Superstar Schleim: Warum ohne den tollen Widerling auch im Menschen gar nichts läuft

Schleim ist eklig, aber zugleich faszinierend – als Wegbegleiter des Lebens, als unsichtbarer Kitt in der Umwelt und als Requisite moderner Monster. Ein Loblied.

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Grün gefärbte Aufnahme der Schleimangeln von Pilzmückenlarven

An einem klaren Frühlingstag mache ich mich auf den Weg zum Hunterian Museum in Glasgow. Es ist das älteste öffentliche Museum Schottlands und ein wahres Kuriositätenkabinett. Hier finden sich Fossilien und römische Artefakte neben federbesetzten Prunkmänteln der neuseeländischen Maori. Ich bin aber weder wegen des historischen Gebäudes noch wegen der wundersamen Sammlung hier. Mir geht es um ein handgroßes Fläschchen aus Glas mit einem dicken Stöpsel und zwei vergilbten Etiketten, beide von Hand beschriftet. Es geht mir um ein altes Fläschchen mit Schleim. Aber von Anfang an.

Sind Katzen eigentlich flüssig oder fest? Auf den ersten Blick scheint die Antwort klar, schließlich behalten Festkörper ihre Form, während sich Flüssigkeiten jedem Behältnis anpassen. Katzen sind also solide, aber eben nur so lange, bis sie extrem geschmeidig in eine winzige Kuhle zu fließen scheinen. Der Forscher Marc-Antoine Fardin ging der Klassifikation der Katze nach, weil sie sein eigenes Fachgebiet so schön anschaulich macht: Diese Disziplin heißt Rheologie und befasst sich mit dem Fließverhalten von Materie.

Für diese nicht ganz ernstgemeinte Studie erhielt der Franzose im Jahr 2017 den ebenfalls nicht ganz ernstgemeinten Ig-Nobelpreis für Physik. Und konnte so ein bisschen Werbung für sein Fachgebiet machen. Denn auch wenn Katzen nicht wirklich Gegenstand der Rheologie sind, gibt es doch Materie, die flüssig und fest zugleich ist, also Eigenschaften von Feststoffen und Flüssigkeiten vereint. Und in der Natur ist Schleim ihr vielleicht wichtigster Vertreter, selbst wenn er in seiner Komplexität und biologischen Bedeutung häufig noch unterschätzt wird.

Diese Missachtung hat vielleicht damit zu tun, dass Schleim als Material und Phänomen schwer greifbar und wenig sichtbar ist. Erschwerend kommt hinzu, dass er eine einzigartige Position in unserer Imagination besetzt –als extremer Ekel-Erreger. Warum also sollten wir uns für den Widerling interessieren? Weil er in in unzähligen Varianten mit einer Vielzahl wichtiger Funktionen auftritt, bevorzugt als Gleitmittel, als Klebstoff und als selektiv durchlässige Barriere. Oder auf den Punkt gebracht: Weil er uns und unsere Welt zusammenhält.

Die Festung Mensch besteht aus Schleim

Ein Beispiel ist der menschliche Organismus, den gleich vier verschiedene Schleimsysteme wie eine Festung mit Burggraben, Mauerwerk, Sicherheitsschleusen und Ritterrüstungen ausstatten. Erreger müssen diese Hürden mit List oder Brachialgewalt nehmen, während gutartige Mikroben als Pächter und Söldner Unterschupf finden. Es geht eben immer um die rechte Balance. Abweichungen aller Art sind gefährlich, ob nun ein Zuviel wie bei Asthma, ein Zuwenig wie bei chronischen Darmentzündungen oder ein defekter Aufbau wie bei Krebs.

Natürlich ist der Mensch nicht das einzige schleimbasierte Lebewesen. Es ist sogar eher unwahrscheinlich, dass irgendwelche Spezies ganz ohne das Material auskommen. Und warum sollten sie sich auch dieser wunderbaren Trickkiste berauben? Eine kleine Auswahl: Quallen nutzen Schleim als Strukturmaterial, Pflanzen setzen ihn zur Vermehrung ein, Frösche machen damit Beute, währen Schleimaale bei der Verteidigung auftrumpfen und Schnecken auf einer Schleimspur kriechen, die sich von Artgenossen auch als Sexinserat lesen lässt.

Nacktschnecke kriecht auf den Betrachter zu.
Schnecken kriechen auf einer Schleimspur, die sich von Artgenossen als Kontaktanzeige lesen lässt.
Hand hält einen Schleimaal in dichter Schleimhülle
Hübsch ist der Schleimaal vielleicht nicht, aber sein einzigartig robuster Schleim hält sogar Haie ab und könnte uns Anregungen für Ökotextilien liefern.
Ernst Haeckel skizziert Urschleim mit Resten seiner letzten Mahlzeit
In einer Tiefseeprobe glaubte der Evolutionsbiologe Ernst Haeckel den Urschleim Bathybius mit den kalkigen Resten seiner letzten Mahlzeit zu erkennen.
Auf diesem Foto ist eine Wurzelmundqualle im Meer zu sehen.
Dank Ernst Haeckels populären Darstellungen wuchs das Interesse an gallertigem Meeresgetier in der Öffentlichkeit.
Füße, die im Watt eingesunken sind.
Ob Schlick, Schlamm oder Watt. Klebriger Schleim im Untergrund macht den Fußmarsch zur Kraftanstrengung.
Alte Meeresprobe in Glasflasche, die Urschleim widerlegte
Diese Probe der HMS Challenger, jetzt im Hunterian Museum in Glasgow, widerlegte die Theorie vom Urschleim.