Gene und Umwelt im Gespräch: David Allis, der Entdecker des Histon-Codes, ist tot

Die Welt der Epigenetik trauert um einen ihrer größten Vertreter: C. David Allis, der „Meister des Chromatins“, entdeckte das erste Enzym, das die Aktivität der Gene reguliert, indem es deren Umgebung verändert. Jetzt ist der Nobelpreiskandidat im Alter von 71 Jahren gestorben.

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Ein sympathischer älterer Herr mit grauen Haaren lächelt etwas schüchtern in die Kamera

„Champion der modernen Chromatinbiologie“ – „Pionier der Chromatinbiologie“ – „Vater der Histonmodifikation, König des Chromatins“: Die Nachrufe aus der Fachwelt lassen keinen Zweifel: In David Allis ist ein richtig Großer seiner Zunft gestorben, ein visionärer Forscher und ein faszinierender Mensch. Der Molekularbiologe hat unseren Blick auf das Leben verändert. Er hat herausgefunden, wie das Erbe mit der Umwelt spricht – und umgekehrt.

Wir Menschen haben etwa 37 Billionen Körperzellen. Jede enthält einen winzig kleinen Zellkern. Und jeder dieser Zellkerne birgt unfassbare zwei Meter des bekannten Erbgutmoleküls DNA – verteilt auf mehrere Chromosomen. Sind die Zellen aktiv, werden von der DNA permanent Codes abgelesen und außerhalb des Zellkerns in Proteine übersetzt. Das ist das Wunder des Lebens. Es ist der Prozess, der uns lebendig macht.

Chinesische Nudelsuppe im Zellkern

Im Zellkern sieht es derweil aus, als schwämme dort eine chinesische Nudelsuppe. Totales Chaos – zumindest auf den ersten Blick. Tatsächlich aber weiß die Zelle sehr genau, was sie tut. Sie lässt von ihren Enzymen nur solche Gene ablesen, deren Produkte auch gebraucht werden. Damit die Enzyme sich besser zurechtfinden, ist die DNA in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen je zweieinhalb Mal um Kügelchen aufgewickelt, die aus acht sogenannten Histonproteinen bestehen.

DNA und Histone bilden zusammen die Nukleosomen. Früher hielt man diese Kügelchen für uninteressante, passive, immer gleiche Hilfsstrukturen. Ihre Aufgabe sei es, für Ordnung im Zellkern zu sorgen, indem sie der Zelle beim Verpacken der DNA helfen.

Doch dann kam David Allis. Er forschte schon seit langer Zeit an einem Organismus, der so unscheinbar und winzig ist, dass seine Kolleg*innen die Hartnäckigkeit kaum nachvollziehen konnten: dem Einzeller Tetrahymena, einem Wimpertierchen. Diesem einfachen Wesen entriss Allis ein Geheimnis, das so oder so ähnlich fast alle Organismen hüten. Ihre Nukleosomen können sich verändern. Sie machen das manchmal sogar als Reaktion auf Signale aus der Außenwelt. Und sie entscheiden damit, welche Gene eine Zelle benutzen kann und welche nicht.

Ein Gedächtnis der Zelle für Umwelteinflüsse

Anders ausgedrückt: Die Wandelbarkeit der Nukleosomen hilft den Zellen dabei, ein Gedächtnis für Umwelteinflüsse aufzubauen. Sie gehört zu einem zentralen Element der Wissenschaft der Epigenetik, auch Neben- oder Zusatzgenetik genannt.

Die Epigenetik ermöglicht Zellen Umweltanpassungen dauerhaft zu speichern, die nicht im DNA-Code abgelegt sind, sondern eben wie in diesem Beispiel in den Nukleosomen. Damit vermittelt sie das ständige Gespräch der Umwelt mit den Genen, und sie erlaubt es der Zelle mit Hilfe der Regulation ihrer Gene mit der Umwelt zu kommunizieren.

David Allis fand im Jahr 1996 ein Enzym, eine sogenannte Histonacetyltransferase, die Acetylgruppen (C-O-C-H3) gezielt an eine bestimmte Stelle eines bestimmten Histons anlagert.

Ein mittelalter und ein älterer Mann lächeln in die Kamera und zeigen beide auf eine Reihe bunter Buchstaben, die auf eine Tafel gemalt sind.
Nobelpreiskandidaten unter sich: Der Deutsche Thomas Jenuwein (links), Entdecker der ersten Histonmethyltransferase, und der US-Amerikaner C. David Allis (rechts), Entdecker der ersten Histonacetyltransferase vor dem berühmten Whiteboard in Allis' Labor. Dort sind die Aminosäuren der Histonproteine mit allen bis heute bekannten Modifikationsmöglichkeiten notiert.