Corona: Das wissen Forscherïnnen über die Gefahr von Thrombosen nach einer AstraZeneca-Impfung

Gretchen Vogel und Kai Kupferschmidt berichten, wie die seltenen Nebenwirkungen entdeckt wurden und warum nur noch ältere Menschen den Impfstoff bekommen sollen

10 Minuten
Ein Glasfläschen mit dem Impfstoff von AstraZeneca und eine Spritze auf einer spiegelnden Oberfläche

Am 27. Februar 2021 wurde Sabine Eichinger, Hämatologin an der Medizinischen Universität Wien, mit einer ungewöhnlichen Patientin konfrontiert: Eine 49-jährige Krankenschwester hatte am Vortag in einem örtlichen Krankenhaus Hilfe gesucht, weil sie unter Übelkeit und Magenbeschwerden litt. Bei einer Computertomographie waren Thrombosen – also Blutgerinnsel – in den Venen im Bauchraum der Frau festgestellt worden, und sie war dann in Eichingers Klinik überwiesen worden. Gleichzeitig wies das Blutbild der Frau eine niedrige Anzahl an Thrombozyten auf, den Blutplättchen, die bei der Blutgerinnung eine wichtige Rolle spielen.

Der Zustand der Patientin verschlechterte sich weiter. Eine erneute Computertomographie zeigte, dass die Thrombosen sich weiter ausgebreitet hatten und gewachsen waren. „In diesem Stadium konnten wir nur noch wenig tun“, sagt Eichinger. Die Patientin starb am nächsten Tag.

Doch die Kombination aus niedriger Thrombozytenzahl, der sogenannten Thrombozytopenie, und den vielen Gerinnseln ließ Eichinger nicht mehr los. „Das ist sehr auffällig“, sagt sie. Da Thrombozyten bei der Bildung von Blutgerinnseln helfen, führen niedrige Werte normalerweise zu Blutungen, nicht zu Gerinnung. „Man würde denken, dass niedrige Thrombozyten und Thrombosen eigentlich Gegensätze sind.“

Es gibt aber eine spezielle Erkrankung, bei der diese ungewöhnliche Konstellation beobachtet wir. Sie heißt Verbrauchskoagulopathie. Sie kann auftreten, wenn zum Beispiel eine schwere Infektion, eine Verletzung oder eine Krebserkrankung eine so weit verbreitete Gerinnung auslöst, dass sie alle Thrombozyten aufbraucht. Doch nichts davon traf auf die Patientin in Wien zu.

Die gleiche Kombination von Symptomen tritt sehr selten allerdings auch als Nebenwirkung einer Medikamentengabe auf: Von der sogenannten Heparin-induzierten Thrombozytopenie (HIT) können Patientïnnen betroffen sein, die Heparin als Medikament erhalten. Heparin bindet dann an ein Protein namens Thrombozytenfaktor 4 (PF4). Aus ungeklärten Gründen bilden manche Menschen Antikörper gegen diesen Komplex, was eine unkontrollierte Gerinnungsreaktion auslöst.

Seltene Kombination von Symptomen

Eichingers Patientin hatte kein Heparin erhalten. Aber sie hatte, fünf Tage bevor ihre Symptome begannen, eine Spritze mit dem Impfstoff von AstraZeneca gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 bekommen. „Ich dachte, das ist vielleicht eine Art Immunreaktion“, sagt Eichinger.

Eichinger wandte sich an Andreas Greinacher von der Universität Greifswald, der sich seit Jahrzehnten mit der HIT-Krankheit beschäftigt. „Dann ging es Schlag auf Schlag“, sagt sie. Mehrere Länder reagierten auf die Berichte über Gerinnungsstörungen und setzten die Verwendung des Impfstoffs von AstraZeneca aus. Greinacher sagt, er habe andere Kollegen kontaktiert, die HIT in Kanada und Deutschland untersucht hatten. Zudem habe er das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das die Impfstoffsicherheit in Deutschland überwacht, gefragt, ob ihm irgendwelche Fälle des Problems bekannt seien. Das waren sie.

Wir wissen, was zu tun ist, wie man es diagnostiziert und wie man es behandelt. (Andreas Greinacher, Universität Greifswald)

Das PEI empfahl, die Verwendung des Impfstoffs auch in Deutschland zu pausieren und bat Greinacher, bei der Untersuchung zu helfen. Bald erhielt er Blutproben von acht weiteren Patienten. Alle hatten sowohl niedrige Blutplättchen als auch ungewöhnliche Gerinnungswerte, sagt er. In vier Proben fanden die Forscher auch Hinweise auf Antikörper gegen PF4, ein Kennzeichen der HIT.

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