Wer ein Organ erhält und wie erfolgreich die Transplantation verläuft, hängt auch vom Geschlecht ab

Vom 5. bis zum 7. Oktober 2022 findet in Hannover das internationale Symposium „Sex and Gender in Transplantation: Die weibliche Perspektive“ statt. Ein Gespräch mit einer der Organisatorinnen, Anette Melk, Spezialistin für Nierenerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen.

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Das Foto zeigt eine Box, in der Organe für eine Transplantation transportiert werden.

Organe sind Mangelware. Es benötigen mehr Menschen Organe als gespendet werden. In Deutschland stehen aktuell rund 8700 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Knapp 6600 warten auf eine Niere, die anderen auf eine Leber, Lunge, Bauchspeicheldrüse oder ein Herz.

Vielfach übersehen und meist gar nicht thematisiert: Ob jemand ein Spenderorgan erhält, ob das gespendete Organ die Transplantation überlebt und damit letztlich auch der Empfänger oder die Empfängerin, hängt auch vom biologischen und sozialen Geschlecht ab.

Das internationale, von der VolkswagenStiftung geförderte Symposium „Sex and Gender in Transplantation: Die weibliche Perspektive“ vom 5. bis 7 Oktober 2022 in Hannover will auf die Ungleichheit der Geschlechter bei der Organtransplantation aufmerksam machen und die Forschung auf dem Gebiet vorantreiben.

Anette Melk hat das Symposium mitorganisiert. Sie ist Spezialistin für Nieren- und Hochdruckerkrankungen im Kindes- und Jugendalter und Professorin für Interdisziplinäre Experimentelle Transplantationsmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Frau Melk, wie sind Sie persönlich zu diesem Thema gekommen, was interessiert Sie besonders?

Als Ärztin möchte ich natürlich, dass alle Menschen in gleicher Weise Zugang zur medizinischen Versorgung haben. Unglücklicherweise ist die Datenlage auch in der Transplantationsmedizin überwiegend aus männlicher Perspektive entstanden. Medikamentenstudien sind in unserem Fachgebiet wie auch sonst in der Medizin einfacher bei Männern durchzuführen, weil der Aspekt einer Schwangerschaft und der mögliche Einfluss auf das ungeborene Leben nicht berücksichtigt werden müssen. Daher sind Frauen grundsätzlich in Therapiestudien unterrepräsentiert. Aber 50 Prozent der Weltbevölkerung sind nun einmal weiblich und natürlich muss die medizinische Versorgung auf die biologischen Unterschiede der Geschlechter berücksichtigen.

In den Analysen meines Forschungsteams hier in Hannover haben wir verschiedene Geschlechtsunterschiede herausgearbeitet. Mädchen reagieren zum Beispiel empfindlicher, wenn sie nach einem Verlust ihrer Nierenfunktion länger auf ein Spenderorgan warten müssen. Ihre Blutgefäße versteifen im Vergleich zu betroffenen Jungen schneller. Diese Beobachtung könnte erklären, warum die Sterblichkeit bei nierenkranken Mädchen höher als bei betroffenen Jungen ist.

Welchen Einfluss hat die Arbeitsweise des weiblichen Immunsystems auf den Erfolg einer Transplantation?

Frauen sind vor einer Transplantation häufiger immunisiert. Das heißt, sie haben Antikörper gegen sogenannte HLA-Moleküle – wichtige Faktoren für die Gewebe-Übereinstimmung. Die Antikörper entstehen meist durch vorausgegangene Schwangerschaften, in denen sich das weibliche Immunsystem mit einem „anderen Gewebe“, dem Feten, auseinandersetzen muss. Außerdem sind viele der „immunologischen“ Gene auf dem X-Chromosomen verortet, von denen eine Frau ja zwei hat. Eines der X-Chromosomen wird zwar inaktiviert doch diese Inaktivierung ist meist nicht komplett, weshalb Frauen allgemein mit einer stärkeren Immunantwort reagieren. Bei der Abwehr von Infekten mag das von Vorteil sein. Für das Gelingen einer Transplantation kann das aber zum Nachteil werden, weil die weibliche Immunabwehr das gespendete Organ massiver attackiert als die männliche.

