Warum die Altmühl in Bayern wieder natürlicher fließen soll

Jahrzehntelang wurden Flüsse in enge Korsette gezwängt, nun wird renaturiert – für Artenvielfalt, Trinkwasser und auch für den Hochwasserschutz

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Der schmale Fluss mit abgeflachtem Ufer.

Das Wasser der Altmühl schiebt sich an diesem Tag Ende Juni träge voran, schlammig braun, belegt mit einer klebrigen Schicht aus toten Larven, Pflanzensamen und Blättern. „Die Altmühl hat kaum Gefälle und fließt deshalb besonders langsam“, sagt der Gewässerökologe Andreas Hoffmann, der in der Landschaft zwischen Treuchtlingen und Gunzenhausen am Ufer des Flusses steht.

Die Altmühl, die durch fünf bayerische Bezirke verläuft, ihre letzten Kilometer mit dem früher heftig umstrittenen Rhein-Main-Donau-Kanal teilt und bei Kelheim in die Donau mündet, ist hier in ihrem Oberlauf in Mittelfranken noch recht schmal, aber an vielen Stellen umsäumt von Sträuchern, Weiden und Röhricht. An einigen Flussschleifen stauen die Bauwerke von Bibern das Wasser auf, überall surren Libellen herum. Häufig verzweigt sich die Altmühl, nur um dann wieder zusammenzufließen. Wild und ungeordnet wirkt der Fluss im Vergleich zu den vielen kanalähnlichen Fließgewässern in Deutschland. Fast dschungelartig.

Das war aber nicht immer so: Im 20. Jahrhundert wurde die Altmühl wie viele Flüsse in Europa in ein enges Korsett gepackt, um Agrarland zu gewinnen und – so dachte man jedenfalls – Überschwemmungen zu verhindern. Schnurgerade zog sie sich durch die Felder, ohne schattenspendenden Bewuchs an ihren Rändern war die Wassertemperatur hoch. Sedimente und Dünger von den Feldern flossen Jahrzehnte fast ungehindert in den Fluss ab. Entsprechend verarmt war auch die Natur.

„Breitwasser“ in den Auen statt Hochwasser – klappt das?

Seit 2016 haben Behörden und Wissenschaftler in Mittelfranken viel Energie, Zeit und mehr als acht Millionen Euro in die Renaturierung der Altmühl gesteckt. Zwischen Treuchtlingen und Gunzenhausen wurde ein neues, mäanderndes Flussbett mit vielen Schleifen gegraben und die Ufer abgeflacht, um den Fluss aus seinem künstlichen Korsett zu befreien.

Nach den verheerenden Überschwemmungen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Belgien und den Niederlanden steht nun die Frage im Raum, wie künftigen Hochwassern vorgebeugt werden kann. Durch neue Dämme, Kanäle und Deiche? Oder durch Lösungen, die mit der Natur arbeiten und dem Wasser wieder mehr Raum geben, in denen das Wasser in die Breite gehen kann, statt zum Hochwasser zu werden?

Die Debatte wird dadurch komplizierter, dass an der Ahr, die von der aktuellen Katastrophe am stärksten betroffenen ist, seit vielen Jahren in einem von der Bundesregierung geförderten Großprojekt Renaturierung betrieben wurde. Selbst diese Maßnahmen waren aber offenbar zu wenig, um die Wassermassen zu bändigen.

Geradliniger Ahr-Fluss mit stark beschädigter Brücke und dicht bebautem Ufer
Bad Neuenahr-Ahrweiler, 17. Juli 2021: Das Hochwasser der Ahr hat schlimme Schäden verursacht.
Üppig bewachsenes Flussufer mit toten Bäumen
Auch Totholz gehört dazu. Renaturierte Altmühl mit Ufervegetation
Hoffmann steht unter einer Brücke im Wasser. Er hat eine hohe Gummihose an und einen Käscher in der Hand.
Der Gewässerökologie Andreas Hoffmann überwacht, wie sich die Renaturierung auf die Artenvielfalt auswirkt.
Hoffmann zeigt eine Schnecke, die er mit dem Kescher gefangen hat.
Mehr Fische, Muscheln und Schnecken soll die Renaturierung in den Fluss zurückbringen. Noch stellen sich Erfolge nur langsam ein.