Die Vermessung der Zelle: Wie der Zell-Atlas des Menschen die Medizin revolutioniert

Seit gut zehn Jahren ist es möglich, Zellen systematisch zu analysieren, seit fünf Jahren gibt es den Human-Zell-Atlas. Das Feld der Genetik, Epigenetik und Transkriptionsanalyse auf Einzelzell-Niveau explodiert. Die Biomedizin ist auf dem Weg zur Präzisions-Wissenschaft.

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Eine Grafik zeigt mehrere runde, blau eingefärbte Zellen. Sie sind etwas durchsichtig, so dass ein rot gefärbter Zellkern hindurchscheint.

In einem globalen Konsortium sammeln Forschende seit fünf Jahren molekularbiologische Informationen über einzelne gesunde oder kranke, alte oder junge menschliche Zellen und Gewebe. Die öffentlich zugängliche Datenbank mit Wissen aus der Einzelzell-Biologie entfaltet schon jetzt ein großes Potenzial: Sie hilft, die hochkomplexen Zusammenhänge zwischen Biologie, Krankheit und Gesundheit besser zu verstehen.

Zellen sind Wunder. Sie sind die kleinste Lebenseinheit. Und gleichzeitig besteht jeder von uns Menschen aus 37 Billionen von ihnen. Sie können sehr verschieden sein, haben unterschiedliche Entstehungsgeschichten, bilden große Gruppen ähnlicher Bauart – die Gewebe –, formen komplizierte Organe und stammen alle vom gleichen Urahn ab: einer einzigen befruchteten Eizelle. Gemeinsam ergeben die Zellen ein gigantisches, unbegreiflich komplex vernetztes, maximal individuelles Ökosystem.

Erst dieses System definiert unsere Einzigartigkeit, unsere Neigung zu manchen Krankheiten, aber auch unsere individuelle Art der Widerstandsfähigkeit und unsere Gesundheit und Lebenserwartung im Allgemeinen. Es ist deshalb ein alter Traum der Biologie, die einzelne Zelle vollständig zu verstehen – zu wissen, wie sie funktioniert, erklären zu können, was die geschätzten dreihundert menschlichen Zelltypen voneinander unterscheidet, und wie sie miteinander kommunizieren.

Die Biologie hinter Krankheit, Gesundheit und Prävention

Diesem Traum kommt die Menschheit derzeit ein gewaltiges Stück näher. In ersten Ansätzen zeichnet sich ab, dass Forschende komplexe Krankheiten immer besser begreifen, weil sie deren Ursachen auf zellulärer Ebene entdecken. In absehbarer Zeit wird die Wissenschaft von immer mehr Leiden die mechanistischen Hintergründe kennen. Das heißt aber auch, dass die Medizin immer mehr Krankheiten gezielt, individualisiert und effektiv behandeln oder ihnen vorbeugen kann.

Um die Entstehung von Krankheiten zu verstehen und neue Behandlungen dagegen zu entwickeln, müssen wir die Zellen, ihre internen Schaltkreise sowie ihre Interaktionen in Gesundheit und Krankheit erforschen.

Aviv Regev, Sarah Teichmann et al.

Ein Gewebe mit grün eingefärbten Körperzellen. Darauf sitzen teils eine große Zahl kleiner pinkfarbener Kügelchen. Dabei handelt es sich um das neue Coronavirus. Das Bild wurde nachträglich eingefärbt.
Viele neue Coronaviren vom Typ SARS-CoV-2 (pink) sitzen auf Zellen eines Gewebes, um ihr Erbgut in diese einzuschleusen und sich zu reproduzieren. Das Bild wurde nachträglich eingefärbt.
Grell blau, grün und rot schillernde spindelförmige Zellen bilden ein Netzwerk.
Mikroskopische Aufnahme gesunder Fibroblasten. Diese Zellen sind der Hauptbestandteil des menschlichen Bindegewebes. Hier wurden sie mit fluoreszierenden Farbstoffen angefärbt.