Das Bild zeigt zwei Frauen mit weißem Kittel und FFP2-Maske, die Messergebnisse auf einem Computer besprechen.
Anette Melk (links) von der Medizinischen Hochschule Hannover hat das Symposium „Sex and Gender in Transplantation“ mitorganisiert.

Frauen stellen sich häufiger als Lebendspenderinnen zur Verfügung als Männer. Männer erhalten dagegen mehr Lebendspenden, etwa Leber oder Niere. Wie ist das zu erklären?

Zum einen: Männer und auch Jungen sind häufiger von einer Nierenerkrankung betroffen und daher auch häufiger auf eine Organspende angewiesen. Zum anderen: Gesellschaftlich werden Frauen häufig noch als diejenigen betrachtet, die sich um die Familie kümmern müssen, während der Mann als Ernährer der Familie gilt. Dies erklärt zumindest zum Teil, dass Frauen häufiger für ihre Kinder und Partner spenden als andersherum. Wir werden uns auf dem Symposium ausführlich auch mit diesem Thema beschäftigen mit dem Ziel, die Ursachen für diesen Unterschied weiter aufzuarbeiten und ihn vermehrt in das Bewusstsein der ÄrztInnen und möglichen SpenderInnen zu bringen.

Worum wird es auf dem Symposium „Sex and Gender in Transplantation“ gehen?

Ob die Patientin oder der Patient beziehungsweise das gespendete Organ nach einer Transplantation überleben, hängt auch vom biologischen Geschlecht der Betroffenen ab. Wir haben es im Bereich der Organtransplantation mit einer geschlechtsspezifischen Ungleichheit zu tun, die selbst Fachleute immer noch vollkommen unterbewerten. Dabei kann sie jede Stufe des Transplantationsprozesses betreffen: den Zugang zur Warteliste, den Schritt von der Warteliste zum Empfang eines gespendeten Organs und das Ergebnis, das heißt das Überleben von Patientin/Patient oder Organ nach der Transplantation.

Das interaktive Symposium in Hannover beschäftigt sich mit dieser Ungleichheit, deren Gründe bisher nur in Ansätzen verstanden sind. Sie sind sicher nicht nur biologischer Natur, auch psychologische und sozioökonomischen Aspekte sind beteiligt.

Ziel des Symposiums ist es, Bereiche zu identifizieren, in denen mehr Grundlagen- und/oder klinische Forschung erforderlich ist und in denen wissenschaftliche Erkenntnisse zur Erstellung von Leitlinien und Strategien fehlen. Dabei soll die Perspektive von Frauen eine besondere Rolle spielen.

Das Symposium ist interdisziplinär ausgerichtet und bringt Forschende, ÄrztInnen und Betroffene aus der ganzen Welt zusammen.

Eine größere Diversität unter den Betreuenden von transplantierten PatientInnen macht nicht nur die klinische Versorgung besser, sondern beflügelt auch den wissenschaftlichen Fortschritt. Auch deshalb befasst sich das Symposium mit der Frage, wie Chancengleichheit in der beruflichen Laufbahn von wissenschaftlich tätigen Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen im Bereich der Organtransplantation erreicht werden kann.

Was erhoffen Sie sich von der Konferenz?

Wir möchten mit unserem Symposium auf das Problem aufmerksam machen, das Menschen überall auf der Welt betrifft. Für die Klink und Forschung hoffen wir auf die Bildung eines starken Netzwerkes, das etwa durch die Initiierung und Durchführung von Studien mittel- und langfristig die Datenlage verbessert. Das ist eine wichtige Voraussetzung für politische Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, um Ungleichbehandlungen vorzubeugen.

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