Coronavirus: Was, wenn sich fast alle Jüngeren ansteckten?

Kann man die Corona-Pandemie laufen lassen, wenn die meisten Menschen über 60 Jahren geimpft sind? Eine ungebremste „Welle der Jungen“ könnte in kürzerer Zeit noch einmal so viel Krankheit und Tod mit sich bringen, wie die Pandemie in Deutschland bislang.

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Eine Menge junger Menschen

Die Impfstoffknappheit in Deutschland könnte bald zu einer vertrackten Situation führen. Zuerst werden die geimpft, die das größte Risiko haben, schwer an Covid-19 zu erkranken oder gar zu versterben. Denn der am schwersten wiegende Risikofaktor ist das Alter: Ein Mensch von Mitte achtzig verstirbt rund 40-Mal wahrscheinlicher nach einer Coronainfektion als ein Fünfzigjähriger.

Irgendwann, wohl gegen Sommer, werden alle willigen Menschen über 60 geimpft sein. Damit wäre Deutschland nahe an dem, was manche als „fokussierten Schutz der Risikogruppen“ bezeichnen: Die Idee dahinter lautet, man müsse nur die Älteren vor dem Virus schützen, weil es für die Jüngeren kaum gefährlich sei. Das bislang sehr hohe Durchschnittsalter der Coronatoten verstärkt den Eindruck, Covid-19 sei vor allem eine Krankheit der Alten. Alle Maßnahmen, die die ganze Bevölkerung beträfen, Shutdowns etwa, seien daher nicht zu rechtfertigen, könnte es heißen. Bis die knapp 60 Millionen Jüngeren mit vermeintlich geringerem Risiko geimpft sind, soweit sie denn wollen, würden weitere Monate vergehen. Dass Deutschland so lange weiter im Pandemie-Modus fahren soll, könnte auch in der Politik immer mehr hinterfragt werden.

Der Gedanke mag aus der Sicht des Einzelnen einleuchten. Ein Fünfzigjähriger, dessen Risiko nach einer Coronainfektion zu sterben bei etwa 0,2 Prozent liegt, wird vielleicht abwinken und sich nach Monaten des mehr oder weniger freiwilligen Rückzugs ins soziale Leben stürzen. Doch aus der Perspektive der gesamten Gesellschaft sieht das Laufenlassen des Virus weit weniger akzeptabel aus. Bei den Jüngeren schlägt zwar die Tödlichkeit oder das krank-machende Potenzial des Virus viel weniger ins Kontor; dafür aber die schiere Masse an Menschen und eine rasante Dynamik bei ungehinderter Verbreitung des Virus. Das Sterberisiko der Jüngeren liegt bei nur wenigen Hunderstel bis Zehntel Prozent. Dennoch würden die sehr großen Zahlen an täglich Infizierten zu sehr großen Zahlen an Kranken, schweren Verläufen und Toten führen. Es fällt schwer, sich das vorzustellen, denn die Maßnahmen haben bislang exorbitante Infektionszahlen verhindert. Deutschland hat eine rasche „Durchseuchung“ bislang schlicht nicht erlebt. Was nicht heißt, dass es nicht passieren könnte.

Worst-Case: Binnen weniger Monate fast alle Jüngeren infiziert

Das Worst-Case-Szenario sähe wie folgt aus. Fielen alle Eindämmungsmaßnahmen, breitete sich das Virus ungehindert unter den noch nicht immunisierten aus. Jeder neu Infizierte würde durchschnittlich drei weitere Personen mit Sars-CoV-2 anstecken. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen explodierte regelrecht. Nach einigen Wochen träfen die aktuell ansteckenden Menschen auf immer weniger andere, die das Virus noch nicht hatten, also noch empfänglich sind. Die Ausbreitung würde immer langsamer wachsen. Wenn etwa drei Viertel infiziert waren, setzt die so genannte „Herdenimmunität“ ein: Die Fallzahlen überschreiten einen höchsten Punkt und sinken dann wieder. Es gäbe zwar zunächst noch sehr viele tägliche Neuinfektionen, aber von Tag zu Tag viel weniger. Es dauerte jedoch noch Wochen, bis die Welle ganz abebbte. Bis dahin hätten über 90 Prozent der Personen die Infektion durchgemacht.