpflicht aussetzte, will die CDU diese Entscheidung zur Debatte stellen. Einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge schlägt die Generalsekretärin der Partei, Annegret Kramp-Karrenbauer, vor, auf dem CDU-Parteitag im Herbst die Frage zu diskutieren, ob die Wehrpflicht wieder reaktiviert oder eine allgemeine Dienstpflicht eingeführt wird.

Das Jahr 2011, in dem die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, wirkt im Rückblick trotz der mannigfaltigen Probleme, die es auch damals schon gab, geradezu idyllisch. Seither ist viel Beunruhigendes passiert: Russland hat die ukrainische Krim annektiert; die Europäische Union ist durch den Brexit und den Streit um die Flüchtlingspolitik deutlich geschwächt; in Syrien waren die USA, die Türkei, Russland und der Iran in einem Stellvertreterkrieg involviert, der Gefahren weit über die Region hinaus in sich barg; in Ländern wie der Türkei und China erstarkt der Autoritarismus; und in den USA ist ein Präsident an der Macht, der nicht nur die Gewaltentrennung und die Rechtsstaatlichkeit des Landes gefährdet, sondern auch den militärischen Schutzschirm für Europa und den Sinn der NATO offen in Frage stellt.

Die Sorge um den Zusammenhalt in der Gesellschaft ist berechtigt

In Schweden hat mit Verweis auf die unsichere Weltlage eine rot-grüne Regierung die Wehrpflicht wieder reaktiviert. 4000 junge Menschen werden nun jährlich aus einem Pool von rund 100.000 jungen Menschen ausgewählt und zum Dienst an der Waffe verpflichtet, Denkt man das Thema rein militärisch, wäre das auch für Deutschland ein Modell: Aus jedem Jahrgang werden so viele Soldaten rekrutiert, wie laut Bundeswehrführung angesichts der angespannten Weltlage nötig sind.

Doch würden wirklich deutlich mehr Rekruten angefordert? Das Risiko eines klassischen bewaffneten Konflikts in Mitteleuropa, der eine größere Zahl von Bundeswehrsoldaten als heute sinnvoll erscheinen lassen würde, bleibt trotz der beunruhigenden Entwicklungen um uns herum gering. Viel wahrscheinlicher ist eine unkonventionelle Aggression, etwa eine Cyber-Attacke auf das deutsche Stromnetz oder propagandistischer Einfluss, der dazu führt, dass sich radikale Kräfte bewaffnen und Deutschland von innen destabilisieren.

Gegen solche Risiken helfen auch mehr Soldaten nicht. Dagegen sind eher technologische Investitionen und ein schärferer Kurs gegen Desinformationskampagnen aus Russland sinnvoll. Die hohen Ausgaben für Wehrpflichtige könnten zudem geplante Modernisierungen bei Waffensystemen gefährden. Aus der Bundeswehr ist auch deswegen viel Skepsis gegenüber dem Vorschlag, die Wehrpflicht zu reaktivieren, zu hören.

Interessanterweise sind es aber gar nicht Verteidigungsbedürfnisse, die Politikerinnen wie Kramp-Karrenbauer fordern lassen, die Wehrpflicht zu reaktivieren, sondern etwas ganz anderes: Die Sorge um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und im Gegensatz zur nostalgischen Sehnsucht mancher Konservativer nach dem „Bund“ als Selbstverständlichkeit ist dieses gesellschaftspolitische Anliegen sehr erwägenswert.

Schlüsselkompetenzen für gefährliche Zeiten

In den USA ist zu sehen, wohin politische Polarisierung führt. Vor allem rechtsextreme Gruppierungen legen es auch bei uns darauf an, Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzubringen und politisch Andersdenkende nicht als Gegner, sondern als Feinde zu behandeln. Die sogenannten sozialen Medien machen Hass und Rassismus nicht nur sichtbar, sondern verstärken sie, weil Gleichgesinnte zusammenfinden und sich zusammentun können. Hinzu kommt, dass die Bildungspolitik der vergangenen Jahre einseitig dem Karrierismus Vorschub geleistet hat und nicht der gesellschaftlichen Verantwortung junger Bürger.

Unsere Gesellschaft braucht inmitten von globalen Unruhen, Krisen und Polarisierungstendenzen nichts so sehr wie Gemeinsinn und wie aktive Bürgerinnen und Bürger, die dazu betragen, dass die Werte des Grundgesetzes im Alltag ganz konkret gelebt und verteidigt werden.

Eine Helferin des THW kniet auf dem Boden und baut ein Feldbett auf.
Eine THW-Helferin beim Bettenaufbau in einem Flüchtlingelager (2016): Wenn jeder junge Mensch lernen würde, Schwächeren zu helfen, würde das zum Zusammenhalt in der Gesellschaft positiv beitragen.
Hilfskräfte des THW beseitigen 2016 nach Starkregen in Trier Schlamm: Wenn der Klimawandel mehr Wetterextreme bringt, muss unsere Gesellschaft vorbereitet sein.
Hilfskräfte des THW beseitigen 2016 nach Starkregen in Trier Schlamm: Wenn der Klimawandel mehr Wetterextreme bringt, muss unsere Gesellschaft vorbereitet sein.